Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat die geplante Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschulfassade als einen „erschreckenden Akt der Kulturbarbarei“ kritisiert. „Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs, das ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte“, erklärte Grütters am Mittwoch. „Wer dieses Grundrecht durch vermeintliche political correctness unterhöhlt, betreibt ein gefährliches Spiel.“
Klaus Lederer (Linke) bezeichnete die geplante Übermalung als überzogen. „Ich halte den Vorwurf des Sexismus gegen den Dichter Eugen Gomringer für absurd“, sagte der Berliner Kultursenator am Donnerstag in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses. Er habe zwar Respekt vor der Hochschulautonomie, sagte Lederer. Doch viele Kunstwerke ließen sich unterschiedlich interpretieren. Es könne nicht jedes Werk getilgt werden, weil es ambivalent sei. Der Linken-Politiker sprach sich für eine gesellschaftlichen Debatte aus, auch über strukturellen Sexismus.
Der Axel Springer Verlag stellte das Gedicht unterdessen in spanischer Sprache auf das Leuchtband an seiner Fassade. „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt twitterte: „auf unserem verlagsgebäude läuft das gedicht von #gomringer jetzt und leuchtet in die nacht. gegen den irrsinn der gedichtübermaler und kunstfreiheitsgegner.“
Der Akademische Senat der Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf hatte am Dienstag entschieden, das angeblich sexistische Gedicht zu übermalen. Dabei geht es um den Satz: „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“. Hochschulangehörige hatten kritisiert, damit würden Frauen zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert.
Eugen Gomringer hatte die Entscheidung des Akademischen Senats der Hochschule heftig kritisiert. „Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie“, sagte der 93-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Der Deutsche Kulturrat, Spitzenorganisation von 250 Bundeskulturverbänden, reagierte „erschüttert“.
Der Fall hatte bereits im vergangenen Jahr international Aufsehen erregt. Das Deutsche PEN-Zentrum und der Kulturrat warnten vor Zensur. Die Hochschule verteidigte ihre Entscheidung dagegen. Für sie bedeute das Votum „ein klares Bekenntnis zur Kunst“, erklärte Rektor Uwe Bettig am Dienstag.
Gomringers Gedicht steht seit 2011 in großen Lettern auf der Südfassade der Hochschule im Stadtteil Hellersdorf. Die Verantwortlichen hatten damit die Vergabe ihres Alice Salomon Poetikpreises an den Lyriker würdigen wollen.
Bei einer Fassadenrenovierung im Herbst soll nun stattdessen ein Text der letztjährigen Preisträgerin Barbara Köhler angebracht werden, wie von ihr selbst vorgeschlagen. In fünf Jahren käme dann erneut ein Wechsel.
Angeblich sexistisch: Hochschule lässt Gedicht übermalen