Berlin . Gegen sieben Behördenmitarbeiter wird bis heute ermittelt – drei Jahre nach dem Lageso-Drama. Der Vorwurf: Haushaltsuntreue.
2015 war kein gutes Jahr für das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Monatelang standen dort Asylsuchende zu Hunderten an, erst mit der Gründung des Landesamtes für Flüchtlinge (LAF) im August 2016 geriet das Lageso aus dem unmittelbaren Kreuzfeuer.
Für mehr als ein Dutzend der bis zu 355 Lageso-Mitarbeiter, die sich 2015 bis zur LAF-Gründung mit Flüchtlingsunterbringung und -versorgung befassten, reichen die Schatten dieser Zeit aber bis ins Jahr 2018. Im Oktober 2015 hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen zu Verstößen gegen die Haushaltsordnung begonnen. Ein Ex-Referatsleiter erhielt im Januar 2017 eine Haftstrafe wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung. Acht davon unabhängige Ermittlungsverfahren wurden dagegen wieder eingestellt – „es bestand kein Tatverdacht“, sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, der Berliner Morgenpost. Unter den Betroffenen waren laut der Senatsverwaltung auch leitende Mitarbeiter.
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Gegen sieben Behördenmitarbeiter wird jedoch bis heute ermittelt – drei Jahre nach dem Lageso-Drama. Der Vorwurf auch hier: Haushaltsuntreue. Korruption oder Vorteilsnahme sind nicht Gegenstand der Nachforschungen.
Sebastian Muschter mochte den Verdacht einer schuldhaften Verschwendung von Steuergeld durch einen derart hohen Prozentsatz seiner ehemaligen Mitarbeiter von Anfang an nicht teilen. Ein Jahr lang hatte der frühere McKinsey-Berater 2016 das Lageso geleitet. Zu der Zeit war dort nicht nur die Strafverfolgungsbehörde auf Spurensuche. Es gab interne Überprüfungen durch Mitarbeiter der Landesverwaltung, disziplinarrechtliche Ermittlungen, Besuch von Betriebsprüfern und Experten des Rechnungshofes.
„Diese Situation war verheerend für die Stimmung im Amt“, erinnert sich Muschter. In vier Fällen – alle später zu den Akten gelegt – gab es Wohnungsdurchsuchungen. „Da steht bei einem Beamten morgens um sechs die Staatsanwaltschaft vor der Tür, das kriegt auch das soziale Umfeld mit. Die ganze Nachbarschaft hängt am Fenster“, sagte Muschter. Dabei geht der Wirtschaftsinformatiker mit Erfahrung in Optimierungsprozessen in Verwaltungen nicht von krimineller Energie aus, sondern von unvollständiger Dokumentation angesichts der Personalnot und des Chaos’, das am Lageso auch schon vor 2015 herrschte.
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Folgen: Bis zur Auflösung des Beamtenverhältnisses
Disziplinarverfahren durch den Dienstherren seien bei Verdacht eines Vermögensschadens Pflicht, sagte der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht Enrico Pätzel. Auch die Staatsanwaltschaft kam nicht umhin, tätig zu werden. Vom Verweis über Zurückstufung bis zur Auflösung des Beamtenverhältnisses und Schadenersatzforderungen reicht die Palette möglicher Folgen. Angestellten drohen Abmahnung oder Kündigung. Allerdings, so Pätzel, gebe es auch ein Organisationsverschulden, wenn der Dienstherr Pflichtverletzungen seiner Mitarbeiter mitverursacht, weil die Strukturen geordnetes Arbeiten unmöglich machen.
Sebastian Muschter hat seine Erfahrungen als Behördenchef unter dem Buchtitel „Gestalten statt Verwalten. Lernen aus der Lageso-Krise“ dargelegt. Was die Verwaltung brauche, seien Führungskräfte mit Managerqualitäten, die verstehen, wie man das operative Tagesgeschäft auf neue Anforderungen ausrichtet: „Am Lageso“, so Muschter, „hätte es neben mehr Personal einer Strategie bedurft, auf welche Szenarien man sich einstellen und wie man Kapazitäten und Strukturen anpassen muss.“ Heute über Prozesse von morgen nachzudenken, bleibe nach der Lageso-Krise weiter eine Aufgabe. Auch in deutschen Behörden.
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