Amman. 300 Würste vom Berliner Kultimbiss „Curry 36“ landen mit dem nächsten Versorgungsflug in der Wüste. Mit diesem Mitbringsel will Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) den Außenminister toppen. Heiko Maas (SPD) hatte vergangene Woche die deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Asrak mit drei Fässern Bier beglückt. Da stand der Bundesratspräsident und Regierende Bürgermeister nun unter einem gewissen Druck vor seinem Besuch in Jordanien. Aber Currywürste, so war den Berlinern aus der Truppe vermittelt worden, kämen auch gut an. Zumal die Soldaten erst noch eine Zapfanlage für das Bier basteln müssen.
Immer wenn die Deutschen kommen, dann öffnen sich in Jordanien die offiziellen Türen. So etwa hat das Land die nach dem Streit mit der Türkei vom Stützpunkt Incirlik abgezogenen Flieger der Anti-IS-Koalition gerne aufgenommen. Die Jordanier sind auch stets bereit, deutsche Politiker zu empfangen, auch wenn – wie im Falle Müllers – „nur“ der verhältnismäßig machtlose Präsident der Länderkammer anreist. Schließlich ist das Königreich dringend auf internationale Hilfe angewiesen, um die Lasten von Hunderttausenden Flüchtlingen aus den kriegsgeplagten Nachbarstaaten zu schultern, die arg gestiegenen Sicherheitskosten zu tragen und die ökonomischen Folgen von geschlossenen Grenzen zu Syrien und Irak sowie verlorenen Exportmärkten auszugleichen. Überdies ächzt die Bevölkerung wegen der gestrichenen Subventionen für Brot, Strom und Benzin.
Obwohl es Michael Müller nicht möglich ist, die deutsche Unterstützung von 600 Millionen Euro jährlich weiter aufzustocken, wird der Berliner Regierungschef in Amman wie ein Staatsgast empfangen. Dabei hatte der Luftwaffenairbus A 319 in der jüngeren Vergangenheit bereits fünf Mal deutsche Gäste nach Amman geflogen. Der Bundespräsident war da, der Außenminister, Bundestagsabgeordnete und die Verteidigungsministerin besuchten die 280 deutschen Soldaten, die hier mit vier Aufklärungs-Tornados und einem Tankflugzeug den Kampf der internationalen Koalition gegen den IS unterstützen. „Wir bedanken uns für Ihren Einsatz“, sagte Müller den Soldaten. Denn die Werte unseres Grundgesetzes seien eben „keine Selbstverständlichkeit“, so der Regierende Bürgermeister: „Das spürt man hier.“
Bundeswehrsoldaten haben ihr Camp in die Wüste gestellt
Binnen weniger Monate haben die Deutschen ihr Camp in die Wüste gestellt, komplett mit Bürgersteigen, Sportplätzen, Kirche und Speisesaal. Major Steffen B. aus Stendal, der normalerweise in Berlin stationiert ist, kümmert sich mit seinen Spezialisten um die komplizierte Technik der Tornados. Der 35-jährige Berufssoldat war schon in Afghanistan und dient jetzt seit einem Monat in Jordanien, drei hat er noch vor sich. Hier sei es viel besser als einst in Masar-i-Sharif. „Vor allem hat man nicht so die Wahrnehmung, gefährdet zu sein“, sagt der Offizier. Aber schuften müssen die Techniker vor allem dann, wenn die Allianz viele Luftbilder der Deutschen anfordern. Dann werde auch mal 24 Stunden durchgearbeitet. Aber es gebe auch ruhigere Tage. An einem solchen wollen sie dann die Zapfanlage basteln. Die Berliner Currywürste kann der deutsche Küchenchef hingegen schnell mal zubereiten.
