Florian Nöll, Chef des Deutschen Start-up-Verbands, im Interview über Fehler der Politik und die Zukunft der Gründerszene.
Die deutsche Start-up-Hauptstadt heißt Berlin. Dass noch immer viele Menschen hier ein Unternehmen gründen, sei aber kein Verdienst der Landespolitik, sagt Florian Nöll. Nicht wegen, sondern trotz der Arbeit des Senats seien die jungen Firmen hier erfolgreich, kritisiert der Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Start-ups.
Berliner Morgenpost: Warum kritisieren Sie derart lautstark den Senat?
Florian Nöll: Der Senat ist seit anderthalb Jahren im Amt. Wir Unternehmer sagen ja gerne, dass die Politik uns am meisten hilft, wenn sie uns in Ruhe lässt. Darin ist der Berliner Senat sehr erfolgreich und bekommt Bestnoten. Wir sehen aber einige Alarmsignale, die auch die Politik sehen müsste. Die Start-up-Szene hat eine großartige Entwicklung hingelegt. Aus unserer Sicht ist das die Chance für die Stadt. Es ist unerklärlich, warum die Landespolitik das nicht auch erkennt und für sich nutzt, aber auch Hebel in Bewegung setzt, um die Entwicklung weiter zu unterstützen. Stattdessen passiert das Gegenteil: Derzeit gefährdet der Senat die Entwicklung.
Was ist von der Politik verpasst worden?
Berlin ist auf Platz 78 der Städte in Deutschland beim Breitbandausbau. Nur dank unserer Start-ups darf sich Berlin als deutsche Digital-Hauptstadt bezeichnen und ist auf Augenhöhe mit den europäischen Metropolen London und Paris. Leider versäumt es der Senat in Berlin jegliche Ambitionen in ähnlicher Richtung zu zeigen. Die Politik könnte diese Entwicklung nutzen und das Ziel formulieren, Berlin ganzheitlich zu einem digitalen Standort zu machen. Wir fragen uns zum Beispiel, warum es keine Initiative zum Breitbandausbau gibt. Enttäuschend ist auch, dass die zuständige Senatorin noch nicht mal Ausbauziele formulieren kann.
Was muss jetzt passieren?
Zunächst brauchen wir eine Strategie. Berlin ist eines der letzten Bundesländer ohne Digitale Agenda. Die Probleme beim Breitbandausbau, aber auch bei der Infrastruktur der Schulen oder in der Verwaltung sind bekannt. Wir sehen aber keine Fortschritte. Zudem gibt es aus unserer Sicht auch noch immer zu wenig Engagement wenn es darum geht, internationale Fachkräfte in Berlin willkommen zu heißen. Wir hatten bereits unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit kritisiert, dass die Verwaltung nicht in der Lage ist auf englisch zu kommunizieren. Mittlerweile kommt aber jeder zweite Mitarbeiter der Berliner Start-ups nicht mehr aus Deutschland. Das bedeutet also, dass sich das Problem verschärft hat.
Sie hatten vor der Abgeordnetenhauswahl auch einen Digitalsenator gefordert. Den gibt es jetzt nicht. Und nun?
Wir haben viel darüber diskutiert, inwieweit das eine Querschnitts-Aufgabe ist oder ob man das zentral bündeln muss. In den letzten vier Jahren hat die Bundesregierung ja bewiesen, dass ohne Koordinierung Erfolge schwer sind. Als Konsequent gibt es jetzt eine Digital-Staatsministerin. Berlin hat in der letzten Legislaturperiode bewiesen, dass man nicht erfolgreich ist und hat keine Konsequenzen daraus gezogen. Jetzt geht es so weiter wie vorher. Man kann aber nicht besser werden, wenn man nichts ändert.
In Berlin klagen Start-ups immer öfter über steigende Mieten. Wie gefährlich ist dieser Trend?
Das ist ein ernstes Problem. Die Preise für Gewerbeimmobilien steigen. Neue Gründungen finden deswegen immer öfter in den Randlagen der Stadt statt. Aber auch wachsende Start-ups mit mehr als 100 Mitarbeitern haben enorme Probleme Flächen zu finden. Der Markt ist abgegrast. Wir sind aber auch besorgt, dass es bei Ansiedlungen zu so etwas wie Klassenkämpfen kommt. Zuletzt haben wir das bei den neue Standorte von Zalando und Google in Kreuzberg und Friedrichshain gesehen. Die Politik scheint sich hier ausschließlich auf die Seite der Kritiker dieser Bauvorhaben zu schlagen anstatt einen Ausgleich aller Interessen zu moderieren. Niemand hat etwas davon, wenn es zu Konflikten zwischen Unternehmen und Bürgern kommt. Gleichzeitig will auch niemand, dass wir wirtschaftlich zurückfallen. Genau das wird aber passieren, wenn die Firmen hier nicht mehr wachsen können und sich andere Standorte suchen.
