Konjunktur

Die Berliner Wirtschaft wächst - die Politik zieht nicht mit

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Dominik Bath

Die Wirtschaft in der Hauptstadtregion wächst. Doch die Kammern warnen: Die Politik könnte den Aufschwung gefährden.

Berlin. Jan Eder erinnert am Donnerstag zunächst an die schlechten Zeiten für die Berliner Wirtschaft, an die 90er-Jahre: Damals, erzählt er, waren die Prognosen düster, die Wirtschaft in der Hauptstadtregion schrumpfte. Dann lacht Eder, der heute als Hauptgeschäftsführer die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Berlin führt. Denn die 90er-Jahre sind lange vorbei, die Lage ist eine andere.

Jedes Jahr um diese Zeit legt der Kammer-Geschäftsführer gemeinsam mit seinen Kollegen aus Brandenburg die Konjunkturumfrage vor. Und seit einigen Jahren sind die Zahlen glänzend. „Damals hätten wir uns nicht träumen lassen, mal so eine Periode wie heute zu erleben“, erklärt Eder. „Die Wirtschaft in der Region brummt.“

Bei vielen Unternehmen in Berlin und Brandenburg ist die Geschäftslage zu Beginn des Jahres ausgezeichnet. „Nur fünf Prozent der Chefs sehen die Situation ihres Betriebes kritisch“, sagt Eder. Das sei der beste Wert seit 1995. In Berlin alleine sind es sechs Prozent. 91 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass sich die Geschäfte in den kommenden sechs Monaten so weiter oder sogar noch besser entwickeln. Das stimmt die Firmen optimistisch:

Exporte: Die weltweit starke Konjunktur befeuert auch den Außenhandel der Unternehmen in Berlin und Brandenburg. „Die Firmen in der Region profitieren von den steigenden Investitionen in Europa insgesamt“, sagt Wolfgang Krüger, Hauptgeschäftsführer der IHK Cottbus. Weder der Brexit noch die Ankündigungen der USA zu neuen Handelsbeschränkungen hätten dieses Wachstum bislang beeinträchtigen können, so Krüger. Allerdings: Bei den Exporten gibt es zwischen den Firmen in Berlin und Brandenburg noch immer große Unterschiede. In der Hauptstadt haben 61 Prozent der Unternehmen auch Abnehmer im Ausland.

In Brandenburg trifft das nur auf 29 Prozent der Firmen zu. Das Land liegt damit weit unter dem bundesweiten Durchschnitt von 50 Prozent. Woran liegt das? Vor allem in den ländlichen Regionen sind die Betriebe klein. Deswegen falle es vielen Firmen schwer, Handelsbeziehungen zu Kunden in anderen Ländern aufzubauen. Der Cottbuser IHK-Chef sieht die Politik in der Pflicht: „Gemeinsam mit den Unternehmen müssen Politiker ausloten, welche Produkte und Dienstleistungen im Ausland Erfolg haben könnten“, fordert Krüger.

Investitionen: Fast die Hälfte der Unternehmen in der Region Berlin-Brandeburg plant, in den kommenden zwölf Monaten die Ausgaben für Investitionen zu erhöhen. Insbesondere der Handel will tief in die Tasche greifen und damit auf das veränderte Kundenverhalten reagieren. „Wer in Zeiten von zunehmenden Online-Geschäften überleben will, muss jetzt investieren“, mahnt der Geschäftsführer der IHK in Potsdam, Mario Tobias.

Gefragt seien vor allem Händler in kleineren Städten und auf dem Land. Dort klagen viele Geschäftsleute seit Jahren über sinkende Umsätze. Die anhaltend gute konjunkturelle Großwetterlage hilft vielen Händlern bei ihren Plänen. Weil die Wirtschaft brummt, wächst die Zahl der Beschäftigten und damit auch die Kaufkraft in der Region. „Daher sind nun Mittel für notwendige Modernisierungen frei“, erklärt Tobias.

Personal: „Die Unternehmen sind weiter auf Expansionskurs“, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Ostbrandenburg, Guido Weiß. 35 Prozent der Firmen in der Hauptstadtregion geben an, im neuen Jahr mehr Mitarbeiter einstellen zu wollen. Immerhin 52 Prozent planen, die Anzahl der Beschäftigten konstant zu halten. Aufgrund der anhaltend hohen Bautätigkeit in der Region sei vor allem die Baubranche optimistisch, so Weiß. Dennoch liegt vielen Unternehmen ein Thema im Magen: Den Fachkräftemangel halten 69 Prozent der Firmen für das größte Wachstumshemmnis. 52.000 Fachkräfte fehlten bereits heute in der Region, bis 2030 steige die Zahl auf 150.000, schätzt Jan Eder von der IHK Berlin.

Verkehr: Die Wirtschaft schlägt angesichts drohender Fahrverbote für Dieselfahrzeuge Alarm. Etwa die Hälfte aller Betriebe in Berlin und Brandenburg wäre von einem möglichen Verbot in der Hauptstadt betroffen. „Produkte aus der Region gelangen nicht mit einem Lastenfahrrad zum Kunden“, sagt Guido Weiß. Ein Dieselfahrverbot habe, so Weiß, aber nicht nur Folgen für die Versorgungssicherheit in der Stadt. Unternehmen hätten die Fahrzeuge in der Regel für den langfristigen Einsatz angeschafft. Kurzfristige Fahrverbote würden die Investitionspläne der Firmen durcheinanderbringen und Zukunftschancen schmälern, glaubt Weiß.

Verunsichert seien viele Unternehmen auch immer noch mit Blick auf das Infrastruktur-Großprojekt BER. „Investitionen rund um den Flughafen beginnen erst, sobald der Eröffnungstermin nicht mehr wackelt“, sagt Berlins IHK-Geschäftsführer Jan Eder. Er mahnt, vor der Inbetriebnahme brauchten Firmen mindestens zwölf Monate Zeit, um Prozesse und die Logistik auf den neuen Airport umstellen zu können.

Gefahren: „Die gute Lage verführt“, sagt Eder. Anstatt über neue Belastungen für die Unternehmen (Krankenversicherung, Altersvorsorge) zu sprechen, müsse die Politik dafür sorgen, die derzeitige Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, mahnt Eder. „Dieses Signal muss auch von den derzeit stattfindenden Koalitionsverhandlungen ausgehen“, fordert er. In Berlin sei nach wie vor die Verwaltung das größte Problem für die Firmen. Als befremdlich empfänden viele Unternehmen die unterschiedlichen Regeln und Vorschriften in den Bezirken. Die bislang kaum digitalisierte Verwaltung sei eine „Wachstumsbremse“. Auch mit Blick auf die Wohnungsnot fordert Eder Taten: „Wenn Menschen nach Berlin kommen und keine Unterkunft finden, kommen sie eben nicht mehr.“

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