Berlin. Anderthalb Stunden dauerte es, ehe die Gratulation des Landesvorsitzenden per E-Mail herausging. Berlins SPD-Chef und Regierender Bürgermeister Michael Müller kommentierte die erste Berufung eines Berliner SPD-Mitglieds in ein Bundeskabinett seit den Tagen der Familienministerin Christine Bergmann 1998 bis 2002 eher knapp: „Wir wünschen Franziska Giffey in ihrer neuen Rolle als Familienministerin viel Erfolg. Als Bürgermeisterin in Neukölln hat sie sich stets für die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingesetzt“, erklärte Müller. Mit ihrer „stets klaren Haltung“ werde sie „eine große Bereicherung für die neue Bundesregierung“ sein. „Wir danken ihr für ihr unermüdliches Engagement in Neukölln.“
Kommentare von Müller-Freunden werden noch deutlicher als das knappe Statement des Vorsitzenden. Ed Koch, Partei-Insider und langjähriger Weggefährte Müllers aus dessen Bezirk Tempelhof-Schöneberg, schrieb in seinem Pressedienst Paperpress sogar: „Für die Berliner SPD ist die Berufung Giffeys eine Blamage.“ Sie habe auf ihre Spitzenkandidatin mit bundespolitischer Erfahrung Eva Högl gesetzt. Lange sei diese auch als Sozial- und Arbeitsministerin im Gespräch gewesen, als plötzlich der Name Giffey auftauchte. In der Berliner SPD herrsche „Fassungslosigkeit über das Verhalten von Nahles und Scholz, an ihnen vorbei Franziska Giffey berufen zu haben“. Die Parteilinke hat in der Tat ihre Probleme mit einigen Positionen der künftigen Bundesfamilienministerin, die bei manchen im Ruf steht, zu viel auf „Law and Order“ zu setzen.
Emotionaler Facebook-Post von Franziska Giffey
Euphorisch reagierte SPD-Fraktionschef Raed Saleh: „Ich freue mich riesig, dass Franziska Giffey gerade im Bereich Familie jetzt bundesweit wirken kann.“ Sie vereine in ihrer Person alle Grundlagen, um in der Politik erfolgreich zu sein. „Das Menschliche – sie trägt das Herz auf dem rechten Fleck. Das Mutige – sie spricht Missstände offen an. Das Tatkräftige – sie kann Dinge umsetzen“, so Saleh. Sie habe in Neukölln die Probleme klar benannt, aber auch versucht, daraus Konsequenzen zu ziehen, gerade bei den Themen Bildung und Jugend. Giffeys Überzeugung sei: Es gehe nicht darum, woher jemand komme, sondern wohin jemand wolle. Dafür müssten klare Spielregeln für alle gelten. Mit diesen Positionen sei sie das Gesicht der großen Städte in Deutschland.
Die scheidende Bezirksbürgermeisterin nahm am Freitag in einem emotionalen Facebook-Post Abschied: Eine ganz außergewöhnliche Situation sei eingetreten. „Ich werde alles daran setzen, einen guten Übergang und eine gute Nachfolge zu organisieren und dafür zu sorgen, dass die Dinge im Rathaus gut und beständig weiterlaufen. Darum kümmere ich mich ... Gute Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit aus dem Zuhören, Vor-Ort-Sein und der Begegnung mit Menschen. Die vielen Erfahrungen, die ich in Neukölln machen durfte, werden mich immer begleiten und auch in meine künftige Arbeit einfließen. Die Themen, die mir aus lokaler Sicht immer wichtig waren, will ich jetzt auf nationaler Ebene voranbringen. Denn es gibt viele ,Neuköllns’ in Deutschland ... Obwohl die neue Herausforderung eine riesige Chance ist, ist mir die Entscheidung nicht leicht gefallen. Denn ich liebe mein Neukölln und bin denen so dankbar, mit denen ich so viele Jahre hier gestalten durfte. Vielleicht ist Neukölln nicht der schönste, aber auf jeden Fall der spannendste Bezirk Berlins. Deshalb werde ich auch immer im Herzen verbunden sein“, so Giffey.
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