Berlin. EU-Bürger wurden von den Berliner Behörden nicht ans Zentralregister gemeldet. In Berlin leben damit fast 900.000 Nicht-Deutsche.

In vielen Teilen der Stadt ist es unüberhörbar. Menschen, die offensichtlich keine Touristen sind, sprechen Englisch, Polnisch, Französisch oder Italienisch, während sie mit ihren Kindern auf Spielplätzen sitzen, in Restaurants essen oder im Supermarkt einkaufen. Bürger aus allen Ländern der Europäischen Union gehören selbstverständlich zum Leben in Berlin, vor allem in den Innenstadtbezirken, wo die meisten von ihnen leben. Jetzt kommt heraus: Die Zahl der nicht-deutschen Berliner liegt erheblich höher als bisher gedacht.

Denn in den Jahren 2007 bis 2014 haben sich diese EU-Bürger zwar ordnungsgemäß bei den Bürgerämtern gemeldet. Diese Informationen flossen auch an die Berliner Ausländerbehörde. Dort wurde dann jedoch versäumt, die Daten der Neubürger auch an das Ausländerzentralregister weiterzugeben. Diese Statistik führt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg und füttert mit den Zahlen auch die Computer des Statistischen Bundesamtes.

Als die Wiesbadener Statistiker jüngst die Ausländerzahlen für Deutschland veröffentlichten, fiel für Berlin ein exorbitanter Sprung ins Auge. Zwischen 2016 und 2017 stieg die Ausländerzahl in Berlin von 627.000 auf 888.000. Das entspricht einem Plus von 261.000 beziehungsweise einem Zuwachs von mehr als 40 Prozent. In anderen Bundesländern nahm die Zahl der Ausländer hingegen nur um sechs oder sieben Prozent zu. Das kommt daher, dass Berlin im Wesentlichen Menschen nachgemeldet hat, die zum Teil bereits seit Jahren hier leben.

Der Ausländeranteil in der Stadt steigt auf 25 Prozent

„Berlin ist sehr speziell“, sagte Stephan Lüken vom Statistischen Bundesamt und betont trotz aller statistischen Unwägbarkeiten: „Aber die Bestandszahl zum Ende des Jahres stimmt.“ Man gehe davon aus, dass sich die verschiedenen Zahlenwerke der Bundes- und Landesbehörden nun angleichen. Bisher arbeitet das Statistische Landesamt mit Daten aus dem Melderegister und geht von weniger Ausländern in der Stadt aus. Wenn die Daten der Bundesbehörden stimmen, schnellt der Ausländeranteil in der Hauptstadt mit einem Schlag auf 25 Prozent hoch – bisher war man von 20 Prozent ausgegangen.

Schon länger hatte es Zweifel gegeben, ob die Berliner Daten für das Ausländerzentralregister korrekt seien. 2017 prüfte eine Arbeitsgruppe nach. „In der Datenbank der Ausländerbehörde Berlin hat eine Arbeitsgruppe eine erhebliche Anzahl von Fehlern festgestellt, beschrieben und analysiert“, schrieb das der Ausländerbehörde übergeordnete Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) an das BAMF. Letztlich wurden der Nürnberger Bundesbehörde 600.000 Datensätze übermittelt, von denen 200.000 noch nicht im Zentralregister gemeldet waren. Erst seit 2014 werden die Daten auch von EU-Bürgern, die sich nicht um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland kümmern müssen, automatisch nach Nürnberg weitergereicht. Die Senatsinnenverwaltung erklärt die Versäumnisse der Berliner Ausländerbehörde gegenüber den bundesweiten Registern mit Überlastung und Personalmangel.

In Berlin gibt es inzwischen mehr Polen als Türken

Durch die massenhafte Nachmeldung von Ausländern und den tatsächlichen Zuzug im Laufe des Jahres 2017 verschiebt sich die Rangordnung der stärksten Ausländergruppen in der Stadt deutlich. 55.000 zusätzliche Polen machen die Bürger des Nachbarlandes zur größten Zuwanderergruppe vor den Türken. Die 21.000 nun als Ausländer registrierten Italiener verdoppeln deren Zahl auf nun fast 50.000. Auch leben viel mehr Bulgaren, Franzosen, Italiener und Spanier in Berlin als bisher erfasst.

Für den Integrationsbeauftragten Andreas Germershausen ist trotz letzter verbleibender Unklarheiten sicher, dass die Zahl der Ausländer in der Stadt höher liegt. Zwar gebe es mit EU-Bürgern in der Regel eher wenig Probleme, weil sie meist jung und gut ausgebildet sind, doch lebten vor allem unter Rumänen, Bulgaren oder Polen Menschen „am Rande des Prekariats“, sagte Germershausen. Er werde mit der Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) nun prüfen, ob man die Angebote für diese Gruppe ausweiten müsse. Dazu gehören das Willkommenszentrum an der Potsdamer Straße und die Beratung für Existenzgründer. Und auch Schulen bräuchten womöglich mehr Unterstützung für die Kinder italienischer, rumänischer oder spanischer Zuwanderer oder anderer Nationalitäten, die zu Hause nicht unbedingt Deutsch sprechen.

Die aktuelle Folge des Berlin-Podcasts "Molle und Korn": Diesmal: AfD-Antrag will Berghain verbieten, So kurios reagiert das Berghain auf E-Mails, Paar hat Oralverkehr in Berliner S-Bahn, Das hält man in Lüderitz/Namibia von der Umbenennung der Berliner Lüderitzstraße:

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