Schwule und Lesben waren zu Besuch in einer Moschee in Wedding. Das Treffen war eine Zumutung – und eine große Chance.

Am Anfang geht es darum, die Stimmung aufzulockern, und da kann etwas Ironie nicht schaden. „Es wäre schön, wenn Sie am Ende sagen könnten: Ich war in einer Moschee, und ich bin heil herausgekommen“, sagt Faical Salhi – und freut sich, dass seine Zuhörer den Scherz mit einem wohlwollenden Lächeln quittieren. Auch die zwei Frauen, die die obligatorische Vorstellungsrunde eröffnen, sorgen für Heiterkeit – obwohl sie es wahrscheinlich nicht beabsichtigt haben. Nachdem sie ihre Berufe genannt haben, Anke ist Steuerberaterin, Stefanie bei der Bundesdruckerei, sagt Stefanie: „Ach, ja, und wir sind zusammen. Habe ich vergessen zu sagen.“

Schwule und Lesben können sich in keine Moschee wagen, weil sie dort um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen. Muslime versinken vor Scham im Boden, wenn sie hören, dass Männer mit Männern oder Frauen mit Frauen zusammenleben. Sie alle hier kennen diese Klischees, und sie alle machen darüber sicher nicht zum ersten Mal Witze. Und weil das ironisch gebrochene Spiel mit den Klischees so gut funktioniert, versucht Gastgeber Faical Salhi es gleich noch einmal. „Hier tut Ihnen keiner was, auch nicht, wenn Sie den Gebetsraum betreten“, sagt er. Wieder leises Gelächter.

Dann gehen die Menschen, die so unterschiedlich sind, wie Menschen eben unterschiedlich sind, die aber doch eines gemeinsam haben, nämlich ihre sexuelle Präferenz für das eigene Geschlecht, und die Menschen, die ebenfalls ganz unterschiedlich sind, aber ebenfalls eine Gemeinsamkeit haben, nämlich ihren islamischen Glauben, durch das zugige Treppenhaus in den vierten Stock, ziehen ihre Schuhe aus und neigen ihre Häupter gen Mekka – oder nehmen im hinteren Teil des Gebetsraum auf Campingstühlen Platz. Zur Ruhe kommen. Ob mit oder ohne Gott.

Die Moscheebesucher gelten als konservativ und orthodox

MoscheeI IZDB in Berlin Wedding während einer Begegnung zwischen Moslimern und Schwulen und Lesben
MoscheeI IZDB in Berlin Wedding während einer Begegnung zwischen Moslimern und Schwulen und Lesben © Glanze/Berliner Morgenpost | Sergej Glanze

Es ist nicht das erste Mal, dass der gemeinnützige Verein Leadership Berlin einen Besuch von Schwulen und Lesben in einer Moschee organisiert hat. Aber so richtig oft ist es auch noch nicht vorgekommen. Deshalb war das Treffen im „Interkulturellen Zentrum für Dialog und Bildung“ (IZDB) an der Drontheimer Straße in Wedding doch etwas Besonderes. Zumal die Moschee und ihre regelmäßigen Besucher von einem Islamverständnis geprägt sind, das man als konservativ oder orthodox, jedenfalls nicht als „liberal“ bezeichnen würde.

Der Berliner Verfassungsschutz attestiert dem IZDB sogar Verbindungen zur Muslimbruderschaft, der größten islamistischen Organisation der arabischen Welt. Deren geistiger Führer, der Islamgelehrte Yusuf al-Qaradawi, bezeichnete Homosexualität einst als „geschlechtliche Abartigkeit“, die mit 100 Peitschenhieben zu bestrafen sei.

Im Alltag der meisten Moschee­gänger dürften die Ansichten greiser Gelehrter aus arabischen Ländern keine große Bedeutung haben. Sie leben im bunten Berlin, die meisten seit Jahrzehnten, oder sie sind sogar hier geboren. Sie wissen aber auch, dass viele Muslime große Vorbehalte gegenüber Homosexuellen haben – und dass unter ihnen auch handfeste „Schwulenhasser“ sind.

Ist die Mehrheit der Muslime homophob? Die Gesprächsteilnehmer sollen sich, je nachdem wie deutlich sie der Aussage zustimmen, an beiden Enden des Raumes aufstellen. Am Ende der Übung sind sie gleichmäßig verteilt. Einer der Muslime sagt: „Viele trauen sich ja immer noch nicht, über das Thema überhaupt zu sprechen.“

Die Homosexualität „nicht an die große Glocke hängen“

Dann bittet Winfriede Schreiber, einst Leiterin des brandenburgischen Verfassungsschutzes und an diesem Abend Moderatorin der Runde, den Imam Ferid Heider nach vorne. Heider, etwa Ende 30, Vollbart und heute mit Holzfällerhemd unterwegs, ist keiner, der sich in Moscheen einigelt. Er spricht oft bei Dialogveranstaltungen, diskutiert mit Juden oder Atheisten, mit Katholiken oder Protestanten. Und heute mit Lesben und Schwulen.

