Um herauszufinden, wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (52) tickt, hilft ein Blick in die Vergangenheit: Januar 2015. Damals war der Sozialdemokrat Geisel wenige Wochen Senator für Stadtentwicklung. Den Posten hatte er von Michael Müller übernommen, der im Dezember 2014 zu Berlins neuem Regierenden Bürgermeister und Wowereit-Nachfolger gekürt worden war. Seine erste Pressekonferenz hielt Geisel in einem der Türme am Frankfurter Tor. Über den Dächern von Berlin, im Hintergrund der Fernsehturm, sprach der vorherige Bezirksbürgermeister von Lichtenberg über Projekte, die er nun für die ganze Stadt anschieben will.
Bemerkenswert an dieser Pressekonferenz war nicht nur der außergewöhnliche Ort, sondern der Inhalt. Geisel, erst wenige Wochen im Amt, räumte Themen ab, die sein Amtsvorgänger und Parteifreund Müller ewig vor sich hergeschoben hatte. So positionierte sich Geisel etwa beim Thema "Dresdner Bahn", der umstrittenen Fernbahntrasse durch Lichtenrade, klar für den ebenerdigen Bau und gegen die von Bürgerinitiativen vehement geforderte Tunnelvariante. Der Dissens zwischen dem Senat und der Bahn hatte dieses für den BER wichtige Infrastrukturprojekt jahrelang blockiert. Mitarbeiter aus seinem Umfeld erinnern sich, wie er damit auch Parteifreunde vor den Kopf stieß. Geisel aber hatte sich in kurzer Zeit in die Themen eingearbeitet und eine Meinung gebildet. Und die vertrat er – auch gegen Widerstände.
Wie das aussieht, wenn Geisel sich seine Meinung gebildet hat, bekam am Montag dieser Woche auch Polizeipräsident Klaus Kandt zu spüren, als der Innensenator ihm mitteilte, dass er in den sofortigen Ruhestand versetzt werde. In der Polizeiführung kam diese Entscheidung für alle überraschend. Auf der Pressekonferenz, bei der Geisel seinen Schritt erklärte, schlug er zwar versöhnliche Töne an und lobte die Zusammenarbeit mit dem gerade entlassenen Polizeipräsidenten, doch er sagt auch deutlich, dass die Behörde einen Neustart brauche. Was im Umkehrschluss heißt, dass dieser Neuanfang mit dem alten Polizeipräsidenten nicht funktioniere. Das saß. Wie damals am Frankfurter Tor räumte Geisel ein Thema ab.
Innenressort war kein Wunschressort
Auch wenn sein Knallhart-Kurs jetzt anders wirkt. Andreas Geisel hatte sich im Jahr 2016 nicht um das Innenressort beworben. Er wäre gerne Stadtentwicklungssenator geblieben. Geisel mag es, Projekt anzustoßen und sichtbare Veränderungen zu schaffen. Das war schon zu seiner Zeit als Lichtenberger Baustadtrat so. Da Geisel aber schon öfter parteiintern die Meinung vertreten hatte, die SPD solle unbedingt das Innenressort für sich beanspruchen, fragte ihn Müller nach der Abgeordnetenhaus-Wahl, ob er das Ressort nicht übernehmen wolle. In einer Stadt wie Berlin, mit einem linken Landesverband und einer rot-rot-grünen Koalition im Rücken, keine leichte Aufgabe. Das Innenressort gilt als Schleudersitz. Geisel sagte trotzdem zu.
Heute, so erzählen es Mitarbeiter, hilft ihm diese Geschichte mehr, als dass sie ihm schadet. Da weder Grüne noch Linke das heikle Ressort übernehmen wollten und Müller ihn mehr oder weniger überreden musste, zieht Geisel heute durch – wenn es sein muss auch ohne Rücksicht auf die Koalitionspartner. Eines dieser Themen ist zum Beispiel die Videoüberwachung. Die Innenverwaltung bekommt hier Druck von zwei Seiten. Rechts steht die CDU mit einem Volksbegehren für mehr Videoüberwachung und links die Koalitionspartner als ausgewiesene Gegner für mehr Kameras. Geisel wählte den Mittelweg und versucht es mit temporärer und anlassbezogener Überwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Linke und Grüne sind damit nicht glücklich und rebellierten gegen Geisels Pläne.
