Berliner Gefängnis

Noch mehr Häftlinge aus JVA Plötzensee geflohen als bekannt

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Alexander Dinger
Blick auf die Gefängnismauer und zwei Wachtürme der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee

Blick auf die Gefängnismauer und zwei Wachtürme der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee

Foto: Paul Zinken / dpa

Insgesamt sind neun Häftlinge aus der Haftanstalt entflohen. Zwei Gefangene sind mittlerweile wieder da. Der Druck auf Behrendt wächst.

Berlin. Der Skandal um die Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee weitet sich aus. Insgesamt sind in den vergangenen Tagen neun Häftlinge aus der JVA entwichen – vier aus dem geschlossenen und fünf aus dem offenen Vollzug. Das sind zwei mehr als bislang bekannt. Noch am Tag des Ausbruchs der vier Häftlinge mit Hammer und Flex am 28. Dezember vergangenen Jahres war den Gefängniswärtern aufgefallen, dass sich ein weiterer Häftling nicht aus dem offenen Vollzug zurückgemeldet hatte. Neu ist, dass auch am 30. Dezember und am 31. Dezember jeweils ein Gefangener in den Abendstunden aus dem offenen Vollzug verschwand – die beiden Männer waren zwar offenbar in die JVA Plötzensee zurückgekehrt, aber von dort mit einem Sprung über den Zaun wieder geflüchtet. Im Gegensatz zum geschlossenen Vollzug hat der offene Vollzug kaum Sicherheitsvorkehrungen.

Am 1. Januar flohen dann zwei weitere Männer aus dem offenen Vollzug. Sie rissen ein Gitter vor einem Fenster aus der Verankerung und konnten so verschwinden. Einer der beiden Häftlinge stellte sich allerdings kurze Zeit später wieder. Nach Informationen der Berliner Morgenpost war aus dem Raum, aus dem die beiden flohen, 2014 schon einmal ein Häftling verschwunden. Danach war das Gitter notdürftig repariert worden. Der Vorfall bleibt auch unabhängig davon kurios. Die Frage ist, warum die beiden Männer ein Gitter überwanden, wenn sie am nächsten Tag einfach nicht hätten vom Freigang wiederkommen müssen.

Während Zielfahnder des Landeskriminalamtes noch nach den Männern suchen, die mit Hammer und Flex aus dem Gefängnis ausbrachen, stellte sich diesen Dienstag einer der Ausbrecher im Beisein seines Anwaltes. Josef A. war der mit der höchsten Haftstrafe unter den vier Flüchtigen. Er hätte bis 2020 im Gefängnis sitzen müssen.

Der staatenlose Mann saß wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl im Gefängnis. Er soll versucht haben, seiner Frau ein Auge auszustechen. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) teilte mit, dass A. in eine Anstalt mit höheren Sicherheitsvorkehrungen verlegt werde. Nach den restlichen drei Gefangenen wird noch immer gefahndet.

Generell gilt, dass die JVA Plötzensee nicht vergleichbar ist mit anderen Gefängnissen wie Moabit oder Tegel, in denen auch Schwerverbrecher untergebracht sind. Plötzensee ist ein Gefängnis mit geringeren Sicherheitsstandards. Neben dem geschlossenen Vollzug gibt es in Plötzensee auch den offenen Vollzug, das zentrale Justizvollzugskrankenhaus für alle Berliner Gefängnisse, eine gefängniseigene Autowerkstatt und eine Jugendstrafanstalt. In der JVA verbüßt fast jeder dritte Gefangene eine Ersatzfreiheitsstrafe. Das sind zum Beispiel solche Kriminelle, die wiederholt wegen Schwarzfahrens erwischt wurden. Der offene Vollzug, der die Resozialisierung erleichtern soll, liegt vor den Gefängnismauern. Wer hier flüchten möchte, kann das relativ einfach tun.

Justizsenator Behrendt kündigte am Dienstag unterdessen eine Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen in der JVA an. Der Grünen-Politiker erklärte: „In der JVA Plötzensee kommen nun alle Sicherheitsvorkehrungen auf den Prüfstand. Das Personal in der JVA Plötzensee wird nochmals verstärkt. Zudem habe ich eine Kommission aus internen und externen Sicherheitsexperten eingesetzt, um Schwachstellen zu analysieren und zu beseitigen.“ Er sei weiterhin bereit, jederzeit den Rechtsausschuss umfassend zu informieren. Behrendt verwies darauf, dass im Jahr 2017 allein aus dem offenen Vollzug in Plötzensee 42 Mal Häftlinge entwichen seien. In den Jahren zuvor waren es zwischen zehn und 43.

Aktuell wird in der JVA-Plötzensee untersucht, ob die vier Ausbrecher vom 28. Dezember möglicherweise Komplizen innerhalb des Gefängnisses hatten. Denn noch ist unklar, wie die vier Männer in den eigentlich abgeschlossenen Heizungsraum gelangen konnten, aus dem sie dann ins Freie gelangten.

Trotz der Pannenserie der vergangenen Tage hat das offenbar keine Konsequenzen für die Gefängnisleitung. „Der Anstaltsleiter leistet eine hervorragende Arbeit. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln“, sagte der Sprecher der Justizverwaltung, Sebastian Brux, der Berliner Morgenpost.

Wieso ein Ausbruch aus dem Gefängnis nicht strafbar ist:

Ein Gefängnisausbruch an sich wird nicht bestraft. Vereinfacht gesagt, ist der Drang eines Menschen nach Freiheit nicht strafbar. Es sind vielmehr die Begleittaten, die einen Ausbruch strafbar machen – denn in den seltensten Fällen können Gefangene einfach aus dem Gefängnis spazieren.

So haben sich beim Ausbruch aus der JVA Plötzensee die vier Gefangenen mindestens der Sachbeschädigung schuldig gemacht, weil sie ein Loch in die Wand des Heizungsraums gehackt haben. Ein weiterer Tatbestand könnte möglicherweise der des Diebstahls sein. Denn für ihre Flucht nutzten die Gefangenen eine Flex und einen Hammer, die den Männern nicht gehörten, ebenso die Gefängniskleidung. Ungeklärt ist auch die Frage, wie die vier Männer in den Heizungsraum gelangen konnten. Denn normalerweise ist der Raum gesichert. Die Frage ist, ob hier möglicherweise der Straftatbestand der Bestechung erfüllt wurde. Bestraft wird auch die Hilfe zur Gefangenenbefreiung. Helfern können bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen.

Neben Strafen müssen die Männer in Plötzensee aber auch mit verschärften Haftbedingungen rechnen. Der Mann, der sich am Dienstag über seinen Anwalt stellte, wurde laut Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bereits in eine andere Anstalt mit höheren Sicherheitsvorkehrungen verlegt. Wer schon einmal aus der Haft ausgebrochen ist, kann auch nicht mehr mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen.

Video von der Pressekonferenz am 28. Dezember:

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