Prozess in Berlin

Autodieb schleift Polizist mit und tötet ihn fast

| Lesedauer: 6 Minuten
Michael Mielke
Der Angeklagte Szymon R. verdeckt zu Prozessbeginn im Gericht in Moabit sein Gesicht

Der Angeklagte Szymon R. verdeckt zu Prozessbeginn im Gericht in Moabit sein Gesicht

Foto: Olaf Wagner

Szymon R. muss sich in Moabit wegen versuchten Mordes verantworten. Er hatte mit seinem Auto einen Polizisten fast getötet.

Berlin. Der Polizeibeamte Michael S. war in der Nacht zum 7. August 2015 mit zwei jungen Kollegen unterwegs. Es sei eine Art praktische Ausbildung gewesen, sagt der 54-Jährige am Montag vor einem Moabiter Schwurgericht. Unterwegs hatten sie auch über Funk eine Meldung von einem Autodiebstahl auf einem Parkplatz an der Ruschestraße im Ortsteil Lichtenberg gehört.

„Da habe ich noch gesagt, das ist nicht unsere Wiese“, sagt Michael S. Morgens habe er sich dann aber doch entschlossen, den jungen Kollegen den Tatort des Autodiebstahls mal zu zeigen. Das hatte für Michael S. bittere Konsequenzen: Er wurde von einem Autodieb mit einem gestohlenen Audi A5 mitgeschleift und erlitt lebensgefährliche Verletzungen.

Angeklagter gehörte zu einer polnischen Autodiebesbande

Der Täter muss sich seit Montag vor einem Moabiter Schwurgericht verantworten. Staatsanwalt Martin Glage hat den 29-jährigen Szymon R. wegen versuchten Mordes angeklagt und nennt als Mordmerkmale Habgier und Verdeckung einer anderen Straftat.

Szymon R. lässt von seinem Verteidiger eine Erklärung verlesen: Er habe sich seit 2012 mit anderen polnischen Landsleuten an Diebstählen von Autos beteiligt. Am 7. August seien sie deswegen aus Polen nach Berlin gefahren und hätten auf dem Parkplatz an der Ruschestraße einen Audi A5 gestohlen. Er gehört wegen seiner starken Motorisierung zu den von den Dieben bevorzugten Fahrzeugen. Offenbar hatten sie da schon einen zweiten Audi A5 auf dem Parkplatz gesehen. Jedenfalls waren sie wenig später noch einmal zurückgekehrt, um auch dieses Auto zu stehlen.

Dabei habe er einen VW Touran kommen sehen und sofort Verdacht geschöpft, dass es sich um Zivil­fahnder handeln könne, so Szymon R. Mehrere Personen seien ausgestiegen und auf den Audi A5, in dem er saß, zugelaufen. Einer der Männer habe versucht, die Fahrerscheibe einzuschlagen. Jedenfalls sei das sein Eindruck gewesen. Da sei er losgefahren, so Szymon R., „das Auto war mir egal, ich wollte fliehen“.

Täter hatte Wodka und Crystal Meth konsumiert

Er sei rückwärts aus der Parklücke herausgefahren und habe anfangs nicht gemerkt, dass sich eine Person am Auto festhielt. Als er Michael S., der seitlich am Wagen hing, dann doch noch entdeckte, habe er ihn loswerden wollen. „Er behinderte meine Flucht.“ Er sei dann dicht an parkenden Autos vorbeigefahren. „Es war wie in einem Tunnel, ich habe keine Kollision bemerkt“, heißt es in der Erklärung des Angeklagten.

Jedenfalls sei die Person dann nicht mehr an dem Fahrzeug gewesen. Er sei noch zwei bis drei Kilometer gefahren, habe den Audi zunächst abgestellt, weil er selbst nicht fahrtüchtig war“, so Szymon R. Er habe vor der Tat mehrfach Crystal Meth genommen und eine o,2-Liter-Flasche Wodka getrunken. Mit den Komplizen habe er keinen Kontakt aufnehmen können, weil der Akku seines Handys leer war. Später sei er dann doch noch zurück nach Polen gefahren.

„Er hat mich benutzt wie einen Fender bei einem Boot“

Den Ermittlungen zufolge war es Michael S. gelungen, durch die geöffnete Fahrertür des anfahrenden Autos zu greifen. Szymon R. soll die Tür zugeschlagen und unbeabsichtigt die Hand des Polizisten eingeklemmt haben. Dem Beamten sei es nicht mehr gelungen, sich zu befreien und von dem stark beschleunigenden Aud­i loszukommen. Szymon R. soll daraufhin Michael S. etwa 70 Meter mitgeschleift und absichtlich ein geparktes Auto gestreift haben, um den noch immer eingeklemmten Polizisten abzuschütteln. „Er hat mich benutzt wie einen Fender bei einem Boot. Das Auto ist nicht beschädigt worden“, sagt Michael S.

Er selbst kann sich nur noch daran erinnern, dass er mit den jungen Kollegen zum Parkplatz fuhr. 36 Stunden später sei er im Krankenhaus aufgewacht. Und dann gebe es noch eine Erinnerung, in der er das Geschehen von oben sieht: sich selbst, wie er von dem Audi nicht loskommt und gegen den geparkten Wagen prallt. Ein Psychologe habe ihm gesagt, das sei „eine Nahtoderfahrung“.

Der Beamte wurde lebensgefähr­lich verletzt, erlitt zahlreiche Knochenbrüche. Seine Wirbelsäule, sagt er, sei „total verdreht“ worden. Er sei 33 Jahre Polizist gewesen. „Ich habe diesen Job geliebt.“ Jetzt gebe es für ihn nur noch Schmerzen. „Ich will nur noch irgendwie über den Tag kommen.“ Als Polizist wird er nie wieder arbeiten können.

Michael S. hat die Schrauben mitgebracht, mit denen seine Wirbelsäule in den ersten Monaten gestützt und die später wieder entfernt wurden. Er schüttet sie rasselnd auf den Zeugentisch, zeigt auf sie, als fürchte er, sonst nicht verstanden zu werden. „Das Leben geht weiter. Ich mache das Beste draus“, sagt er beim Verlassen des Saales bitter.

Auf die Spur von Szymon R. kamen die Kriminalisten durch umfangreiche Ermittlungen. „Die haben richtig gute Arbeit geleistet“, lobt Staatsanwalt ­Glage. Es bedurfte damals keines Auslieferungsersuchens. Szymon R. saß schon in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Eine andere Strafkammer hatte ihn im November 2016 wegen bandenmäßigen Autodiebstahls zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der Prozess wird am 5. März fortgesetzt.

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