Berlin. Selten hat ein politischer Vorstoß so starke Reaktionen ausgelöst wie die Forderung der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT), arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfängern unter 50 die staatliche Unterstützung zu streichen. Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU, sprach von einem „interessanten Beitrag, der die Debatte beleben wird“. Er spiegele allerdings nicht die Position der Berliner Union insgesamt wider. Sie halte an Hartz IV fest, ebenso an den Sanktionen, wenn gegen Auflagen verstoßen wird.
Evers sprach sich dafür aus, das bisherige Hartz-IV-System an die veränderte Situation am Arbeitsmarkt anzupassen, insbesondere hinsichtlich der Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Position der MIT müsse als Reaktion auf den Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zu einem solidarischen Grundeinkommen betrachtet werden. Die CDU lehnt Müllers Idee ab.
Die Wirtschaftsvereinigung der Berliner CDU hatte gefordert, die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II für Unter-50-Jährige ebenso zu streichen wie die Übernahme der Wohnkosten. Christian Gräff, MIT-Vorsitzender und wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Abgeordneten begründete dies mit der Lage am Arbeitsmarkt. „Unser Grundgedanke ist, dass die Menschen sich um Arbeit bemühen müssen. Wer aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeit annehmen kann, wird natürlich finanziell abgesichert“, sagte Gräff.
FDP: „Derzeitiges Transfersystem setzt falsche Anreize“
Der Vorschlag zeige, „dass jetzt offenbar auch in der CDU erkannt wird, dass das derzeitige Transfersystem falsche Anreize setzt“, sagte der FDP-Arbeitsmarktexperte Florian Swyter der Berliner Morgenpost. „Richtig ist der Ansatz, dass erwerbstätige Personen finanziell besser gestellt werden müssen als Transferempfänger“, so Swyter. Das Grundsicherungssystem sehe aber bereits heute Sanktionen bei der Weigerung einer Arbeitsaufnahme vor. „Es wäre glaubwürdiger, wenn die MIT auf die Bundes-CDU einwirkt, dass die Sanktionsmöglichkeiten im Grundsicherungssystem nicht abgeschafft oder aufgeweicht werden“, forderte der FDP-Abgeordnete. Hier sei die CDU gegenüber ihrem Koalitionspartner SPD gefordert.
„Tatsächlich muss das Hartz IV System grundlegen reformiert werden. So müssen die Hinzuverdienstregelungen dringend geändert werden, damit es sich lohnt, mehr hinzuzuverdienen und so schrittweise in reguläre Arbeit zu kommen“, sagte Swyter. Außerdem müsse die Betreuungsintensität der Leistungsempfänger deutlich erhöht werden.
„Hat der Mann einen Knall?“
Vertreter der rot-rot-grünen Regierungskoalition gingen mit Gräffs Äußerungen hart ins Gericht. „Der Vorschlag der CDU stellt den Sozialstaat in Frage. Solche amerikanischen Verhältnisse gefährden den sozialen Frieden“, sagte Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. „Klar ist: Hartz IV gehört dringend auf den Prüfstand. Die Sanktionspraxis hat nachweislich nicht zu einer nachhaltigen und langfristigen Wiedereingliederung geführt. Unser Ziel ist, Menschen aus der Armut zu bringen. Wir setzen uns für eine Kindergrundsicherung ein, damit alle Kindern und Jugendlichen unabhängig vom Einkommen der Eltern faire Chancen bekommen“, so Gebel.
Auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh lehnte den Vorstoß der MIT ab. Er befördere die Spaltung der Gesellschaft. „Die CDU sollte nicht gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufbringen, sondern sich den tatsächlichen Problemen der Gesellschaft widmen“, sagte Saleh der Morgenpost.
Stefanie Fuchs, Sozialexpertin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, nannte Gräffs Forderung menschenverachtend. „Hat der Mann einen Knall? Ich frage mich, ob sich Herr Gräff eigentlich darüber klar ist, dass er hier faktisch fordert, hunderttausende Menschen mittellos auf die Straße zu setzen.“
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