Berlin. Fröhlich hüpft der dreijährige Max vor dem Hauseingang in der Kreuzberger Graefestraße umher. „Wir gucken uns jetzt unsere Wohnung an“, sagt er. „Wir gucken uns e i n e Wohnung an“, verbessert ihn seine Mutter Julia M. mit einem milden Lächeln. Auch die 38-Jährige ist ganz gut gelaunt, während die anderen etwa zwei Dutzend Wartenden an diesem verregneten Novembermorgen eher missmutig die Mäntelkragen hochziehen.
Immerhin, eine Wohnungsbesichtigung mit so wenigen Teilnehmern habe sie bisher kaum erlebt, sagt die alleinerziehende Mutter. Bei der letzten Besichtigung im Bezirk Prenzlauer Berg habe sie mit mindestens 150 Leuten zusammen eine Wohnung angeschaut. Da sei dieser Termin schon wesentlich entspannter.
Julia M. sucht erst seit einem Monat nach einer Wohnung für sich und ihren Sohn. Nach der Trennung von ihrem Mann möchte sie einen Neuanfang in einer neuen Umgebung. In der alten Wohnung zu bleiben, käme für sie nicht infrage. Und auch finanziell wäre es für beide Partner nicht leicht, die bisherige Wohnung in Mitte zu bezahlen.
Beinahe täglich steht nun eine Wohnungsbesichtigung auf dem Programm. Sohn Max ist immer dabei. „Mir ist es wichtig, wie er auf die Wohnung reagiert“, sagt Julia M.. Wenn er eine Wohnung ganz und gar ablehne, dann käme sie auch für sie nicht infrage. Die Mutter ist noch ganz zuversichtlich, obwohl sie weiß, wie angespannt der Markt ist.
Ihre Traumwohnung hat Dielenboden, befindet sich in einem schönen Altbau und ist maximal eine halbe Stunde von Mitte entfernt, wo Max in die Kita geht. Denn noch mehr Veränderung durch einen Kitawechsel will sie ihrem Kind in der Trennungsphase nicht zumuten. Immerhin kann sie als Grundschullehrerin ein gutes Gehalt vorweisen. Sie weiß aber auch, dass viele Vermieter lieber keine Kinder im Haus haben oder eher auf die finanzielle Sicherheit von Doppelverdienern setzen.

Beim Selbsthilfeverein für alleinerziehende Mütter und Väter „Shia“ kann man das bestätigen: „Alleinerziehende haben es besonders schwer, in Berlin eine Wohnung zu finden“, sagt die Geschäftsführerin des Vereins, Martina Krause. Einelternfamilien hätten meist ein geringeres Einkommen als Doppelverdiener, schon dadurch würden sie nicht unbedingt an erster Stelle stehen, wenn sich viele Interessenten um eine Wohnung bewerben. Dabei gehört diese Form der Minifamilie in Berlin zur Normalität: Der Anteil der Alleinerziehenden ist hier mit rund 32 Prozent bundesweit am höchsten.
Vater sucht schon seit zwei Jahren eine Wohnung
Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht für die Einelternfamilien darin, dass sie bei ihrer Suche weniger flexibel sind, denn nicht jede Wohnlage kommt infrage. „Kita oder Schule des Kindes sollten in der Nähe sein, und auch der andere Elternteil sollte nicht zu weit entfernt sein, damit die Wege überhaupt im Alltag für die Alleinerziehenden machbar sind“, sagt Martina Krause. Immer häufiger spiele die Wohnungsnot bei den Beratungsgesprächen im Verein eine Rolle.
Die Mitarbeiter beraten dann über verschiedene Möglichkeiten, wie Eltern-Kind-WG’s oder Generationenwohnen. Doch auch solche alternativen Formen würden inzwischen häufig daran scheitern, dass kein Wohnraum zur Verfügung steht. Selbst Mütter und Väter mit Wohnberechtigungsscheinen (WBS) hätten es schwer, denn es gebe einfach nicht genügend Sozialwohnungen, sagt die Beraterin.
Rinaldo (33) sucht seit zwei Jahren eine Wohnung für sich und seinen Sohn. Nachdem er sich von der Mutter getrennt hatte, zog er zunächst in eine Eltern-Kind-WG in Neukölln. Das Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens habe ihm gefallen. Doch dort musste er bald wieder ausziehen, als sich herausstellte, dass die WG beim Vermieter nicht angemeldet war.
Kurzfristig konnte ein Arbeitskollege mit einer Ein-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg aushelfen, ein typisches Single-Apartment mit offener Küche. „Was damals eigentlich als Notlösung gedacht war, ist inzwischen eine Dauerlösung“, sagt der 33-Jährige. Die Mutter wohne in Kreuzberg, die Kita sei in Mitte und das soziale Umfeld nun in Prenzlauer Berg, irgendwo in diesem Dreieck suche er nach einer Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung.
Der Vater hat eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und schreibt nebenbei an seiner Promotion. Doch im Moment nehme die meiste Zeit die Wohnungssuche in Anspruch. „Dabei ist gerade Zeit das, was Alleinerziehende am wenigsten haben“, sagt er. Die Arbeit an seiner Promotion muss da oft zurückstehen. „Besonders frustrierend ist es, wenn der ganze Aufwand dann nie von Erfolg gekrönt ist“, sagt Rinaldo.
Wo Sie sich Berlin noch leisten können - Interaktiv
Dabei hat der Vater sogar einen Wohnberechtigungsschein. Damit sind zwar weniger Bewerber bei einem Besichtigungstermin, aber das Angebot reicht auch hier nicht aus. „Bisher kam ich jedenfalls nie in die engere Auswahl“, sagt er. Oft erhalte er nicht einmal einen Besichtigungstermin auf seine Anfrage. Über die Gründe könne man nur spekulieren. Persönlich bei den Wohnungsbaugesellschaften vorzusprechen, sei so gut wie unmöglich. In der Regel werde man schon am Eingang durch Sicherheitspersonal abgewimmelt.
Selbsthilfeverein fordert mehr Sozialwohnungen
Martina Krause vom Selbsthilfeverein „Shia“ kritisiert: „Der soziale Wohnungsmarkt wurde in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefahren, während die Bevölkerungszahl wächst.“ Jetzt würden sich die Folgen zeigen. Zumindest die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften müssten mehr Angebote zur Verfügung stellen, sagt die Beraterin.
Julia M. ist noch zuversichtlich: „Ich bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis ich eine Wohnung habe“, sagt sie. Ihr Sohn Max jedenfalls hätte die in Neukölln nach der Besichtigung genommen. „Das große Bad war schön“, sagt er. Seine Mutter hat den kompletten Ordner mit den Bewerbungsunterlagen bei der Verwalterin abgegeben. Doch schon am folgenden Tag schauen sich die beiden die nächste Wohnung an.
Hier finden Mieter in Not Hilfe
Drei Zimmer, Küche, Bad - Für viele Familien unerreichbar
Das müssen Berliner Mieter zu Modernisierungen wissen
Gestrandet in Berlin - Zwei Koffer, aber keine Wohnung