Politische Bildung

Politik wird zum Pflichtfach an Berliner Schulen

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Florentine Anders
Schüler im Bundestag

Schüler im Bundestag

Foto: Reto Klar

Senatorin Scheeres stellt eine Änderung für Sekundarschulen und Gymnasien vor. Doch die Fachlehrer üben Kritik.

Berlin.  Politik wird an Berliner Sekundarschulen und Gymnasien in der Mittelstufe zum Pflichtfach. Schon zum kommenden Schuljahr soll es auf den Zeugnissen der Schüler der siebten bis zehnten Klassen eine Note für Politische Bildung geben. Zum Schuljahr 2019/20 müssen dann alle Schulen den neuen Lernbereich Gesellschaftswissenschaften einführen, in dem die vier Fächer Geschichte, Politik, Geografie und Ethik zusammengefasst werden. Um den Anteil von Politik auf eine Stunde pro Woche anzuheben, müssen die anderen Fächer aus dem Lernbereich Stundenanteile abgeben. Auf den Zeugnissen gibt es dann für jeden der vier Bereiche eine Teilnote.

Diese sogenannte Kontingentlösung verkündete Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Mittwoch gemeinsam mit den Vertretern des Landesschülerausschusses. Die Fachlehrerverbände der Gesellschaftswissenschaften saßen nicht mit auf dem Podium, denn von einem Konsens kann keine Rede sein.

Erst kurz vor Ende des Jahres hatten Geschichtslehrer, Ethiklehrer und Geografielehrer in einem Offenen Brief erklärt, dass sie eine Kürzung jeglicher Art in einem ihrer Fächer zugunsten von politischer Bildung ablehnen. Stattdessen schlugen sie vor, Profilstunden der Schulen für diesen Bereich zu nutzen. Diese Stunden dienen Schulen beispielsweise dazu, sich mit verstärktem Musik- oder Kunstunterricht zu profilieren. Das wiederum lehnten die Schulleiter vehement ab, die um die besondere Ausrichtung und damit um die Attraktivität ihrer Schule fürchteten. Eine Erhöhung der Stundenzahl insgesamt wurde von allen Beteiligten ausgeschlossen, da die Belastung der Schüler schon jetzt hoch ist.

Senatorin Scheeres betont Bedeutung des Fachs

„Es gab eine große Einigkeit der Beteiligten, was das Ziel betrifft, die politische Bildung zu stärken, so lange es nicht den eigenen Bereich betrifft“, sagte Scheeres am Mittwoch. Da ein Kompromiss nicht in Sicht war, sah sie sich gezwungen, nun eine Entscheidung zu treffen. „Es ist wichtig, dass Schüler wissen, was Demokratie bedeutet und wie sie sich antidemokratischen Tendenzen entgegenstellen“, sagte die Senatorin. Bisher spielt Politik in den siebten bis zehnten Klassen nur am Rande im Rahmen des Faches Geschichte eine Rolle. Weil Politische Bildung nicht benotet wird und der Lehrplan in Geschichte ohnehin sehr dicht gepackt ist, fällt das Thema jedoch häufig unter den Tisch.

Die Schülervertreter hatten bereits 2014 zu ihrer Kernforderung gemacht, ein Pflichtfach Politik einzuführen. In mehreren Gesprächsrunden mit den beteiligten Fachverbänden wurden im vergangenen Jahr verschiedene Modelle diskutiert. „Wir sind jetzt froh über die Entscheidung und erhoffen uns, dass durch die Stärkung der politischen Bildung Extremismus und Politikverdrossenheit abnehmen“, sagte Schülervertreter Franz Kloth. Es sei wichtig, dass Schüler mindestens ein Mal pro Woche die Gelegenheit haben, aktuelle politische Themen anzusprechen. Und das nicht bei irgendeinem Lehrer, sondern bei dem, der mit fundiertem Wissen auf die Fragen antworten kann, so der Schülervertreter.

Wie das konkret umgesetzt wird, müssen nun die gesellschaftswissenschaftlichen Lehrer an jeder Schule gemeinsam aushandeln und im Schulprogramm festlegen. Möglich wäre zum Beispiel, das Fach Ethik von derzeit zwei Stunden pro Woche auf anderthalb Stunden zu reduzieren, rechnet die Bildungsverwaltung vor. Aber auch andere Varianten wären je nach Schwerpunkt der Schule denkbar. Vorgegeben werden lediglich ein minimaler und ein maximaler Anteil je Fach. An Gymnasien gibt es bisher fünf Stunden pro Woche für alle Gesellschaftswissenschaften zusammen, an den Sekundarschulen sind es vier Stunden. Die Anzahl soll gleich bleiben, aber die Verteilung über einen Doppeljahrgang wird flexibler.

Der Vertreter des Berliner Verbandes der Fachlehrer für Ethik, Dankried Gabriel, reagierte am Mittwoch schockiert: „Wir sind völlig überrascht von der Entscheidung“, sagte Gabriel. In den Diskussionen zuvor hätte Einigkeit geherrscht, dass das Fach Ethik nicht angetastet werden solle. Zufrieden äußerten sich dagegen die Schulleiter der Gymnasien. Die jetzt verkündete Lösung greift schließlich die Vorschläge auf, die der Verband der Berliner Oberstudiendirektoren erst kürzlich formuliert hatte.

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