Berlin. Dass Björn Böhning schon länger ein Auge auf die Bundespolitik geworfen hatte, war auf der Berliner Landesebene ein offenes Geheimnis. Jetzt gelingt dem 39 Jahre alten Sozialdemokraten der Sprung: Der Chef der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller wechselt als Staatssekretär ins Bundesministerium für Arbeit und Soziales und soll dort unter dem SPD-Minister Hubertus Heil vor allem das Zukunftsfeld „Digitalisierung der Arbeitswelt“ beackern.
Müller sieht den Weggang mit gemischten Gefühlen, wie er am Rande der gemeinsamen Kabinettssitzung mit Brandenburg in Neuhardenberg deutlich machte. Einerseits ende damit eine jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit. Andererseits finde er es aber auch toll, dass jemand, der noch nicht 40 Jahre alt ist, eine solche Chance bekomme, sagte Müller. Es freue ihn zudem, dass Erfahrungen aus der Berliner Landespolitik damit in die Bundesregierung eingebracht würden und es künftig einen kurzen Draht gebe.
Klaus Wowereit holte den Ex-Juso-Chef ins Rathaus
Bisher war die CDU-Frau Monika Grütters als Kulturstaatsministerin die einzige Berlinerin im engeren Machtzirkel. Künftig kommen Neuköllns Ex-Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ebenso dazu wie der parteilose frühere Finanzsenator Ulrich Nußbaum als Wirtschaftsstaatssekretär – und nun eben Björn Böhning. Er selbst wollte seine neue Aufgabe am Dienstag noch nicht kommentieren.
Der gebürtige Niederrheiner, der in Lübeck aufwuchs, war nie ein Kind der Berliner Landespolitik, obwohl er schon seit den Tagen seines Politikstudiums an der Freien Universität in der Stadt lebt. Als Böhning 2008 für den Bundestag kandidierte, verweigerte die Berliner SPD dem Nachwuchstalent einen guten Platz auf der Landesliste. Obwohl er seit sieben Jahren die Regierungszentrale im Roten Rathaus koordiniert, gehörte er auch nie zum engsten persönlichen Zirkel von Michael Müller, der Böhning von seinem Vorgänger übernommen hatte.
Klaus Wowereit hatte den früheren Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten, der bis heute einer der wichtigsten Köpfe des linken SPD-Flügels ist, 2007 in sein Rathaus geholt. Böhning übernahm das „Grundsatz- und Planungsreferat“, das zunächst aus ihm und einem weiteren Mitarbeiter bestand. Seinerzeit wurden Wowereit noch bundespolitische Ambitionen nachgesagt. Mit dem gut vernetzten Böhning erhoffte er sich mehr Einfluss auf der Bundesebene, in der SPD und auch darüber hinaus. Als die Senatskanzleichefin Barbara Kisseler 2011 zur Kultursenatorin in Hamburg avancierte, rückte der damals gerade 33 Jahre Böhning nach und übernahm ihren Job in einer Regierung aus SPD und CDU.
Böhning, dessen Frau Nancy seit Dezember die Geschäfte der Bundes-SPD führt, gilt als guter Stratege, kann sich schnell in neue Themen einarbeiten und besitzt ein ausgeprägtes politisches Gespür. Aber er hat auch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Wenn man etwas wolle, was er nicht auch möchte, sei das schwierig, heißt es über den früheren Handballer.
Böhning nutzte die Senatskanzlei intensiver als viele seiner Vorgänger, um sich selber aktiv in viele Themen einzumischen. In der Musikszene, der Kreativwirtschaft oder in der Medienpolitik ging wenig ohne ihn. Digitalisierung ist ihm ein wesentliches Anliegen und ein vertrautes Terrain, das er für die SPD in der GroKo mitverhandelt hat. In der Netzwelt folgen beim Kurznachrichtendienst Twitter 28.000 Menschen, er gilt als wichtiger „Influencer“. Für Schlagzeilen sorgte Böhning, als er in einem Tweet den Trickfilm-Helden Homer Simpson den Stinkefinger zeigen ließ, nachdem Unionspolitiker Nachverhandlungen zum Koalitionsvertrag ausgeschlossen hatten.
In Berlin kümmerte Böhning sich persönlich um viele Einzelheiten, vom Aufbau des öffentlichen Wlan bis zum Förderungsbescheid für Hochgeschwindigkeitskabel an Forschungsinstitute. Kritiker sagen, dieser Einsatz für Zukunftsfelder sei auf Kosten der eigentlichen Aufgaben gegangen, nämlich der oftmals mühsamen Koordination der verschiedenen Senatsressorts.
Staatsanwälte ermitteln immer noch gegen Böhning
Über seiner Karriere schwebt seit Dezember 2016 außerdem das Damoklesschwert staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Es geht um den Verdacht der Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der Politik des Senats in der Flüchtlingskrise von 2015. Das Verfahren bewegt sich seit Monaten weder vor noch zurück. Böhning ist jedoch überzeugt, dass es am Ende eingestellt werden wird.
Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller stellt sich nun die Frage, wer Böhning ersetzen soll und die wichtige Scharnierfunktion in der Koalition schnell übernehmen kann. Genannt wurden am Dienstag die Namen von Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach, der Böhning schon gelegentlich als Chef der Senatskanzlei vertreten hat. Oder Müllers langjähriger Vertrauter Christian Gaebler wechselt von seinem Posten als Sport-Staatssekretär ins Rote Rathaus.
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