Besteht die Gefahr, dass Gründer in andere Bundesländer abwarten?
Das kann passieren. Wenn Berlin nachlässt rücken andere Bundesländer oder auch andere europäische Standorte in den Fokus. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat jüngst die „Start-up-Nation Frankreich“ ausgerufen. Das ist ein Bekenntnis und eine klare Ansage, auch an die europäischen Partner. ir uns das mit ähnlicher Strahlkraft von Berlin Regierendem Bürgermeister Michael Müller.
2017 war dennoch ein gutes Jahr für die Berliner Start-ups. Es floss erneut mehr Risikokapital in die Stadt. Warum sind die Firmen so erfolgreich?
Gründer sind darin ausgebildet, schwierige Situationen zu meistern. Klar ist doch, dass Berlin eine sehr gute Entwicklung hinter sich hat. Es sind Unternehmen entstanden, die in der Stadt zu den größten Arbeitgebern gehören. Berlin ist kurz davor, dass ein neuer Dax-Konzern hier seinen Sitz hat. Und zwar nicht durch den Umzug einer Konzern-Zentrale aus dem Westen. Sondern, dass Zalando in den nächsten zwei Jahren in den Dax aufsteigen wird – und zwar nur zehn Jahre nach Gründung des Unternehmens.
Ist in Berlin nochmal so eine Erfolgsgeschichte möglich?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das nächste Zalando in der Stadt bereits wieder gegründet wurde. Wir müssen nur abwarten. Das Ziel muss aber sein, dass nicht nur ein Zalando gegründet wird, sondern dass wir fünf Unternehmen haben, die eine solche Entwicklung nehmen. Aber die Politik muss ihren Anteil leisten. Wir haben uns jetzt länger angeguckt, wie sich die Landesregierung mit den Start-ups schmückt. Jetzt erwarten wir, dass die Politik ihren Beitrag leistet.
In der Stadt wird gerade um neue Konzepte zum Wohnen, zur Verwaltung, aber auch zur Mobilität der Zukunft gerungen. Wie können die Start-ups helfen?
Berlin sollte stärker als bislang auf die jungen Firmen vor Ort zurückgreifen, um diese Aufgaben zu bewältigen. Bei dem letzten Mobilitäts-Gipfel war kein Start-up eingeladen. Dabei haben wir in Berlin so viele Gründungen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Auch bei der Digitalisierung der Verwaltung ist da so. Michael Müller sprach davon, dass Partner wie IBM, Microsoft und SAP dabei helfen könnten. Offensichtlich hat er gar nicht mitbekommen, dass es ein paar hundert Start-ups in der Stadt gibt, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Der Bürgermeister müsste nur einmal sein Rathaus verlassen und hätte vor der Haustür Tausende Digital-Experte. Viele von ihnen würden einem ernsthaften Aufruf folgen und ihm helfen, diese Stadt zu digitalisieren.
In Berlin muss sich auch die etablierte Wirtschaft neu erfinden. Wie kann die Zusammenarbeit mit Start-ups verstärkt werden?
Wir versuchen es mit sehr viel Aufklärungsarbeit. Es gibt Vorurteile, die man abbauen kann. Gründer von Start-ups sind ja in gewisser Weise Familienunternehmer in der ersten Generation. Viele Mittelständler und auch die Industrie fremdelt aber noch ein wenig. Die etablierten Firmen müssen aber auch ihre eigenen Strukturen überprüfen. Vor allem die deutsche Industrie ist ja sehr genau und detailverliebt. Das sind Kriterien, die ein Start-up in den ersten Jahren kaum erfüllen kann. Wir müssen aber einen Weg finden, beide Seiten zusammenzubringen. Diese Kooperation wird für Europa auch der Weg im Rahmen der digitalen Transformation der Wirtschaft sein. Die Industrie und die Start-ups müssen gemeinsam den Mittelstand von morgen bilden.
Gibt es die Möglichkeit, dass Berlin den Status als deutsche Start-up-Hauptstadt verliert?
Die Gefahr besteht. Wir bewegen uns in einem sehr dynamischen Umfeld und sind noch längst nicht am Ende der digitalen Revolution. Wenn ich sehe, wie die Landesregierungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen agieren, kann ich feststellen, dass dort ein wesentlich stärkeres Engagement stattfindet als in Berlin. Bayern etwa hat mit München einen sehr ernstzunehmenden Standort für Start-ups und mit der TU München die erfolgreichste Gründer-Uni in Deutschland. Für Berlin gibt es also keinen Grund, sich auszuruhen.