Berlin/Schönefeld. Seit 2006 wird der neue Hauptstadtairport gebaut. Fünf Mal wurde seine Eröffnung schon abgesagt. Nun soll es 2020 so weit sein.
Inzwischen sprechen Aufsichtsräte direkt mit Ingenieuren von der Baustelle des unfertigen Hauptstadtflughafens BER. Das ist ein Fortschritt. Früher verließen sich die Kontrolleure des größten Infrastrukturvorhabens Ostdeutschlands allein auf die Berichte der Geschäftsführung. Ignoranz oder Verschleierungstaktik der verschiedenen BER-Chefs führten im Verein mit Desinteresse der Aufseher zu den zahlreichen unhaltbaren Ankündigungen und den stets darauf folgenden Terminverschiebungen.
Jetzt schauen die Aufsichtsräte, von denen mit dem SPD-Politiker Engelbert Lütke Daldrup einer im März in die Flughafen-Geschäftsführung wechselte, auch den Praktikern in die Augen. Und sie hören immer wieder: Es geht. Es sei möglich, die einzelnen technischen Anlagen fertigzustellen und den Flughafen auch vom Bauordnungsamt abgenommen zu bekommen. Auf dieser Hoffnung gründet sich der am Freitag vom Flughafenchef bekannt gegebene neue Eröffnungstermin für den BER: Oktober 2020.
Schon 2012 wurde erwogen, den Bau komplett zu entkernen
Ob die Inbetriebnahme des neuen Hauptstadtflughafens fast achteinhalb Jahre nach der peinlichen Kurzfrist-Absage der Eröffnung im Juni 2012 tatsächlich gelingen wird, bleibt aber weiterhin vor allem eine Glaubensfrage. Niemand kann bis heute mit Sicherheit sagen, ob die verschiedenen Systeme bis dahin tatsächlich zusammen funktionieren. Manche sehen da schwarz. So erklären sich auch Vorschläge etwa von Anton Hofreiter, dem Grünen-Fraktionschef im Bundestag, das Hauptterminal gar nicht fertigzubauen und den BER nur in einer Not-Variante zu eröffnen. Schon 2012 wurde darüber nachgedacht, den Bau komplett zu entkernen. Der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) war dagegen. Er fürchtete die Bilder vom BER mit offenem Dach. Inzwischen sind fast alle Experten einig, dass ein Rückbau die schnellere und sicherere Variante im Vergleich zum Weiterbau gewesen wäre.
Gewissheit darüber, ob die Technik im Terminal reibungslos arbeitet, kann erst die sogenannte Wirk-Prinzip-Prüfung nach Abschluss aller Bauarbeiten bringen. Zusammen mit dem Probebetrieb dauert diese zwölf bis 14 Monate. Da lauern noch viele Risiken. Erst einige Monate nach dem Bauende, laut Flughafenchef Lütke Daldrup weiter für 2018 angestrebt, wird sich am BER Glauben in Wissen verwandeln. So oder so.
Denn wir erleben seit Jahren eine gigantische Reparatur, offiziell sprechen die Verantwortlichen von „einer Sanierung im Bestand“. Wie verkorkst das Gesamtsystem einmal war, belegen rund 400 Räume im Terminal, die auf keinen Plänen auftauchten. Sie einfach einzumauern und als „weiße Räume“ zu vergessen, ging auch nicht. Für die Gebäudetechnik ein massives Problem.
Zwar versichern Vertreter von Siemens, Bosch und anderen am Bau beteiligten Unternehmen, dass die jeweils von ihnen zu verantworteten Anlagen für sich funktionieren würden. Doch die Komplexität hat sich im Laufe der nunmehr elf Jahre Bauzeit massiv erhöht. „Das Problem waren die grundsätzlichen Änderungen in der Planung über die Laufzeit“, sagte Thomas Reinicke von Bosch Sicherheitstechnik. Siemens zum Beispiel hatte zunächst den Auftrag, 113 Entrauchungsklappen elektronisch zu steuern. Sie gehörten zu der riesigen, als „Monster“ bezeichneten Entrauchungsanlage für das Hauptterminal. Sie hat sich als nicht funktionstüchtig erwiesen und war damit wesentlich für das Scheitern früherer Eröffnungstermine verantwortlich. Sie war nicht in der Lage, im Brandfall giftige Gase zuverlässig sowohl aus der riesigen Haupthalle als auch aus kleinen Büros zu saugen. Um 2014 war nicht ausgemacht, ob nicht wirklich nur der Abriss helfen würde.
