Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach zeigt sich in der Diskussion um die künftigen Standorte für die neuen Flüchtlingsunterkünfte offen. Sie wolle weitere Vorschläge der Bezirke gerne prüfen, kündigte die Linke-Politikerin im Interview mit der Berliner Morgenpost an.
Frau Breitenbach, in allen Bezirken sollen neue modulare Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden. Es hieß, die Vorschläge seien mit den Bezirken abgestimmt. Dort gibt es aber zum Teil massive Widerstände. Wie kommt das?
Elke Breitenbach : Es gab schon im letzten Jahr Abstimmungen über mögliche Grundstücke und es hat vor der Senatsbefassung zu den neuen Grundstücken weitere Gespräche mit allen Bezirksbürgermeistern gegeben. Wir haben auch viele konstruktive Rückmeldungen erhalten. Manche Bezirke machten eigene Vorschläge, die sich dann auch in der vom Senat beschlossenen Liste wiederfanden. In einigen Fällen kam es zu keiner Einigung. Auch jetzt gab es weitere konstruktive Vorschläge der Bezirke, die wir erneut prüfen werden. Ich bin da sehr offen und auch langmütig. Wir wollen niemandem etwas überstülpen. Fakt ist aber, dass alle Bezirke Grundstücke für neue modulare Unterkünfte benennen müssen.
Viele Anwohner wollen nicht, dass in ihrer Nähe neue Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Würden Sie die Stimmung als aufgeheizt bezeichnen?
Nein. Da hatten wir schon andere Zeiten, in denen es emotional hoch herging. Aber es gibt Bedenken und auch Ängste. Viele sorgen sich, wenn alleinstehende Männer in ihrer Nähe untergebracht werden, könnte die Kriminalität ansteigen. Aber das hat sich nie bestätigt. Und im Übrigen kann man sich seinen Nachbarn nie aussuchen. Trotzdem haben die Menschen ein Recht darauf zu erfahren, was in ihrer Nachbarschaft geplant ist. Deshalb ist es ganz wichtig, miteinander frühzeitig ins Gespräch zu kommen.
Wer soll in die Unterkünfte einziehen?
Das ist unterschiedlich. Familien, aber auch Alleinstehende.
Warum ist es so schwer, Standorte zu finden?
Die ganze Stadt ist sich einig: Wir brauchen dringend neuen, bezahlbaren Wohnraum. Wenn die Wohnungen aber in direkter Nachbarschaft entstehen, formiert sich häufig Widerstand. Bei den geplanten Flüchtlingsunterkünften ist es nicht anders. Und es geht auch um Fragen: Wie viele Bäume müssen dafür gefällt werden, wie hoch werden die Bauten sein, wird das Nachbargebäude dadurch verschattet? Daher ist es wichtig, die Anwohnerinnen und Anwohner zu beteiligen.
Weshalb setzt Berlin bei der Unterbringung von Flüchtlingen auf Bauten in modularer Bauweise?
Der rot-schwarze Vorgänger-Senat hat vor allem Notunterkünfte und die Tempohomes, also Wohncontainer, geschaffen. Wir setzen auf feste Häuser in modularer Bauweise. Sie ähneln klassischen Mehrfamilienhäusern und sind hochwertig. Die Wohnungen und Appartements werden in den ersten drei Jahren zum großen Teil als Flüchtlingsunterkünfte genutzt. Später sollen sie zu günstigen Mieten auch anderen Wohnungssuchenden offenstehen.
Warum erst nach drei Jahren?
Der Bund hat für ein schnelleres Bauen ein vereinfachtes Verfahren nach dem Flüchtlingsbaurecht geschaffen. Dafür müssen die Gebäude aber in den ersten drei Jahren ausschließlich von Geflüchteten genutzt werden. Es gibt jedoch mit den Bezirken Überlegungen, ob wir nicht schon jetzt integrative Wohnprojekte schaffen können, in denen beispielsweise Geflüchtete und Studierende wohnen. In der Köpenicker Allee in Lichtenberg etwa. Auch in Treptow-Köpenick und Mitte gibt es Vorschläge von Bezirksbürgermeistern, gemischtes Wohnen von Anfang zu ermöglichen.
