Berlins gefährliche Orte

Der Regenbogenkiez in Schöneberg ist in Gefahr

| Lesedauer: 6 Minuten
Alexander Dinger
Die Straßenkreuzung Eisenacher und Fuggerstraße ist das Herz des Regenbogenkiezes. Hier gibt es zahlreiche schwulen- und lesbenfreundliche Kneipen, Restaurants, Cafés, Hotels und Geschäfte

Die Straßenkreuzung Eisenacher und Fuggerstraße ist das Herz des Regenbogenkiezes. Hier gibt es zahlreiche schwulen- und lesbenfreundliche Kneipen, Restaurants, Cafés, Hotels und Geschäfte

Foto: David Heerde

Berlins tolerantester Kiez gerät immer öfter in die Schlagzeilen. In Schöneberg häufen sich homophobe Übergriffe und Raubtaten.

Das „Sally Bowles“ an der Eisenacher Straße liegt mitten im Regenbogenkiez. Wer sich an einem Wochenende abends auf einen der Außenplätze setzt, kann beobachten, warum das Schöneberger Gebiet als eines von zehn kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin gilt. Die 200 Meter zwischen Fugger- und Courbiere­straße werden dann zum „Laufsteg“. Junge Männer, viele davon aus Rumänien und Bulgarien, sind auf der Suche nach Freiern. Viele von ihnen sind nur wenige Wochen im Kiez und konkurrieren mit den alteingesessenen Strichern. Kommen Alkohol und Drogen hinzu, wird die Stimmung aggressiv.

„Ich kenne viele vom Sehen her“, sagt Sebastian Ungruhe, Chef vom „Sally Bowles“. Seine Bar liegt mitten in Berlins bekanntestem Schwulenkiez. Schon oft seien Besucher belästigt worden. Die Palette reiche vom harmlosen Fragen nach Zigaretten bis zum Entblößen vor Gästen. Ungruhe hat schon häufiger ein Machtwort gesprochen oder Menschen, die belästigt wurden, Zuflucht in seiner Bar gegeben. „Dieser Kiez lebt von seiner Toleranz. Deshalb kommen so viele Menschen gern hierher. Und das soll auch so bleiben“, sagt Ungruhe.

Von den Strichern selbst will keiner seinen Namen in der Zeitung lesen. Die meisten reagieren abweisend, wenn sie Kamera und Notizblock sehen. Einer sagt, dass er „Adonis“ heiße. Seine Freunde, die um ihn herum stehen, aber nicht reden wollen, lachen. Viele Stricher geben sich Fantasie-Namen. „Ich bin nur ein paar Wochen hier“, sagt der junge Mann. Dann gehe es für ihn weiter in eine andere Stadt. Stress wolle er keinen. Den gebe es nur, wenn seine Kunden nicht zahlen oder um den Preis feilschen wollen. Die Spanne liege bei ihm zwischen 25 und 70 Euro. „Ich mache aber keinen Sex“, sagt er. Das heißt: Anfassen ist okay, Bilder machen auch. Er sei schließlich nicht schwul, sagt Adonis. Und für Personen, die Freier ausrauben würden, habe er auch kein Verständnis. Das mache das Geschäft kaputt.

Der Regenbogenkiez ist, was seine Kriminalität betrifft, homogener als es auf den ersten Blick wirkt. Viele Stricher kommen aus denselben Dörfern in Rumänien. Großfamilien wie in Neukölln oder Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak und Syrien sind hier indes kaum unterwegs. Sie machen um das Viertel einen Bogen.

Kiez mit traditionsreicher Geschichte

Der Regenbogenkiez hat eine stolze Geschichte. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich laut Bezirk rund um die Motz-, die Nollendorf-, die Eisenacher Straße und die Fuggerstraße die Berliner Homosexuellenszene. In dem Kiez liegen zahlreiche schwulen- und lesbenfreundliche Kneipen, Restaurants, Cafés, Hotels und Geschäfte. Wahrzeichen ist die nachts regenbogenfarbig beleuchtete Kuppel des U-Bahnhofs.

Seit ein paar Jahren ist Berlins tolerantester Kiez aber immer öfter in den Schlagzeilen. Neu ist, dass es auch Meldungen über Hasskriminalität gibt. Das heißt: Menschen werden gezielt wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Diese Form der Kriminalität geht oft einher mit Raub. Viele dieser Taten werden mit dem „Antanz-Trick“ durchgeführt. Erst vor wenigen Wochen wurde nach Informationen der Berliner Morgenpost ein prominenter homosexueller Künstler im Regenbogenkiez auf dem Weg zu einer Feier zusammengeschlagen und ausgeraubt. Anzeige erstattet er nicht – aus Angst vor Öffentlichkeit.

Ende vergangenen Jahres zog der Betreiber der „Lieblingsbar“ die Reißleine und schloss sogar sein Lokal. Als Grund hatte er die steigende Kriminalität rund um die Eisenacher Straße genannt. Viele Gäste würden die Gegend aus Angst vor Übergriffen meiden, hieß es damals. Andere Wirte aus dem Kiez halten das für übertrieben, wenngleich auch sie die aggressiven jungen Männer, die Gäste belästigen, kennen. Man müsse das Problem endlich offen ansprechen. Es sei aber nicht so schlimm, dass man deshalb seine Bar gleich schließen müsse, sagt Ungruhe.

Seit Jahren steigende Kriminalitätszahlen

Der Blick in die Statistik stützt indes beide Thesen. Die Polizei registrierte in den vergangenen Jahren immer mehr Straftaten – auch solche mit homophobem Hintergrund. Seit einigen Monaten gibt das Zahlenwerk allerdings auch Anlass zur Hoffnung. In vielen Deliktsbereichen stagnieren die Zahlen oder sind leicht rückläufig. Allerdings weiß niemand, wie hoch die Dunkelziffer ist. Viele Opfer gehen aus Scham nicht zur Polizei – auch wenn Ermittler dringend dazu raten. Das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo weist seit Jahren auf diesen Umstand hin und fordert einen behutsamen Umgang mit Betroffenen.

Beim Umgang mit aggressiven jungen Männern hat Maneo-Leiter Bastian Finke auch eine klare Meinung. „Es ist zum einen wichtig, Regeln klar durchzusetzen und deutlich zu machen, dass im Regenbogenkiez keine rechtsfreien Räume existieren“, sagt er. Hier sei die Polizei gefordert, die schnell und gezielt reagieren müsse, die Durchsetzung der Regeln sicherstelle und Straftaten systematisch verfolge. Doch der Maneo-Chef mahnt auch einen differenzierten Blick auf die Lage an. „Prostitution im Kiez ist nicht das zentrale Problem. Ein großes Problem sind Personen, die vorgeben, auf den Strich zu gehen, sich jedoch eigentlich auf Beutezug befinden“, sagt er. Diese Täter würden die Offenheit von Menschen ausnutzen und Szene-Gäste anmachen, um sie dann auszunehmen.

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