Erst kürzlich wollte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) Berlins Schulschwänzern das Fürchten lehren. Scheeres kündigte an, dass in Zukunft auch einzelne Fehlstunden erfasst und zu Fehltagen addiert werden können. Bislang musste ein Schüler fünf komplette Tage unentschuldigt abwesend sein, damit sein Lehrer eine entsprechende Schulversäumnisanzeige stellen konnte. Ab August reichen auch 30 einzelne Fehlstunden dafür.
Allerdings ist fraglich, wie einschüchternd das ist, so lange es an der Umsetzung hapert. Gewerkschaften und Lehrer beklagen, dass es mitunter schwierig ist, die Anzeigen bei den Schulämtern der Bezirke geltend zu machen. „Es passiert durchaus, dass die Anzeigen nicht angenommen werden“, sagt die Vize-Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Marion Kittelmann, und nennt als Grund die Unterbesetzung der Ämter. Zudem werde versucht, Aufgaben wie Hausbesuche bei den Eltern oder das Kontaktieren der Jugendämter auf die Lehrer abzuwälzen.
Der Fall an einer Sekundarschule in Neukölln unterstreicht den Vorwurf: Eine Achtklässlerin hatte mehr als die Hälfte des Schuljahres gefehlt. Wegen Problemen bei der Zustellung der Anzeige an die Sorgeberechtigten wurde das Verfahren auf Eis gelegt und die Lehrerin aufgefordert, keine Schulversäumnisanzeigen in diesem Fall mehr zu stellen. Aus anderen Bezirken sind ähnliche Fälle bekannt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) weiß um das Problem – und die Folgen. „Wenn ein Lehrer zwei Mal vergeblich eine Schulversäumnisanzeige stellt, wird er es beim dritten Mal vielleicht gar nicht erst versuchen“, sagt GEW-Chef Tom Erdmann.
In der Bildungsverwaltung von Senatorin Scheeres verweist man auf die Bezirke. Dort heißt es wiederum mehrheitlich, dass man von solchen Fallen noch nie gehört habe oder es sich höchstens um Ausnahmen handeln könne. Das entsprechende Prozedere würde eingehalten: Fehlt ein Schüler zu oft, nimmt dass Schulamt die Versäumnisanzeige auf. Parallel werden die Eltern seitens der Schule zu einem Gespräch und vom Amt zu einer Anhörung eingeladen. Kommen sie dem nicht nach und greifen auch sonstige Maßnahmen nicht, kann das Ordnungsamt eine Ordnungswidrigkeit geltend machen – mit Bußgeld bis zu 2500 Euro.
Viele Bezirke betonen, dass sie in den vergangenen Jahren extra Personal ein- oder freigestellt haben, das sich um die sogenannte Schuldistanz kümmern soll. Im kürzlich verabschiedeten Doppelhaushalt 2018/19 bekamen die Bezirke Geld für neue Stellen in der Verwaltung, auch für die Schulämter. Diese zu besetzen ist aber offenbar ein Kraftakt. „Der Kampf um die Köpfe wird immer enger“, räumt Mittes Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU) ein. Mäßige Bezahlung, mäßige Arbeitsbedingungen – der Job in den Schulämtern ist nicht unbedingt begehrt. Dazu leiden die Bezirke unter – oft auch langfristigen – Krankmeldungen.
Mehr Sozialarbeiter in Schulen gefordert
Trotz Fällen, in denen Anzeigen liegen bleiben, werden insgesamt mehr Anzeigen aufgenommen, auch weil in den Schulen dafür sensibilisiert wurde. So waren es im vergangenen Schuljahr 8957, ein Plus von 18 Prozent. Im Gegenzug wurden aber nur fünf Prozent mehr Bußgelder ausgesprochen. Bildungssenatorin Scheeres hält das für „unverantwortlich“. Tatsächlich gehen die Bezirke höchst unterschiedlich mit der Schuldistanz um. Steglitz-Zehlendorf und Neukölln etwa versuchen rigoros vorzugehen (siehe Grafik). „Sonst hätten wir noch mehr Fehlstunden“, sagt Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Andere wiederum setzen ausschließlich auf Prävention und sprachen gar keine Anzeigen aus. VBE-Vize Kittelmann glaubt indes, die Lösung zu kennen: mehr Sozialarbeiter in den Schulen, die Lehrer und Verwaltungsmitarbeiter unterstützen.
Kommentar: Vorbeugen statt bestrafen