Berlin. In Berlin wird so viel Rauschgift konsumiert wie seit zehn Jahren nicht mehr. Drogen, Fahnder, Täter – ein Überblick.

Cannabis, Kokain, Ecstasy, Heroin, Crystal, Bonzai: In Berlin werden Drogen in großem Stil gehandelt und konsumiert – trotz spektakulärer Erfolge der Ermittler und gestiegenem Verfolgungsdruck auf die Dealer. Wie die Fahnder vorgehen, woher die Drogen kommen, wer die Täter sind – ein Überblick:

Die Ermittler

Drogenfahnder in Berlin haben viel zu tun. Manchmal sieht man das auch an deren Büros. In dem des leitenden Ermittlers Henner Grote von der Zollfahndung Berlin-Brandenburg steht zum Beispiel ein Feldbett. Für den Fall, dass es mal wieder länger dauert. Und in diesem Job, mit all seinen komplizierten Verfahren und verschachtelten Täterstrukturen, ist das häufiger mal so. Grote (50) ist seit 24 Jahren Rauschgiftfahnder. „Die Verfahren sind sehr aufwendig. Und die Ermittlungsarbeit ist in den vergangenen Jahren auch komplizierter geworden “, sagt er. Die Ermittler der Zollfahndung arbeiten eng mit dem Landeskriminalamt (LKA) zusammen. In Berlin gibt es eine von bundesweit acht gemeinsamen Ermittlungsgruppen (GER). Der Leiter des LKA 43, Rauschgift- und Arzneimittelkriminalität, Olaf Schremm (57) ist seit 37 Jahren dabei. Er sagt, dass es in Berlin schon immer viele Drogen gab. „Es ist auch ein Kontrolldelikt. Erhöhen wir den Kontrolldruck, findest sich das auch in der Statistik wieder“, so Schremm.

In Britz hat die Zollfahndung Ende 2017 unter einer Kfz-Werkstatt eine riesige Cannabisplantage entdeckt
In Britz hat die Zollfahndung Ende 2017 unter einer Kfz-Werkstatt eine riesige Cannabisplantage entdeckt © Zollfahndung Berlin

Die Drogen

In der Langzeitstatistik befindet sich Berlin auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 16.077 Rauschgiftdelikte erfasst. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 waren es insgesamt 11.631. In der Statistik sind alle Fälle erfasst – vom Drogenhändler im Görlitzer Park bis zum groß angelegten Schmuggel. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass mehr als die Hälfte aller festgestellten Verstöße Cannabis betreffen. Auffällig ist aber der Anstieg beim Kokain-Konsum und -Schmuggel. Hier gab es ein Plus von 42 Prozent bei den Konsumenten und ein Plus von zehn Prozent bei den Schmugglern. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 1164 Tatverdächtige im Zusammenhang mit Kokain-Delikten ermittelt. 2015 waren es noch 883. Aber auch der Konsum von Crystal und Extasy ist in Berlin rasant angestiegen.

Die Politik

Drogendelikte sind Kontrolldelikte. Das heißt: Je mehr die Polizei kontrolliert, desto mehr Fälle kommen ans Licht. In der Innenverwaltung führt man das Zehn-Jahres-Hoch in der Statistik daher auf die gewissenhafte Polizeiarbeit zurück. „Das ist ein großer Erfolg für die Kolleginnen und Kollegen, für den ich mich sehr bedanke“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) der Berliner Morgenpost. Die Zahlen würden auch beweisen, dass in Berlin immer mehr kontrolliert wird. „Es gibt nämlich kein Ende der Null-Toleranz-Politik“, so Geisel weiter. Das gelte auch für vermeintlich weiche Drogen wie Cannabis im Görlitzer Park. „Anders als öffentlich behauptet, ist Kiffen weiterhin nicht erlaubt, auch der Handel und der Besitz von Drogen ist laut Betäubungsmittelgesetz verboten“, so der Senator.

Die Herkunft

Kokain für den Berliner Markt kommt aus Mittel- und Südamerika mit Container-Frachtern nach Europa, Heroin aus dem Mittleren Osten, synthetische Drogen auf der Straße aus den Niederlanden, genau wie Marihuana aus Spanien oder Nordafrika. Es gibt mehrere Routen. Häufig genutzt werden die Spanien- und die Balkan-Route. Die Droge Crystal kommt meistens aus Tschechien. Im vergangenen Jahr gab es aber auch erste Lieferungen aus den USA, über das Darknet bestellt und an Postfächer in Berlin verschickt. Neu sind Koma-Drogen wie das künstliche Cannabinoid Bonzai. Mehrere Konsumenten landeten 2017 im Krankenhaus.

Ecstasy ist wegen seiner aufputschenden Wirkung in der Partyszene  sehr beliebt. Der Konsum steigt rasant
Ecstasy ist wegen seiner aufputschenden Wirkung in der Partyszene sehr beliebt. Der Konsum steigt rasant © Zollfahndung Berlin

Der Handel

Bei Drogen wie Crystal sprechen Ermittler von Ameisen-Handel. Wenn es hier einen 120-Gramm-Fund gibt, ist das schon viel. Kokain ist logistisch wesentlich aufwendiger, weil es in großen Mengen nach Europa transportiert werden muss. Während Cannabis und synthetische Drogen auf der Straße und Heroin häufig im Nahverkehr gedealt werden, geht es beim Handel mit Kokain nobler zu. Die Lieferung erfolgt frei Haus, konsumiert wird im privaten Bereich, häufig auf Partys, aber auch in Nobel-Diskotheken und Clubs. Bestellt wird per Telefon, geliefert wird möglichst unauffällig. Es gibt Drogenkuriere, die sich als Pizza- oder Blumen-Boten tarnen. Geliefert wird rund um die Uhr und an jeden gewünschten Ort. „Mit der Digitalisierung wird auch unsere Arbeit immer schwieriger“, sagt Zollfahnder Grote. Warum? Die Ware wird anonym bestellt, anonym mit Kryptowährungen bezahlt und anonym an Postfächer verschickt. „Um Drogen zu kaufen, muss man sich heute nicht mehr mit einem Dealer treffen“, sagt Grote. „Doch auch mit 100 Fahndern mehr würden wir den Drogensumpf nicht trockenlegen“, so LKA-Ermittler Schremm. Drogen seien ein gesellschaftliches Problem. Nachschub gebe es immer da, wo es auch eine Nachfrage gebe. „Wir müssen viel mehr in der Präventionsarbeit leisten“, sagt Schremm und sieht hier auch die Politik in der Verantwortung.