Nicht nur die bisweilen von der Sehnsucht nach heimischer Kost geplagten Soldaten nahmen sich Zeit für Müller, sondern auch die jordanischen Staatsspitzen. Nur König Abdullah war gerade nicht zugegen im weitläufigen Palast auf einem Hügel bei Amman. Der Regent weilt seit zehn Tagen mit unbekanntem Ziel im Ausland. Private Besuche, heißt es offiziell. Man munkelt von Motorradtouren in den USA oder Spielen in Las Vegas. Auch der erkrankte Premierminister musste sich durch seinen Vize vertreten werden. Aber der amtierende Regent und Königsbruder Prinz Feisal bin Al-Hussein tauschte sich eine Stunde lang mit Müller aus. Es ging auch um die Frage, wie Religion politisch missbraucht wird, und was gegen eine Radikalisierung junger Leute zu tun ist. Dass Jugendliche den Islam als eine überhöhte „Ersatz-Identität“ heranziehen, weil ihre Lage sonst wenig Positives zu bieten hat, kommt in Jordanien und wie in Berlin gleichermaßen vor. Dass im Königreich für gefährlich gehaltene Islamisten auch mal einfach so verschwinden, zieht in der Regel keine kritischen Nachfragen der sonst an Menschenrechten stets interessierten deutschen Politiker nach sich. Zu wichtig ist Jordanien für die Stabilität in der Region. Immerhin ließ sich Müller im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung von einer Anwältin und Aktivistinnen erklären, dass Frauen auch im vergleichsweise liberalen Jordanien das Ausüben vieler Berufe untersagt ist und das Streikrecht nicht für alle Arbeiter gilt.
Müller selbst bewegt sich nach fast vier Jahren im Roten Rathaus auch in der großen Politik inzwischen einigermaßen gewandt – obwohl er es immer noch bevorzugt, offiziell nicht Englisch zu sprechen. Und wenig staatsmännisch zückt er dann auch schon mal begeistert sein Handy, um etwa den Herkulestempel in der Zitadelle von Amman abzulichten. Oder aber er bewundert wie ein Tourist die 8000 Jahre alten Menschenfiguren aus der Jungsteinzeit im Archäologischen Museum, dessen erstaunliche Artefakte derzeit deutsche Archäologen digital katalogisieren. Müller mag es, abseits des Berliner Regierungsalltags in fremden Ländern neue Dinge zu sehen und sie sich erklären zu lassen.
In Jordanien wird Müller von seiner Ehefrau Claudia begleitet, wobei Müller die Kosten dafür selber trägt. Das Reiseziel Jordanien habe sie interessiert, sagte Claudia Müller zur Begründung. Sie hatte ihren Mann bisher erst einmal auf einer Dienstreise nach Rom begleitet. Diesmal habe sie die Gelegenheit genutzt, Jordanien kennenzulernen – obwohl die Berliner First Lady normalerweise sehr zurückhaltend in der Öffentlichkeit auftritt. Claudia Müller absolvierte sogar ein kleines „Damenprogramm“. Während ihr Mann Gespräche führte, besuchte seine Frau ein Waisenhaus und überbrachte unter anderem einen Fußball des 1.FC Union Berlin. Beim Abschied aus dem Luftwaffencamp bedankte sie sich beim Kommandeur Kristof Conrath artig für die „Geduld“, mit der der Oberst ihre vielen Fragen beantwortet hatte. Als Bundesratspräsident wird Müller in naher Zukunft noch mehrfach reisen können. Im Herbst etwa wird er Australien besuchen.
