Berlin. Tempo 30. Ein Jahr lang. Zwischen Potsdamer Platz und Markgrafenstraße auf der Leipziger Straße, einer der Hauptverkehrsadern Berlins. Der Senat verspricht sich von dem Modellversuch bessere Luft und will so Fahrverbote für Diesel-Autos vermeiden. Thomas Sánchez hingegen versteht die Welt nicht mehr. Weil der Senat für sein Tempolimit-Projekt ausgerechnet den Abschnitt gewählt hat, an dem vor allem Bürogebäude stehen, befürchten die Anwohner mehr Lärm.
„Dort, wo die Siedlung anfängt, beschleunigen die Autofahrer dann wieder auf Tempo 50. Diese Ausgestaltung ist absurd“, sagt Sánchez, der Vorstand des Vereins „Interessengemeinschaft Leipziger Straße“ ist. Die 35 Mitglieder der Initiative hatten die zuständige Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr gebeten, die Strecke bis zum Spittelmarkt zu verlängern. Ohne Erfolg.
Senatorin Günther: Gesundheit der Berliner effektiv schützen
Am Montag will Senatorin Regine Günther (parteilos) den Startschuss für das Modellprojekt geben. 1,2 Kilometer ist die Tempo-30-Zone an der Leipziger Straße lang. „Wir wollen die Gesundheit der Berliner effektiv schützen und die Luftqualität verbessern“, erklärte Günther. Tempo 30 auf hoch belasteten Straßenabschnitten zu testen, um den Verkehr flüssiger zu machen, sei dabei eine Maßnahme, sagt auch der Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg.
Auf der Leipziger Straße soll ab Montag ein stationärer Verkehrszähler genau erfassen, wie viele Autos auf dem Abschnitt fahren, welche Spur die Fahrzeuge benutzen und wie schnell die Wagen sind. Das Herzstück ist aber ein stationärer Bus, der die Daten zur Stickstoffdioxid-Belastung misst und weitersendet.
Bislang wird der von der Europäischen Union vorgegebene Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel dort seit Jahren übertroffen: Zuletzt lag die durchschnittliche Belastung mit Stickstoffdioxid an der Leipziger Straße bei durchschnittlich 66 Mikrogramm pro Kubikmeter. Senatorin Günther hofft jetzt, dass sich die Belastung mithilfe von Tempo 30 um zehn Prozent verringern lässt.
Opposition: Als Versuchsstrecke nicht geeignet
Die Opposition ist skeptisch. „Die Leipziger Straße ist derzeit so überlastet, dass sie sich als Versuchsstrecke nicht eignet und ein aussagekräftiger Vergleich zu den unterschiedlichen Geschwindigkeiten so kaum gezogen werden kann“, sagt der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt. Wesentlich für sinkende Emissionen sei hingegen fließender Verkehr – und der werde vor allem durch optimierte Ampelschaltungen ermöglicht, kritisiert Schmidt.
Zwar habe Rot-Rot-Grün vor dem Start des Modellversuchs an der Leipziger Straße die Ampelschaltung angepasst. „Jetzt ist aber zu befürchten, dass der Senat die aus der Ampelschaltung entstandenen Effekte als Begründung heranziehen wird, um Tempo 30 auf viele weitere Berliner Hauptverkehrsstraßen auszuweiten“, sagt der FDP-Politiker.
CDU will A100 ausbauen
Auch die Berliner CDU-Fraktion sieht in der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer den falschen Weg. „Zusätzliche Staus tragen nicht zur Luftverbesserung bei“, ist Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, überzeugt. Tempo-30-Anordnungen seien kein Allheilmittel, Berlin brauche ein Maßnahmenpaket, um Fahrverbote zu vermeiden, so Friederici.
Der CDU-Politiker plädiert etwa für den Ausbau der Autobahn 100 und weitere Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Dazu müsse der Senat auch weitere Straßenbäume pflanzen, fordert der Politiker. „Straßenbäume tragen erheblich zu einem besseren Stadtklima und zur Luftreinhaltung bei“, sagt Friederici.
Die AfD befürchtet wegen des Tempolimits mehr Verkehr auf Nebenstraßen. „Wenn auf Hauptstraßen nicht mehr mit 50 Kilometern pro Stunde gefahren werden darf, verlieren sie ihren Attraktivitätsvorteil gegenüber den Nebenstraßen. In der Folge werden mehr Verkehrsteilnehmer Schleichwege durch Wohngebiete suchen und damit dort für mehr Verkehr sorgen“, sagt der verkehrspolitische Sprecher Frank Scholtysek. Ziel vernünftiger Politik könne es jedoch nicht sein, den Verkehr von Haupt- auf Wohnstraßen zu verlagern. Das neue Tempolimit auf dem Abschnitt in der Leipziger Straße sei „purer Aktionismus ohne jede inhaltliche Substanz“, so Scholtysek.
Weitere Teststrecken zur Abgasverringerung
Der Senat plant den Modellversuch bis Ende Juli auf weitere viel befahrene Hauptstraßen auszudehnen: Dazu gehören der Bereich vom Potsdamer Platz über Potsdamer Straße und Hauptstraße bis zum Innsbrucker Platz in Schöneberg, die Kantstraße zwischen Amtsgerichts- und Savignyplatz sowie auf dem Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ordensmeisterstraße. Alle Abschnitte kommen zusammen auf rund acht Kilometer Länge.
Deutschland droht eine Klage der EU-Kommission, sollten die zulässigen Stickstoffdioxid-Grenzwerte nicht eingehalten werden. Etwa 60 Prozent der Emissionen gehen auf den Verkehr zurück, vor allem auf Diesel-Fahrzeuge. Fahrverbote will Berlin vermeiden. Neben Tempo-30-Zonen soll auch der Umstieg auf die Elektromobilität sowie Ausbau der Radinfrastruktur helfen.
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