Mit wie vielen Flüchtlingen rechnen Sie in den kommenden Jahren?
Das ist schwer zu sagen. Die Grenzen sind geschlossen, es gibt keine legalen Fluchtwege mehr für die Menschen. Wir müssen zuschauen, wie Flüchtende im Mittelmeer ertrinken. Es kommt auch auf die Entscheidung der künftigen Bundesregierung zum Familiennachzug an. Monatlich kommen jetzt etwa 700 Geflüchtete nach Berlin. Derzeit sind rund 20.000 Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und knapp 2100 Menschen noch in Notunterkünften. In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind es rund 2600 Geflüchtete. Prognosen zufolge benötigen wir in den nächsten Jahren rund 19.000 zusätzliche Plätze zur Unterbringung, auch von Wohnungslosen oder Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind.
Es gibt auch Kritik, dass die Flüchtlinge den Bezirken nach ihrem Geburtsmonat zugewiesen werden. Wollen Sie das beibehalten?
Mein Wunsch wäre es, sich vom Geburtsdatumsprinzip zu verabschieden. Dieses Prinzip gilt ja auch bei wohnungslosen Menschen. Die Senatsverwaltung und die Bezirke entwickeln jetzt ein Konzept für eine andere Verteilung, das muss der Rat der Bürgermeister dann diskutieren. Da müssen alle Bezirke mitmachen und einig werden. Derzeit ist es so, dass viele Geflüchtete, die durch ihren Geburtsmonat Januar Mitte zugeteilt sind, in einem anderen Bezirk wohnen, die Behörden wie das Jobcenter in Mitte aber für sie zuständig sind. Es macht für die Geflüchteten mehr Sinn, in dem Bezirk zum Jobcenter zu gehen, in dem sie wohnen. Es reicht aber nicht, dass wir Einigkeit im Ziel haben. Wir müssen auch von Anfang an über die Schritte Einigkeit erlangen.
Die Unterbringung in Unterkünften privater Betreiber galt meist als teurer. Ist der Tagessatz in MUFs nicht viel höher, wenn ich eins mit 400 Plätzen für 15 Millionen Euro bauen muss?
Die Tagessätze in den MUFs sind viel günstiger. Auch, weil die Menschen sich dort selbst versorgen können und kein Catering gebraucht wird. Man braucht auch weitaus weniger Wachschutz als in großen Notunterkünften.
Ist die Unterbringung wirklich billiger? Einer Berechnung zufolge liegt die Nettokaltmiete in den Flüchtlingshäusern zwischen 14 und 17 Euro pro Quadratmeter, die Warmmiete bis zu 22 Euro.
Bundesweit besteht eine hohe Nachfrage nach diesen Häusern, das treibt die Preise momentan in die Höhe und der Bund ist bereit diese zu zahlen. Hinzu kommt, dass wir auch die Kosten für die Außenanlagen, inklusive Umzäunung tragen. Und: Es sind Gemeinschaftsunterkünfte – es gibt auch Gemeinschaftsräume und Büros, die in die Mietkosten einfließen. Daher sage ich: Wohnungen sind nicht nur die bessere, sondern auch die billigere Lösung.
Berechnungen zufolge soll die Miete in einem MUF später 9,50 Euro betragen.
Die Baukosten sind sehr unterschiedlich. Sie hängen von vielen Faktoren am Standort ab. Zudem werden die Vorhaben von unterschiedlichen Bauträgern realisiert.
Wie wollen Sie die Anwohner bei den Vorhaben mitnehmen?
Es ist wichtig, die Anwohnerinnen und Anwohner frühzeitig einzubinden. Und wenn es Ängste gibt, müssen die ernst genommen werden. Wir wollen mit den neuen Unterkünften integrative Wohnprojekte schaffen und keine neuen sozialen Brennpunkte. Deshalb ist es unser Ziel, möglichst schnell unterschiedliche Bewohnerinnen und Bewohner dort unterzubringen. Die Mischung muss stimmen.