Berlin. Einige Abgeordnete halten die Adressen ihrer Büros geheim. Andere kassieren die Kostenpauschale in Höhe von 1000 Euro, zahlen aber nur rund 170 Euro Miete für versteckte Büros in einem Marzahner Plattenbau. Eine Volksvertreterin der CDU hat sich im Autohaus ihres Mannes eingemietet und der Fraktionsvorsitzende der FDP, Sebastian Czaja, hat über Monate gemeinsam mit seinem Parteikollegen Thomas Seerig die Pauschale erhalten, ohne je Miete für ein Büro bezahlt zu haben. Das haben vor einiger Zeit Recherchen der Berliner Morgenpost zu den Wahlkreisbüros der Abgeordneten im Berliner Landesparlament ergeben.
Immerhin: Czaja und Seerig haben nach der Berichterstattung die 8500 Euro, die sie von der Abgeordnetenhausverwaltung erhalten haben, zurückgezahlt. Auch eine Neuregelung der Finanzierung der Büros wird diskutiert. Denn auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass sich Abgeordnete an Kostenpauschalen bereichern, war aus dem Parlament zu hören.
Und so lag die Frage nach den Bürgerbüros Anfang November beim Ältestenrat auf dem Tisch. Abgeordnetenhauspräsident Ralf Wieland (SPD) fragte die Mitglieder eines der höchsten Parlamentsgremien, ob sie eine Reform der Bürgerbüros anstreben – so berichten es Teilnehmer der Sitzung. Das Ergebnis: Alle Fraktionen wollten zunächst einen Standpunkt erarbeiten. Dann soll das Präsidium über etwaige Reformen entscheiden. Und was ist seitdem passiert? Hört man sich knapp zwei Monate später in den Fraktionen um, wird schnell klar: So gut wie nichts.
Mehr als 130 Parlamentarier unterhalten Wahlkreisbüros, die laut Gesetz „unmittelbar der Bürgernähe der Abgeordneten zugutekommen“ sollen. Jeder Abgeordnete erhält dafür monatlich eine Pauschale von 2500 Euro – wer kein externes Büro einrichtet, erhält 1000 Euro weniger. Viel konkreter werden weder das Landesabgeordnetengesetz noch die Richtlinien des Abgeordnetenhauspräsidenten. Verkürzt lässt sich sagen: Wer einen Mietvertrag vorlegt und der Verwaltung glaubhaft darlegt, dass der Raum nicht anderweitig genutzt wird, erhält die Pauschale. Einzige Bedingung: Das Büro muss als solches gekennzeichnet sein und über einen Telefonanschluss verfügen.
„Potenzielle Verschleuderung von Steuergeldern“
Das knappe Regelwerk bringt Experten wie Christian Pestalozza, Staatsrechtler der Freien Universität, zur Ansicht: Es verleitet zur „potenziellen Verschleuderung von Steuergeldern“. Der auf vergleichende Parlamentarismusforschung spezialisierte Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden empfiehlt, im Sinne der Transparenz sollte wie in anderen Bundesländern eine kostengenaue Abrechnung statt der Pauschale eingeführt werden.
Die Linke-Fraktion steht einer solchen Regelung skeptisch gegenüber. „Das würde unnötig Bürokratie und Verwaltungskosten erhöhen“, sagt Linken-Sprecher Thomas Barthel. Und: „Wir sehen keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf.“
Die AfD will eine große Parlamentsreform in Angriff nehmen. Die Eckpunkte: Einführung eines Vollzeitparlaments und Reduzierung der Abgeordnetenzahl von derzeit 160 auf weniger als 100 Abgeordnete. „Damit sind wir automatisch bei der Bürofrage“, sagt Frank Christian Hansel, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD. „Wir fordern klare, transparente Bedingungen. Es soll möglichst ausgeschlossen werden, dass Pauschalen zweckentfremdet werden“, sagt Hansel. Wie genau diese Regelungen aussehen sollen, dazu gebe es noch keine konkreten Überlegungen.
Dass Hansel selbst seine Pauschale an die Bundesgeschäftsstelle der AfD bezahlt, bei der er sich eigenen Angaben zufolge eingemietet hat, sieht er nicht als Problem. Auch wenn er sich den Vorwurf der Querfinanzierung der Partei durch Mandatsgelder gefallen lassen muss. Und die geheimen Büroadressen der AfD-Abgeordneten? Geht in Ordnung, sagt Hansel. Wer einen Termin bei den Kollegen will, könne den telefonisch vereinbaren. „Jeder, der uns finden will, findet uns“, sagt Hansel. Man müsse sich nun mal vor Angriffen von Linksextremisten schützen.
Das sehen die Grünen anders: „Wenn wir in einer Demokratie geheim halten müssen, wo frei gewählte Parlamentarier arbeiten, dann können wir den Laden dicht machen“, sagt deren Geschäftsführer Daniel Wesener. In der Grünen-Fraktion erwäge man zwar eine Verschärfung der Büro-Regeln, konkrete Vorschläge liegen aber auch hier nicht vor. Genauso wie bei der FDP, bei der ebenfalls mindestens ein Abgeordneter seine Büroadresse geheim hält. Man fordere eine fraktionsübergreifende Enquetekommission, dort solle auch über die Abgeordnetenbüros gesprochen werden. Worüber genau? Das vermag Sprecher Thomas Neuling noch nicht zu sagen.
SPD und CDU beantworten Nachfragen nicht
Bei CDU und SPD war trotz wochenlanger Nachfragen keiner in der Lage, eine Aussage zur Reform der Bürgerbüros zu treffen. „Mich überrascht das überhaupt nicht“, sagt Fabian Hanneforth von Abgeordnetenwatch, einem Verein, der sich bundesweit für mehr Transparenz in den Parlamenten einsetze. Denn wie im Falle der Kostenpauschalen für Bürgerbüros schrieben die Abgeordneten nun mal manche Gesetze nur für sich selbst. Eigentlich müsse bei solchen Regeln besondere Sorgfalt gelten, die Parlamente müssten interne oder externe Kontrollen zulassen. „Aber das muss man sich vorstellen wie ein Kartell, es gibt ein gemeinsames Interesse daran, dass sich nichts ändert“, sagt Hannforth.
Eine Kontrolle der Abgeordnetenbüros findet in Berlin nicht statt. Einer kostengenauen Abrechnung steht man in der Verwaltung skeptisch gegenüber. Denn dies verursache zusätzliche Kosten. Die nächste Präsidiumssitzung findet Ende Februar statt. Dort sollten die Fraktionen ihre Standpunkte zum Thema Bürgerbüros vortragen. Davon geht man zumindest in der Abgeordnetenhausverwaltung aus.
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