Die Täter

Sowohl LKA als auch Zollfahndung sprechen in Berlin von heterogenen Täterstrukturen. Auffällig ist, dass für den Straßenverkauf immer wieder Flüchtlinge angeworben werden. Der Görlitzer Park ist fest in der Hand von Nordafrikanern. In einem Fall konnten Ermittler eine Lieferkette von Kreuzberg bis Girona in Spanien nachvollziehen. Crystal ist in der Hand vietnamesischer Banden. Kokain wird von Clan-Mitgliedern, aber auch von osteuropäischen Banden gehandelt. Häufig spielen Rockerclubs eine tragende Rolle. In allen Geschäften mischen Deutsche mit. „Es gibt nicht die eine Tätergruppierung, die den Berliner Markt dominiert“, sagt Schremm. Die Globalisierung funktioniere auch auf dem Drogenmarkt. Drogenhandel und Organisierte Kriminalität sind eng miteinander verwoben.

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    Die Ermittlungen

    Häufig erhalten die Behörden Tipps. Sie wissen dann, mit welchen Schiffen beispielsweise größere Mengen Kokain unterwegs sind. Vor zwei Jahren hatte der Zoll etwa Hinweise auf eine sehr große Kokain-Lieferung. Die Fahnder wussten, mit welchem Schiff die illegale Ware auf dem Weg nach Hamburg war, und dass etwa ein halbes Dutzend Container als Versteck in Frage kamen. Aufgrund starker Stürme in der Karibik und im Nordatlantik kam der Container-Frachter zwei Tage später in der Hansestadt an. Händler und Importeure, ohnehin schon ob der Verspätung verärgert, drängten auf eine rasche Abwicklung. Doch die Drogenhändler konnten ihre Ware nicht unbemerkt einsammeln. Ein Teil der Lieferung landete schließlich bei Aldi in Berlin. Das LKA entdeckte in Bananenkisten 386 Kilogramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von 80 Prozent. Straßenwert: 15 Millionen Euro. In einem anderen Ermittlungsverfahren führte die Fahnder die Spur eines Kokain-Händlers aus Neukölln bis nach Rom. Dort schlugen deutsche Zollfahnder gemeinsam mit italienischen Polizisten zu, als der Händler aus Neukölln gemeinsam mit einem Italiener in einem Boot 125 Kilogramm Kokain für den Weiterverkauf in Europa vorbereitete. Laut Ermittlungen war die Ware auch für den skandinavischen Markt bestimmt, wo sie von einem Rockerclub verteilt werden sollte.

    Die Verfahren

    Erfolge im Kampf gegen die Droge Kokain sind eher selten, daran ändert auch die Vielzahl von Prozessen gegen Koksdealer in Berlin nichts, ebenso wenig die hohen Haftstrafen, die in vielen Fällen ausgesprochen werden. Erst im vergangenen Jahr wurde ein Drogenhändler vom Landgericht Moabit zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der 43-Jährige, wohnhaft in Prenzlauer Berg, hatte Kokain im Darknet verkauft und damit einen Reinerlös von 1,3 Millionen Euro erzielt. Die Informationen, die die hiesigen Behörden auf die Spur des Mannes brachten, hatte zuvor das amerikanische FBI geliefert.

    Spektakulär war Ende vergangenen Jahres auch ein Erfolg der Zollfahndung Berlin-Brandenburg nach für Drogenverfahren relativ kurzer viermonatiger Ermittlungsdauer. In Britz hatten die Ermittler unter einer Autowerkstatt eine riesige von Deutschen und Türken betriebe Cannabisplantage ausgehoben. 2600 Pflanzen sowie mehr als ein Kilogramm verkaufsfähiges Cannabis wurden damals von den Ermittlern sichergestellt. Verkaufswert: 800.000 Euro. Die Beamten waren auf die Spur von vier 28 bis 33 Jahre alten Männer gekommen, weil sie sich die Pflanzensetzlinge per Paket aus Österreich zusenden ließen. Ein Paket wurde beim Versand beschädigt und von der Zollfahndung entdeckt. Die vier Männer wurden dadurch enttarnt und konnten festgenommen werden.

    Schmuggler und Händler

    Struktur: Grundsätzlich muss man im Drogengeschäft zwischen Schmugglern und Händlern unterscheiden. Ein Schmuggler, der Kokain nach Europa bringt, handelt in aller Regel nicht mit weiteren Drogen. Anders verhält sich mit den Händlern. Sie haben meist mehrere Drogen in ihrem Angebot.

    Verfolgung: Die Zollfahndung hat es wegen des grenzüberschreitenden Charakters meist mit den Schmugglern zu tun, die Landespolizei mit den Händlern. Beide Behörden arbeiten eng zusammen. Die Ermittlungswege sind meist verschieden. Die Zollfahndung findet häufiger größere Drogenmengen, die Landespolizei fasst hingegen Händler und Konsumenten.

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