Berlin. Als Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) am Donnerstagmorgen, 7 Uhr, von seinen Mitarbeitern über die Flucht von Hamed M. aus dem Hochsicherheitsgefängnis Tegel informiert wurde, musste er kurz innehalten. „Mein erster Gedanke war: Das kann doch nicht wahr sein“, sagte er der Berliner Morgenpost am Freitag. Immerhin war es die zehnte Flucht eines Häftlings innerhalb von sechs Wochen
So eine Häufung hat es in Berlin seit Jahrzehnten nicht gegeben. Hinzu kommt: Im Gegensatz zur Justizvollzugsanstalt in Plötzensee, aus der am 28. Dezember vergangenen Jahres vier Insassen spektakulär geflüchtet waren, ist Tegel ein Gefängnis mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Wer in dieser Anstalt einsitzt, hat meist schwerste Verbrechen begangenen.
So auch Hamed M. Der Libyer saß seit dem 11. Oktober 2017 wegen Einbruchsdiebstahls und räuberischer Erpressung ein. Der 23-Jährige, der in Meißen (Sachsen) gemeldet ist, hatte in Berlin eine Frau überfallen und ihr Geld und ein Telefon gestohlen. M. wird zwar nicht in der Intensivtäter-Datei geführt, hat aber nach Morgenpost-Informationen ein langes Vorstrafenregister.
Donnerstag und Freitag gab es nach seiner Flucht mehrere Krisensitzungen in der Justizverwaltung. „Wir haben alle Anstaltsleiter zusammengerufen. Es geht jetzt auch darum, Nachahmer-Taten zu vermeiden und Verfahrensabläufe auf den Prüfstand zu stellen“, sagte Behrendt. Denn die Informationen verdichten sich, wie M. aus der JVA fliehen konnte. Eingesetzte Spürhunde konnten den Weg des Gefangenen, der mit dem eines Liefer-Lkw identisch ist, nachvollziehen.
Demnach gilt bislang die Theorie als besonders wahrscheinlich, dass M. gegen 17 Uhr über einen Zaun des Freistundenhofes der Teilanstalt II kletterte und sich unter dem Laster versteckte. Der Lkw fuhr in der Anstalt noch mehrere Stationen an und verließ das Gelände gegen 20 Uhr über Tor II (siehe Grafik). Der Fahrer fuhr danach auf einen Parkplatz, wo er übernachtete, um am Donnerstagmorgen nach Sachsen-Anhalt zu Lieferungen in weiteren Haftanstalten aufzubrechen. Auf der Autobahn wurde er von der Polizei angehalten. Doch von Hamed M. fehlte da schon jede Spur. „Es spricht aber sehr viel dafür, dass der Gefangene mit dem Lkw flüchtete“, sagte Innensenator Behrendt.
In der Anstalt in Tegel läuft nun eine Fehleranalyse
Nach Morgenpost-Informationen soll ein anderer Häftling Hamed M. dabei beobachtet haben, wie er über den Zaun kletterte. Videoaufnahmen der Flucht gibt es indes nicht. Die Flucht dürfte nicht ganz zufällig gewesen sein. Denn die JVA wird jeden Mittwoch beliefert. Dass das keine spontane Flucht war, zeigt auch die sorgsam drapierte Zelle. Unter anderem stopfte M. unter der Bettdecke in seinem Haftraum Stoffreste, Toilettenpapier und andere Gegenstände so geschickt, dass es bei einer oberflächlichen Kontrolle wirkte, als läge unter der Decke ein Mensch. Und etliche am Mittwochnachmittag durchgeführte Kontrollen wurden offenbar tatsächlich eher oberflächlich durchgeführt.
Bemerkt wurde das Fehlen des Gefangenen am Donnerstag bei der Öffnung der Hafträume um 6.05 Uhr. Wenig später klingelte das Telefon bei Behrendt. Am Donnerstagnachmittag veröffentlichte die Polizei eine öffentliche Fahndung. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe war M. weiter flüchtig. In der Anstalt in Tegel läuft nun eine Fehleranalyse. Denn zum einen hätte die Zelle von M. genau kontrolliert und zum anderen hätte der Lkw bei der Ausfahrt von Pförtnern besser durchleuchtet werden müssen. Um über Konsequenzen zu reden, sei es zu früh, hieß es aus der Justizverwaltung.
Erst vor einer Woche hatte Dirk Behrendt einen Brief an alle Berliner Justizvollzugsanstalten geschrieben. Darin kündigte er weitere Investitionen in die Sicherheit an. So habe der Senat Ende Januar etwa einer Investition vonzwölf Millionen Euro zugestimmt. In Tegel soll davon der Digitalfunk für die Mitarbeiter leistungsfähiger gemacht und alte Funkgeräte ausgetauscht werden – um die Kommunikation zu verbessern.
Ob das in einem Gefängnis, in dem Schwerstverbrecher einsitzen, reichen wird, ist allerdings fraglich. Vieles deutet darauf hin, dass der Fehler dieses Mal beim Personal in der Haftanstalt lag. Denn im Jahr 2003 versuchte schon einmal ein Häftling aus dem Gefängnis in Tegel zu fliehen. Auch damals wollte der Gefangene versteckt unter einem Lkw in die Freiheit gelangen. Allerdings war sein Fluchtversucht bei der Kontrolle bemerkt worden.
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