Berlin-Spandau

Der Herr der schwarzen Vinyl-Scheiben

| Lesedauer: 6 Minuten
Ulrike Borowczyk
Ralf Jürgen Rach in seinem „Musicland“

Ralf Jürgen Rach in seinem „Musicland“

Foto: Massimo Rodari

Seit mehr als 40 Jahren verkauft Ralf Jürgen Rachner im "Musicland" in Spandau Schallplatten und berät Musikfreunde.

Dass Jimi Hendrix gerade ein neues Album herausgebracht hat, bringt Ralf Jürgen Rachner sichtlich zum Schmunzeln. Immerhin ist Gitarrengott Hendrix Mitglied des berühmten Club 27, zu dem namhafte Rockmusiker zählen, die in diesem Alter starben, und seit gut 48 Jahren tot. Hendrix hat zu Lebzeiten drei Studio- und ein Live-Album herausgebracht. Die posthumen Veröffentlichungen indes füllen mittlerweile ganze Plattenregale. „Man muss schon etwas verrückt sein für diese Branche“, erklärt der 67-jährige Rachner und lacht. Seit 1977 betreibt er den Plattenladen Musicland in Spandau. Zunächst als Teil einer so benannten Kette. Seit 1992 dann in Eigenregie.

Wer hierherkommt, will zweierlei: In aller Ruhe stöbern und über Musik fachsimpeln. Denn Rachner gilt als ausgewiesener Kenner der Szene. Immer auf dem neuesten Stand in Sachen Rock, Pop, Black Music, Dance und Jazz. Aber auch nachgerade enzyklopädisch bewandert in der populären Musikhistorie.

In der früheren „Beat Hall“ war er Stammkunde

Schon als Kind war der gebürtige Berliner begeistert von Musik. Im Charlottenburger Laden seines Vaters, Zille-, Ecke Fritschestraße, stand ein alter Volksempfänger. „Da lief immer Mucke. Und zwar AFN“, erzählt Rachner. Der Soldatensender der amerikanischen Streitkräfte brachte einen damals angesagten Mix aus Swing und Big Bands, aber auch Rock ’n’ Roll, Twist und Beat. Die Initialzündung für eine eigene Plattensammlung. Das war gar nicht so einfach damals. „Die wenigen Plattenläden, die es gab, waren nicht gut bestückt“, sagt Rachner. Meist waren es Elektro-Geschäfte mit einer kleinen Plattenecke. „Sobald man mal ein Album anspielen wollte, wurde man schon ungnädig angeguckt. Alle Songs anzuspielen, war ein Ding der Unmöglichkeit“, so Rachner, der seinerzeit immer wieder der Strenge von Elektro-Fachverkäuferinnen ausgesetzt war.

Als Jugendlicher musste er viele Fehlkäufe hinnehmen, weil er etliche Platten ungehört mitgenommen hat. „Heute undenkbar“, meint er und zeigt auf die Plattenspieler in der Ecke, an denen Vinyl-Fans gleich mehrere Alben in aller Ruhe und mit großem Genuss durchhören. Selbstredend in allerfeinster Tonqualität.

Quasi jeden Tag in der „Beat Hall“ statt in der Schule

Für seine erste Anlage hat Ralf Jürgen Rachner als Schüler noch in den Ferien gejobbt. Schon als Teenie war er ein echter Vinyl-Nerd, obwohl es das Wort in den 60er-Jahren noch nicht gab. Und natürlich hat er das Beste aus seinem Plattenspieler rausgeholt, indem er ständig die neueste Technik gekauft hat. „Es war alles mono. Ich wollte aber einen Stereo-Klang. Dafür brauchte ich einen Verstärker und zwei Boxen“, erzählt er. Dafür hat er wieder in den Ferien geackert. Richtig ins Rollen kam seine Musikleidenschaft letztlich mit 14 Jahren. „Da machte ein neuer Club am Tegeler Weg auf, die Beat Hall. Dort habe ich das erste Mal ,Hey Joe‘ von Jimi Hendrix gehört.“. Von da an war er quasi jeden Tag in der Beat Hall statt in der Schule. „Ich bin deshalb sitzen geblieben. Das hat mich damals nicht gejuckt“, sagt er.

Seinen Abschluss hat er später trotzdem ordentlich hinbekommen. Es folgte eine Lehre als Industriekaufmann. Aber an erster Stelle stand die Musik. Und dann kam lange gar nichts. Wenngleich Rachner nie Ambitionen hatte, selbst Musiker zu werden. Im Gegensatz zu seinem früheren Klassenkameraden Klaus Hoffmann. „Er hat sich einfach eine Gitarre gekauft und sich das Spielen selbst beigebracht. Ich habe es auch versucht, war aber nicht so von der Muse geküsst“, gibt er unumwunden zu.

Neben unzähligen Konzertbesuchen, darunter der legendäre Gig der Rolling Stones in der Waldbühne, hat er schon als Teenager damit angefangen, in den Clubs und Diskotheken als DJ aufzulegen. Auftakt dazu war eine Party in einem besetzten Haus in der Potsdamer Straße. „Da bin ich auf den Geschmack gekommen. Obwohl es keine Gage gab, dafür aber freie Getränke“, sagt er.

Rachner verfolgt seinen Traumberuf mit Leidenschaft

Weil er als DJ jede Woche neue Platten mit der angesagtesten Musik brauchte, kannte man ihn auch in den Plattenläden wie im Musicland in der Uhlandstraße. Eines Tages hat er dort nach einem Job gefragt. Zunächst blitzte er ab, blieb aber hartnäckig. Und nach zwölf Monaten bekam er im Jahr 1976 den Job. Da er aber der jüngste Mitarbeiter der kleinen Ladenkette war, wurde er in die Filiale nach Spandau versetzt. Dennoch war er glücklich. „Das war damals für alle ein echter Traumberuf“, bekennt er.

Auch nach über 40 Jahren ist Ralf Jürgen Rachner mit voller Leidenschaft dabei. Das Sortiment hat er mit DVDs, Spielen und Hörbücher erweitert. Es gibt auch CDs. Die meisten kommen aber wegen der guten, alten Schallplatte. Heute eine Liebhaberei mit Kultcharakter, die man sich leisten können muss. Vor allem, wenn es sich um wertvolle Raritäten handelt, die man im Musicland auch findet. Wer hierherkommt, sucht nicht unbedingt Mainstream-Taugliches. Ralf Jürgen Rachner ist bekannt für Tipps und Empfehlungen. Jörg (38) aus Spandau: „Er trifft immer ins Schwarze und kennt sich aus wie kein Zweiter.“

Musicland, Klosterstr. 12, Spandau, Tel. 332 20 72, Mo.–Fr. 12–19 Uhr, Sbd. 10–16 Uhr, Infos und Online-Shop www.musicland-berlin.