Die Krankenschwester Miriam K. (Name geändert) hatte gegen 22 Uhr in ihrer Abteilung im Krankenhaus Friedrichshain Feierabend gemacht. Die 28-Jährige konnte nicht ahnen, dass sie ein paar Minuten später genau auf diese Station zurückgebracht werden sollte – als schwer verletztes Opfer eines Verkehrsunfalls.
Der Verursacher dieses Unfalls muss sich seit Dienstag vor einem erweiterten Schöffengericht verantworten. Im Anklagesatz ist gegen den 25-jährigen Bauhelfer Stephan K. gleich eine ganze Serie von Paragrafen aufgelistet. Darunter auch fahrlässige Tötung. Denn nicht nur Miriam K. stand am späten Abend des 13. Oktober vergangenen Jahres an dieser Haltestelle an der Landsberger Allee direkt vor dem Krankenhaus Friedrichshain. Von dem schleudernden Opel Vectra wurde auch eine 57-jährige Frau getroffen – ebenfalls Mitarbeiterin des Krankenhauses. Sie erlag ihren Verletzungen noch am Unfallort.
Ein Zeuge verhindert die Flucht des Unfall-Rasers
Stephan K. kann sich an das Geschehen nur noch sporadisch erinnern. Sicher ist, dass er bei der Fahrt stark angetrunken war, keinen Führerschein besaß und sich an dem Opel Vectra, der nicht versichert und nicht zugelassen war, gestohlene Kennzeichen befanden. Stephan K. hatte den Wagen ein paar Tage zuvor gekauft. Die Kennzeichen hatte sein Beifahrer in Spandau von einem anderen Fahrzeug abmontiert. Er sei ein Landsmann von Stephan K., habe in Lettland in einem Nachbardorf gelebt. Er war nach dem Unfall geflohen und ist untergetaucht.
Auch Stephan K. hatte fliehen wollen. Und vermutlich wäre ihm das auch gelungen, wenn es nicht den Zeugen Max G. gegeben hätte, der von seinem Motorroller aus den Unfall beobachtete. Er habe den Opel Vectra mit stark überhöhter Geschwindigkeit heranfahren sehen, sagt der 27-Jährige vor Gericht. Der Wagen sei zunächst auf der Kreuzung geschlingert, habe gerade noch abgefangen werden können, sei dann noch einmal ins Trudeln gekommen und in den Haltestellenbereich geraten. „Und dann hat es gekracht.“ Es seien gerade zwei Straßenbahnen gekommen, viele Fahrgäste seien ausgestiegen, so der Zeuge. Und der Fahrer des Opel Vectra habe dann versucht, in der Menschenmenge unterzutauchen. „Ich habe gerufen, da ist der Fahrer“, erinnert sich Max G. Passanten hätten reagiert und den Flüchtenden festgehalten.
Mehr als 2,8 Promille wurden bei Stefan K. festgestellt
Stephan K. will das nicht bestreiten, kann es aber auch nicht bestätigen – weil er sich ja nicht erinnern kann. Bei einer Blutalkoholmessung wurden bei ihm mehr als 2,8 Promille festgestellt. Er und sein Landsmann hatten schon in der Nacht zuvor getrunken und waren am 13. Oktober mit dem Vectra gegen 1.50 Uhr – also rund 20 Stunden vor dem Unfall – in der Bismarckstraße gestoppt worden, nachdem sie mit rund 100 Stundenkilometern durch die Innenstadt preschten. Beide wurden zur Wache gebracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Stephan K. 1,95 Promille. Die Beamten nahmen die Daten auf und ließen die beiden stark angetrunken Männer wieder laufen. Sie hätten dann weitergetrunken, so sagt der Angeklagte; im Laufe des Tages „einen Kasten Bier und zwei Flaschen Wodka“.
Später wollten sie zur Freundin seines Landsmannes fahren. Wieder mit dem Opel Vectra. Rätselhaft ist, wie sie erneut an den Wagen herankommen konnten. Offenbar stand er noch da, wo die beiden gestoppt worden waren. Stephan K. weiß vor Gericht nur noch, dass sein Landsmann erneut Nummernschilder gestohlen hatte. Den Ermittlungen zufolge hatte sie vor dem Unfall einen Platten. Der Landsmann wechselte das Rad. Offenbar nicht korrekt, da er ja stark angetrunken war. Ein Zeuge, der zum Zeitpunkt des Unfalls auf der anderen Straßenseite lief, will gesehen haben, wie sich vor dem Crash ein Rad löste.
Unfallopfer leidet auch heute noch an den Folgen
Miriam K. kann sich an den Aufprall nicht mehr erinnern. Sie wisse noch, dass sie ihrer Freundin gerade eine SMS schrieb, sagt sie vor Gericht. Aufgewacht sei sie dann Stunden später nach einer Operation auf ihrer eigenen Station. Sie trug schwerste, lebensbedrohliche Verletzungen davon. Acht Wochen verbrachte sie im Krankenhaus, arbeiten kann sie bis heute nicht. Derzeit absolviert sie eine ambulante Reha. Es ist unklar, ob sie jemals wieder in ihrem Beruf arbeiten kann; ebenso, ob die Verletzungen vollständig ausheilen. Wie sie sich heute fühle, fragte Richter Sascha Daue. „Ich bin auf einem guten Weg“, sagt sie tapfer. Und woran leide sie am meisten? „Dass ich mein Leben nicht mehr leben kann, wie es vorher war“, antwortet sie. „Ich kann nicht mehr arbeiten, nicht mehr tanzen.“ Das Leben bestehe nur noch aus Rehamaßnahmen.
Der Prozess wird fortgesetzt.