Protokollarischer Spagat erschwert die Gespräche
Berlins Regierungschef profitiert mittlerweile auch von Erfahrungen aus früheren Reisen. So vertritt er in den Gesprächen die deutsche Position einer Zwei-Staaten-Lösung für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern souverän. Das Thema ist heikel für Jordanien, wo 60 Prozent der zehn Millionen Einwohner aus Palästina stammen. Das Agieren von US-Präsident Donald Trump in der Jerusalem-Frage sei „nicht hilfreich“, pflichtet Müller den Gastgebern diplomatisch bei. Eine Senatorin beklagt, auch gut gestellte Jordanier würden bei der Vergabe von Visa für Deutschland „wie Türken“ behandelt – also wenig entgegenkommend. Müller entgegnet, dass man in Deutschland über ein echtes Einwanderungsgesetz diskutiere. Als jordanische Parlamentarier eine engere Kooperation bei der Berufsausbildung wünschen, kann er auf das Beispiel eines Projektes der Berliner Handwerkskammer mit der Mongolei verweisen und versprechen, so etwas auch mal für Jordanien anzuregen. Und bei der als Erfolgsgeschichte geltenden Deutsch-Jordanischen Universität, bei der Müller offenkundig nicht so tief im Thema ist, stellt er kurzerhand eine „Verabredung über den Austausch von Wissenschaftlern und Arbeitskräften“ in Aussicht.
Müller hätte gerne konkretere Hilfe angeboten, aber das ist im protokollarischen Spagat zwischen den Rollen als Vertreter des deutschen Staates einerseits und der des Berliner Regierungschefs andererseits nicht so einfach.
Der vergleichsweise großzügige Umgang des Königreiches mit den vielen Geflüchteten ist beispielhaft. Müller hat auf dieser Reise mit seiner Staatssekretärin für Internationales Sawsan Chebli, Tochter palästinensischer Eltern, eine Kennerin der Situation an seiner Seite. Zwei ihrer in Berlin geborenen Nichten leben in Jordanien, eine arbeitet seit Dezember als Gynäkologin im Flüchtlingscamp von Al-Asrak, das die Delegation an diesem Dienstag besichtigt. 35.000 Menschen leben hier in Baracken hinter Stacheldraht inmitten der Geröllwüste. „Ich wollte mal unter schwierigen Umständen arbeiten“, sagt die 28 Jahre alte Hanna Ighreiz, die 2013 aus Tempelhof zum Medizinstudium nach Jordanien gezogen war. Ihre Dienste werden dringend benötigt, denn jede Woche werden im Camp 35 Babys geboren: „Man versucht zu helfen, das ist das Wichtigste“, sagt die Berlinerin. Das Lager ist ordentlich organisiert, im Supermarkt biegen sich die Regale. Die Menschen bekommen umgerechnet 27 Euro pro Monat und können damit Lebensmittel kaufen, abgerechnet wird per Iris-Scan. Aber die Lage ist fragil, das Geld des Welternährungsprogramms reicht noch bis Mai. Dabei werde das Camp sicher noch lange stehen, wie der jordanische Polizeichef seufzend einräumt.
Michael Müller möchte von den Erfahrungen des kleinen Landes profitieren, das seit seiner Gründung mithilfe der Briten 1948 immer wieder Wellen von Flüchtlingen aufgenommen hat, zunächst vor allem Palästinenser, heute nach jordanischen Angaben 1,3 Millionen Syrer. „Wie ist Ihre Haltung, setzen Sie auf Integration oder auf Rückkehr?“, fragt Müller Planungsminister Imad Fakhoury. Gerade diese Frage werde in Deutschland kontrovers diskutiert, so Müller. Von früher 900.000 Irakern in Jordanien, antwortet Fakhoury, seien 40 Prozent noch hier. „Wenn eine solche Quote auch für die weniger wohlhabende Gruppe der Syrer erreicht wird, wäre das eine unglaubliche Erfolgsgeschichte“, betont er. Zwar gebe es auch in Jordanien viele, die die Flüchtlinge lieber ausweisen würden, räumt er ein: „Aber wir bleiben ein friedliches und gastfreundliches Land.“ Vor diesem Hintergrund gerät auch Müllers touristischer Ausflug zur legendären Felsenstadt Petra zum Abschluss der Reise am Mittwoch zum unterstützenden Signal, das die stolzen Jordanier erfreut. Für sie ist es der Beleg, dass Besucher sich in dem Land sicher fühlen können – ganz anders als in anderen Staaten der Region.