Berlin. Axinja Heydolph wischt ihre Tränen weg. „Für unsere Familie, für unsere drei Jungs, ist es eine Katastrophe“, sagt sie. Familie Heydolph hat wie alle anderen Eltern vergangene Woche per Mail erfahren, dass die Montessori-Schule in Heiligensee ab Sommer 2018 ihr Schulgebäude verlieren wird.
180 Schulkinder, 25 Kita-Kinder und 50 Mitarbeiter und Lehrer der Schule wären von der drohenden Schließung betroffen. Nach eigenen Angaben kommen 80 Prozent der Schüler und 96 Prozent der Kita-Kinder aus Reinickendorf.
Montessori-Schule muss Platz für Sekundarschule machen
Zum Schuljahr 2016/17 war die Schule an den Stolpmünder Weg 45 umgezogen. Zuvor war sie im Diakoniezentrum Heiligensee untergebracht. Weil der seit 2014 anvisierte Standort, das ehemalige Collège Voltaire in der Cité Foch erst nach dem Freizug der Flüchtlingsnotunterkunft zur Verfügung stand, sprang der Bezirk ein und überließ die Räumlichkeiten am Stolpmünder Weg der Privatschule.
„Zum Schuljahr 2018/19 wird das Schulgrundstück und Gebäude nun von der Albrecht-Haushofer-Schule benötigt und entsprechend in Betrieb genommen und zwar für die integrierte Sekundarschule“, erläuterte Schulstadtrat Tobias Dollase (parteilos, für CDU) in der Bezirksverordnetenversammlung. Am Schulgebäude hätten deshalb erste Umbaumaßnahmen begonnen.
Die Albrecht-Haushofer-Schule werde mit diesem Filialstandort ihre Zügigkeit um zwei/zweieinhalb Züge erhöhen. „Diese Schulplätze benötigt der Bezirk unbedingt, um die Nachfrage in diesem Schulzweig für die nächsten Jahre abzudecken“, sagte Dollase. Man habe zweimal den Mietvertrag mit der Montessori-Schule verlängert, aber er müsse als Schulstadtrat öffentliche Schulplätze garantieren. Privatschulen in eigenen Räumlichkeiten aufzunehmen, sei einfach derzeit mit den Kapazitäten nicht mehr möglich.
Bim zieht Angebot für Gebäude und Gelände zurück
Doch damit nicht genug: Ende Oktober flatterte der Schule bereits die erste Hiobsbotschaft ins Haus. Die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (Bim) zog ihr Erbpachts- und Mietvertragsangebot vom Dezember 2016 für das Collège Voltaire an der Rue Racine 7 zurück. Die Begründung: Das Gelände werde „zur Erfüllung der Aufgaben des Landes Berlin“ gebraucht. Damit ist auch die letzte Option für die Schule vom Tisch. „Die Zeit rennt uns jetzt davon. Wir stehen bald auf der Straße. Wir haben nicht damit gerechnet, dass alle Nebenverhandlungen im Sande verlaufen“, sagt die Geschäftsleiterin des Schulstandortes Christiane Ostrin.
Gesucht wird ein circa 2000 Quadratmeter großes Gebäude mit Außengelände, das als Schulhof nutzbar ist. Langfristig würde die Schule auch selbst bauen. „Wir müssen jetzt berlinweit nach geeigneten Gebäuden und Flächen schauen. Notfalls stellen wir Container auf, machen verkleinert weiter. Auf jeden Fall wollen wir irgendwie die Schule erhalten“, sagt Ostrin.
Wer etwas wisse, solle sich bei der Schule melden. „Auch wir versuchen der Montessori-Schule zu helfen, einen geeigneten Standort möglichst in Reinickendorf zu finden“, sagt Dollase. Der Bezirk stehe im Austausch mit dem Senat und der Bim, um doch noch eine Lösung zu finden.
Pachtgebühren für Montessori-Schule zu hoch
Nach Darstellung der Bim habe man lange mit den Verantwortlichen der Schule verhandelt und auf eigene Kosten eine Machbarkeitsstudie mit der Montessori-Schule erstellt. „Leider ist der Zustand des Gebäudes so schlecht, dass die hohen Sanierungskosten keine Wirtschaftlichkeit bei einer durch die Schule tragbaren Miete zulassen“, antworte Bim-Sprecherin Katja Cwejn auf Anfrage.
Dass die angedachte Miete und Pacht horrend hoch seien, widerspricht die Bim. „Die der Montessori-Schule unterbreiteten Angebote für eine Miet- bzw. Erbbaurechtsvertragslösung entsprechen den üblichen Konditionen.“ Da keine Lösung gefunden worden sei, werden nun „alternative Nutzungen für die Liegenschaft geprüft“, sagt sie. Gerüchteweise sollen Wohnungen auf dem Gelände entstehen. „Die Pacht oder Miete hätten wir uns niemals leisten können. Wir müssten unsere sozialverträglichen Schulgelder extrem erhöhen, um das stemmen zu können“, sagt Ostrin.
Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Montessori-Stiftung Christian Grune kritisiert, dass die Bim der Schule nicht entgegengekommen ist, zumal die Schule staatlich anerkannt sei und es eine große Nachfrage gäbe. Der Druck, der auf dem Bezirk laste, sei hingegen verständlich, meint er.
„Wir sind Normalverdiener, die sich den Luxus absparen“
Nicht nur die drei Söhne Kyd (8), Nik (13) und Ben (15) der Familie Heydolph würde eine Schließung der Schule schwer treffen. Auch Mutter Axinja und Vater Claus arbeiten an der Schule. Sie als Lehrerin für die naturwissenschaftlichen Fächer und er als Hausmeister. Wie viele Eltern der Schule wollen auch die Heydolphs am integrativen Montessori-Schulkonzept festhalten. Keinesfalls wollen sie ihre Kinder in eine öffentliche Schule schicken. „Unser Sohn Nik ist schwerstbehindert. Er würde untergehen und auch die anderen Kinder hätten massive Probleme, sich umzustellen“, sagt Vater Claus.
„Wir sind hier nah dran an den Kindern. Zwei bis drei Pädagogen unterrichten 23 Kinder. Viele Schüler bringen ihre Geschichten aus dem öffentlichen Schulleben mit. Dort wurden sie abgestempelt, ihnen wurde gesagt, sie könnten gar nichts. Viele kamen frustriert und verängstigt hier an“, erzählt Axinja Heydolph. Auch ihrem ältesten Sohn sei es so ergangen. „Wir sind Normalverdiener, die sich dieses Glück für ihre Kinder absparen“, sagt Claus Heydolph. Die Familie will nicht aus Heiligensee wegziehen. „Zur Not müssen wir Shuttles zum neuen Montessori-Standort mit den anderen Eltern einrichten.“
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