Als „liberal“ würde er sich aber nicht bezeichnen. Im Gegenteil. Natürlich respektiere er homosexuelle Menschen, sagt er, und natürlich sei Gewalt gegen Homosexuelle nicht akzeptabel. Dann zögert er, windet sich – und sagt es dann doch. Die homosexuelle Neigung für sich genommen verurteile er nicht. Die Homosexualität auch auszuleben, betrachte er aber als Sünde. Ja, er kenne Muslime, die schwul seien, sagt Heider. Einige hätten ihn gefragt, wie sie damit umgehen sollten. Sie sollten es „nicht an die große Glocke hängen“, habe er geraten. Und: „Du kannst es jederzeit bereuen.“

Viele der Männer und Frauen, die Heider zuhören, sind verheiratet, einige leben mit Kindern, einige engagieren sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Homosexuellen. Sie haben gekämpft. Mit sich selbst, mit ihren Familien und natürlich mit der Gesellschaft. Und sie haben viel erreicht. Sie leben in einer Stadt, die einen schwulen Bürgermeister hatte, sie haben die Einführung der „Ehe für alle“ erlebt. Und jetzt das. Im Jahr 2018 müssen sie ertragen, dass eine religiöse Autorität, deren Stimme Gewicht hat und viele Menschen beeinflusst, ihre Präferenz für das eigene Geschlecht, einen Teil ihrer Identität also, als „Pervertierung der Sexualität“ und als „Prüfung Gottes“ bezeichnet.

Sie könnten jetzt aufstehen und Ferid Heiders Worte als empörend bezeichnen, als Affront, der eine respektvolle Diskussion auf Augenhöhe unmöglich macht. Doch sie bleiben sitzen. Nicht einmal ein Zwischenruf ist zu hören. Erst später beim gemeinsamen Abendessen wird einer der homosexuellen Männer auf Nachfrage sagen, dass der Vortrag für ihn nicht hinnehmbar gewesen sei. Aber so recht aufregen mag er sich nicht. Mit Menschen zu diskutieren, die ihre Haltung zur Homosexualität mit Religion und Glauben begründeten, sei es immer schwierig, sagt er. „Ich habe Katholiken kennengelernt, die waren viel rigoroser“, sagt der Mann.

„Wir denken übrigens auch nicht den ganzen Tag an Sex“

Überhaupt die Religion. Vielleicht spielt sie bei der Skepsis gegenüber Homo­sexualität gar nicht so eine wichtige Rolle. An diesem Abend jedenfalls treibt viele der Muslime die Sorge um die Bedeutung der Familie um, die Angst vor einer „Übersexualisierung“ der Gesellschaft, die bange Frage, ob Homosexuelle heterosexuelle Menschen „bekehren“ wollten.

Die schwulen und lesbischen Besucher haben diese Ängste schon oft gehört. Von Katholiken oder Protestanten, von konservativen und traditionsbewussten Atheisten. Und jetzt eben von Muslimen. Alles nicht neu. Und so erklären sie geduldig, dass Homosexualität nicht ansteckend ist, dass die sexuelle Präferenz eines Menschen keine freie Entscheidung, sondern persönliche Disposition ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse. Und später beim gemeinsamen Abendessen noch etwas Persönliches. „Wir denken übrigens auch nicht den ganzen Tag an Sex“, sagt ein Mann. Faical Salhi sagt: „Wir müssen noch sehr viel Aufklärung leisten. Ich weiß nicht, ob wir als Moschee da genug tun.“

Immerhin: In einem sind sich an diesem Abend alle einig: Muslime würden als religiöse Minderheit ebenso diskriminiert wie Schwule und Lesben – und Rechtspopulisten würden versuchen, beide Gruppen gegeneinander auszuspielen. Der Mitarbeiter eines Anti-Diskriminierungs-Projektes sagt: „Das dürfen wir nicht zulassen, und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir uns nicht gegenseitig stigmatisieren.“

Bernhard Heider, Geschäftsführer des Vereins Leadership Berlin, der das Treffen organisiert hat, sagt, dass die meisten Moscheevereine bei den ersten Anfragen für Besuche von Homosexuellen vor zwei Jahren noch mit „sehr viel Zurückhaltung und Ablehnung“ reagiert hätten. Das habe sich geändert. Tatsächlich nahmen an dem Treffen im IZDB bereits Imame und Vorstände von immerhin vier Moscheegemeinden teil. Weitere Besuche in Moscheen seien geplant. Schwule und Lesben hätten im Kampf gegen Diskriminierung viel erreicht, sagt Heider. Die Muslime hätten da noch einen weiten Weg vor sich. „Sie können von Schwulen und Lesben noch viel lernen“, sagt Heider.

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