Doch die Kritik prallte am Innensenator ab. Aus dem Umfeld von Geisel heißt es dann, da niemand das Innenressort wollte, mache er es so, wie er es für richtig halte. Mit Innenstaatssekretär Torsten Akmann, der zuvor Referatsleiter im Bundesinnenministerium war, hat Geisel zudem einen ausgewiesenen Fachmann an seiner Seite, der ihm den Rücken frei hält.
Geisel könnte Müller eines Tages beerben
Die Karriere von Geisel zeigt steil nach oben. Der 52-Jährige besuchte die polytechnischen Oberschule und absolvierte eine Berufsausbildung zum Fernmeldetechniker. Er war Sprecher der Jusos in Lichtenberg, Ortsvereinsvorsitzender und später Kreisvorsitzender der SPD Lichtenberg und seit Mitte der 90er-Jahre Mitglied des SPD-Landesvorstandes. Geisel war Bezirksstadtrat , später Bezirksbürgermeister. Dann Stadtentwicklungs- und nun Innensenator. Er gilt als bodenständig und wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in einem Reihenhaus in Karlshorst.
Für einige ist Geisel ein Hoffnungsträger in der Hauptstadt-SPD und ein aussichtsreicher Kandidat auf den Posten des Regierenden Bürgermeisters – auch wenn er das selbst nicht hören will. Geisel ist mit Michael Müller eng befreundet. Wenn im Sommer der SPD-Landesvorstand gewählt wird, dann wird Müller wieder für den Vorsitz kandidieren und Geisel für einen Stellvertreter-Posten. Stand jetzt. Denn die Umfragewerte sprechen gegen Müller. Das weiß man auch in der SPD. Das Problem von Geisel ist allerdings, dass er kein mächtigen Parteiströmungen hinter sich hat. „Er ist kein Funktionär“, sagt ein enger Mitarbeiter.
Da gibt es viele Anekdoten, die einiges über den Menschen hinter dem Politiker erzählen. Etwa vergangenes Jahr, beim Ball der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Geisel stattete nicht nur einen Höflichkeitsbesuch ab, sondern blieb bis weit nach Mitternacht. Oder beim Ball der Wirtschaft vor einer Woche: Andreas Geisel tanzt Runde um Runde. Und er sucht immer das Gespräch. Es gab gemeinsame Termine mit Polizeipräsident Kandt, bei denen Geisel sich nach dem Wohlbefinden von einzelnen Polizisten erkundigte, während Kandt an diesen vorbeilief. So etwas fällt auf.
Die Schonzeit für den Innensenator ist nun vorbei
Allerdings sagen Kritiker, dass Geisel aufpassen muss, nicht als Ankündigungssenator in die Geschichte einzugehen. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz hatte Geisel einen radikalen Umbau der Hauptstadtpolizei angekündigt. Mehr Personal, bessere Technik, Infrastruktur sowie den Abbau von Beförderungsstaus und eine Anhebung der Besoldung hat Geisel versprochen. Die Kassen sind voll und vieles kann nach Jahren des Sparens nun endlich umgesetzt werden. Viele Polizisten und Feuerwehrmänner sind allerdings skeptisch, da sie in der Vergangenheit zu oft enttäuscht wurden. Bislang konnte Geisel vieles auf seinen Amtsvorgänger oder die Polizeiführung schieben. Die Entlassung des Polizeipräsidenten war nicht nur eine Zäsur für die Behörde, sondern auch für Geisel selbst. Wenn der Umbau der Behörde klappt, ist er der Macher. Alles, was ab jetzt schiefläuft, geht auf sein Konto.
Der Fall Klaus Kandt:
Pensionierung: Die Pensionierung von Klaus Kandt hat viele überrascht. Während die einen sagen, dass dieser Schritt nach all den Polizei-Pannen der vergangenen Monate überfällig war, werfen andere Andreas Geisel Stillosigkeit vor. Diesen plötzlichen Abgang habe der ehemalige Elite-Polizist Klaus Kandt nicht verdient, sagen sie.
Neuanfang: Es sind viele Namen für den Posten des Polizeipräsidenten im Umlauf. Nach Informationen der Berliner Morgenpost wird der neue Chef der Behörde von außerhalb kommen. Der Vize-Posten wird hingegen mit einem Berliner besetzt.
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