Flughafen war vor einem Jahr schon in der „Schlusskurve“
Unter der Regie des später wegen Korruption verurteilten Kurzzeit-Technikchefs Jochen Großmann begann man, das Monster aufzuteilen. Das dauerte. Inzwischen reden die Ingenieure von 14 unterschiedlichen Systemen. Für Siemens bedeutet die Neukonzeption, dass sie nun zehnmal mehr Klappen zu regeln haben als ursprünglich gedacht. Aber selbst wenn die Steuerungssoftware an sich funktioniert, muss sich erst noch erweisen, ob die vielen Klappen im richtigen Moment auch öffnen oder schließen.
Vor Jahresfrist hatte der Aufsichtsrat noch wohlgemut die Eröffnung des BER bis Ende 2017 in Aussicht gestellt. Doch dann musste der damalige Flughafenchef Karsten Mühlenfeld einräumen, dass es bei der Steuerung der mehr als 1400 Türen massiv hakt und die Sprinkleranlage nicht mit den diversen Erweiterungen des BER mitgewachsen war.
Diese späte Erkenntnis legte abermals den fehlenden Überblick über die Baustelle offen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), seinerzeit noch Flughafen-Aufsichtsratschef, fiel mit der Aussage auf die Nase, der BER befinde sich in der „Schlusskurve“. Seit Monaten werden die Türen nun neu eingesteuert, es wird nachgerechnet, wie das Löschwasser auch in die letzten Winkel fließen kann. Viele Kilometer Rohre sind auszutauschen, neue Sprinklerköpfe an die Decke zu schrauben. All das erfordert neue Pläne und Ausschreibungen. Anders als private Bauherren unterliegt der Flughafen als Staatsunternehmen dem strengen Regime des öffentlichen Vergaberechts. Auch das bremst die Geschwindigkeit, mit dem auf Probleme reagiert werden kann.
Aber auch die Aussagen der Gutachter von Tüv und anderen sind weit entfernt von unantastbarer Objektivität. Dass der jüngste Tüv-Bericht den Anlagen von Siemens und Bosch „systemische Mängel“ bescheinigt, hat die Manager irritiert. Neue Anforderungen seien aufgemacht, zusätzliche Redundanzen gefordert worden. Jetzt treffen sich die Techniker mit Planern, Flughafenvertretern und Prüfern zu „Entscheiderrunden“, um für alle akzeptable Lösungen für technische Fragen auszuhandeln.
Zettel an Kabelsträngen und Schaltkästen
Auch das ist nicht neu auf der Dauer-Baustelle BER. Insider berichten von zahllosen Stellen im Innenleben der gewaltigen Maschine namens Fluggastterminal, wo Zettel an Kabelsträngen und Schaltkästen hängen. Diese entsprächen zwar nicht der DIN-Norm, wurden aber dennoch zunächst abgenommen. Ob am Ende die gestrengen Beamten des Bauordnungsamtes alle ausgehandelten Lösungen akzeptieren, ist offen. Eine weitere Glaubensfrage am BER. Zumal angesichts der skandalösen Vorgeschichte und der Großspurigkeit früherer Flughafen-Manager kaum ein Gutachter und erst recht kein Beamter der Baubehörde bereit ist, großzügig zu sein und damit auch selbst Verantwortung für eventuelle spätere Pannen zu übernehmen.
Eine Glaubensfrage sind auch die möglichen Folgen eines Starttermins 2020 oder gar noch später. Wann die Anwohner von Tegel Anspruch auf Schallschutz haben, darüber streiten die Juristen. Eigentlich läuft die Sondergenehmigung für die Ausnahme von geltenden Lärmschutzstandards Ende 2019 aus. Ob und auf welchem Niveau die Flughafengesellschaft wirklich neue Fenster und andere teure Schallschutzmaßnahmen umsetzen muss, darüber werden wohl erst die Gerichte über mehrere Instanzen hinweg entscheiden müssen.