Berlin. Bei der Identifizierung potenzieller Terroristen aus dem Salafisten-Milieu gibt es keine Checkliste, an der sich Ermittler orientieren können. Das zeigte sich am Donnerstag bei einer Befragung von Sachverständigen im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz.
Mehrere Experten für Deradikalisierung und Salafismus-Prävention betonten, unter den bekannten Attentätern und Terrorkämpfern seien Gebildete, Deutsche ohne Migrationsgeschichte genauso wie jugendliche Migranten aus schwierigen Familienverhältnissen und Kleinkriminelle. Claudia Dantschke von der Hayat-Beratungsstelle für Deradikalisierung sagte, das alte Erklärungsmodell der stufenweisen Radikalisierung habe heute ausgedient. Gerade Jugendliche tauchten inzwischen nach einer kurzen Radikalisierungsphase über soziale Medien oft direkt in das Milieu des gewaltbereiten Salafismus ein.
Experten: Überlastung der Sicherheitsbehörden führte zu Fehlern
Die Fehler der Sicherheitsbehörden im Fall des Terroristen Anis Amri sind nach Einschätzung von Experten auch auf die Überlastung der Beamten zurückzuführen. „Ein großes Problem ist zunehmend die schiere Zahl von Personen, die als relevant angesehen werden müssen“, sagte der Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, Alexander Eisvogel, im Untersuchungsausschuss.
Marwan Abou Taam vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz wies auf eine „zunehmende Verknüpfung von organisierter Kriminalität und Radikalität“ hin. Es sei eine grobe Fehleinschätzung gewesen, die Tatsache, dass Amri Kleinkrimineller und Drogenkonsument geworden sei, als Indiz für eine Distanzierung vom islamistischen Terror zu werten. Die Erfahrung zeige, dass Kriminelle salafistische Ideen nutzten, um ihre Straftaten zu legitimieren als Teil eines angeblichen göttlichen Auftrags, der „Gesellschaft zu schaden“.

Von AfD geladener Journalist sorgt für Streit im Untersuchungsausschuss
Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen gekapert und das Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert. Zwölf Menschen starben, mehr als 70 wurden verletzt. Amri wurde später auf der Flucht in Italien von Polizisten erschossen.
Die Berliner Polizei und Vertreter anderer Sicherheitsbehörden hatten Amris Drogenkonsum und kriminelle Aktivitäten als Hinweis darauf gewertet, dass er sich vom islamistischen Milieu entfernt habe. Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz sagte, diese These sei schon damals unhaltbar gewesen: „Er hat Schlimmstes gesagt und mit schlimmsten Leuten kommuniziert.“
Zum Streit kam es am Donnerstag im Ausschuss, weil mehrere Mitglieder Anstoß an den ihrer Ansicht nach unqualifizierten und undifferenzierten Äußerungen des Journalisten Imad Karim über den Islam nahmen. Die AfD hatte ihn als Sachverständigen benannt.
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