Trauer

Nach Tod von Keira: Eine Schule steht unter Schock

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Hans H. Nibbrig
Viele Menschen edenken der getöteten Keira an der Eislaufhalle, wo das Mädchen trainierte

Viele Menschen edenken der getöteten Keira an der Eislaufhalle, wo das Mädchen trainierte

Foto: Paul Zinken / dpa

Trauer am Grünen Campus Malchow um die erstochene 14-Jährige. Der 15 Jahre alte Verdächtige muss in U-Haft.

Eine 14-jährige Schülerin als Opfer eines Verbrechens, ein 15-jähriger Mitschüler als mutmaßlicher Täter, das ist für den Grünen Campus Malchow, die Schule, die beide besuchten, eine erschreckende Konstellation. Sie stellt Schulleitung und Lehrer vor eine besondere Herausforderung. Schulleiter Thomas Barthl brachte es am Montag in einem kurzen Pressetermin auf den ernüchternden Punkt: „Hier ist seit Mittwochabend kein normales Schulleben mehr möglich.“ Eine Schule unter Schock.

Der Schulleiter hatte noch am späten Mittwochabend, nur wenige Stunden nachdem Keira G. ihren schweren Stichverletzungen erlegen war, von dem tragischen Geschehen erfahren. Und direkt danach begonnen, den von der Bildungsverwaltung für solche Ereignisse erstellten Notfallplan abzuarbeiten. Fünf Psychologen und Vertreter der Schulaufsicht sind seither an der Schule im Einsatz. „Betreut werden sowohl in Gruppen als auch bei Bedarf individuell Schüler, Lehrer und Eltern“, sagte eine Psychologin.

Fassungslosigkeit und Entsetzen sind gern genutzte Begriffe, wenn es gilt, besonders tragische Geschehen zu beschreiben. Hier treffen sie zu. Jeder in der Schule kannte mindestens entweder den Täter oder das Opfer, vielen waren beide bekannt. „Sie kannten sich, waren aber kein Paar“, sagt eine Schülerin über den 15-Jährigen, der jetzt für viele bereits ein Mörder ist, und die 14-jährige Keira G. Mehr sagt sie nicht. Möglicherweise habe der 15-Jährige ja gern eine engere Beziehung zu seiner Mitschülerin gehabt, äußert ein anderer Schüler, bevor auch er schweigt. Das schlimme Verbrechen hat vor allem die Schüler, aber auch Lehrer und Eltern ratlos gemacht und zutiefst verunsichert. Beobachtungen auf dem Schulgelände lassen erkennen, dass es für alle drei Gruppen die wohl erste Begegnung mit einem Gewaltakt diesen Ausmaßes ist. Denn Gewalt, versichern hier alle, war gerade an dieser Schule nie ein Thema. Bis vor sechs Tagen.

Täter und Opfer hatten sich am Tattag verabredet

Unterdessen gehen in dem Fall die Ermittlungen weiter. Am Montag erließ wie erwartet ein Ermittlungsrichter gegen den am Sonntag festgenommenen mutmaßlichen Täter Haftbefehl. Zunächst allerdings wegen Totschlags, was auch dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprach. Der Tatvorwurf könne im Zuge der weiteren Ermittlungen durchaus noch auf Mord ausgeweitet werden, dazu müssten allerdings entsprechende Mordmerkmale wie Heimtücke oder niedere Beweggründe vorliegen, sagte Martin Steltner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus seien die gesetzlichen Vorgaben bei einem derart jungen Tatverdächtigen – der Festgenommene ist 15 Jahre alt – sehr hoch, betonte Steltner.

Aus Ermittlerkreisen hieß es am Montag, der Jugendliche habe die Tat „im Kern gestanden“, es seien allerdings noch viele Fragen offen, unter anderem zur Tatbegehung wie auch zum Motiv des 15-Jährigen. Bekannt wurde, dass sich Täter und Opfer am Tattag in der Wohnung, in der auch das Verbrechen geschah, verabredet hatten. Was der Grund für das Treffen war und was dort dann genau geschah, liegt noch im Dunkeln. Klarheit erhoffen sich die Ermittler der 3. Mordkommission durch die weitere Befragung des mutmaßlichen Täters.

„Wir werden dich nie vergessen“

Trauer um Keira G. herrscht auch an der Eissporthalle in Hohenschönhausen, wo Keira beim Sportverein TSC trainierte. Erst im Januar war sie in ihrer Altersklasse Berliner Meisterin über 1500 Meter geworden. „Wir werden dich nie vergessen“ steht auf einem Zettel, „Dein Lachen fehlt uns“ auf einem anderen.

Immer wieder bleiben Passanten stehen. Die 38-jährige Nicole Schumacher, die in der Nähe wohnt, schüttelt den Kopf. Unbegreiflich sei das alles. „Mich berührt das sehr“, sagt sie. Die 70-jährige Veronika Krause, die gerade vom Senioren-Eislaufen kommt, zeigt sich entsetzt über so viel Gewalt unter Jugendlichen und dass „die alle ein Messer in der Tasche haben“.

Die tödliche Messerattacke in Berlin ist leider kein Einzelfall. Mehrere Angriffe von Jugendlichen hatten in den vergangenen Monaten deutschlandweit erschüttert. Im baden-württembergischen Kandel erstach im Dezember ein Flüchtling seine 15 Jahre alte Ex-Freundin. An einer Schule in Lünen (Nordrhein-Westfalen) wurde im Januar ein 14-Jähriger vermutlich von einem Mitschüler mit einem Messer getötet. In Dortmund endete im Februar ein Streit unter Teenagern tödlich, eine 15-Jährige wurde erstochen.

Im Sportverein sind Trainer und Freunde fassungslos

Auch der Sportverein von Keira trauert. Besonders die Umstände von Keiras Tod und ihr jugendliches Alter „machen uns fassungslos“, hieß es in einer Mitteilung auf der Internetseite des Berliner TSC. Der Verein setze sich für einen fairen und menschlichen Umgang miteinander ein. Als Zeichen der Anteilnahme legten auch vor dem Haus der getöteten Schülerin im östlichen Berliner Ortsteil Alt-Hohenschönhausen viele Menschen Blumen und Kerzen nieder – dazu Zettel mit kleinen persönlichen Botschaften.

Das Bundeskriminalamt führt keine Statistik, wie oft Minderjährige andere Minderjährige töten. Aus den Kriminalanalysen der Polizei in den Ländern lässt sich jedoch ableiten, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland selten Opfer eines Tötungsdelikts werden. 2016 wurden demnach 92 Kinder und Jugendliche getötet. Minderjährige wurden 26 Mal verdächtigt, einen anderen Menschen getötet zu haben. In rund der Hälfte der Fälle kannten sich Täter und Opfer.

( mit dpa )