Nach Exklusiv-Bericht von Berliner Morgenpost und RBB fordern Politiker Aufklärung über Zusammenhänge mit Anschlag am Breitscheidplatz.

Nach den Berichten über den zweifelhaften Einsatz eines V-Mannes in der Islamisten-Szene und im Umfeld des Attentäters vom Breitscheidplatz haben Parlamentarier aus Berlin und Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie des Bundestages Aufklärung gefordert. Wie die Berliner Morgenpost und der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) berichtet hatten, soll ein als „Vertrauensperson 01“ (VP-01) geführter informeller Zuträger des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen mehrere Islamisten zu Anschlägen angestachelt haben – womöglich auch Anis Amri, den Attentäter vom Breitscheidplatz.

Der Vorsitzende des Berliner Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Behördenhandelns im Fall Amri, der CDU-Abgeordnete Burkard Dregger, kündigte an, die mutmaßliche V-Mann-Affäre auf die Tagesordnung des Ausschusses zu setzen. „Wir können das nicht ignorieren, sondern werden die Berliner Behörden befragen“, sagte Dregger. Auch der Vorsitzende des Untersuchungssausschusses in Nordrhein-Westfalen, Jörg Geerlings (CDU), sagte, er gehe davon aus, dass man den Fall sehr schnell auf die Agenda setzen werde. Die NRW-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Monika Düker, sagte, es sei nicht auszuschließen, dass der V-Mann „ein doppeltes Spiel spielte“. Es sei aber zu bedenken, dass die Vorwürfe aus der Islamisten-Szene kämen.

Der Fall Anis Amri -- Chronik eines Terroranschlags

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    Linke will V-Leute-System abschaffen

    Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, André Hahn, der auch dem Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste angehört, bekräftigte die Forderung seiner Partei, das V-Leute-System abzuschaffen. „Es bringt nicht mehr Sicherheit, sondern gefährdet im Zweifelsfall sogar Leib und Leben von Menschen“, sagte Hahn. Das Handeln der VP-01 müsse von der Staatsanwaltschaft untersucht werden. „Wer zu Gewalt, Terror und im Zweifel zu Mordtaten aufruft, ist ein Fall für die Justiz und muss entsprechend hart bestraft werden“, sagte Hahn.

    Der Vizechef der Bundestagsfraktion der Grünen, Konstantin von Notz, verwies darauf, dass seine Fraktion schon im März einen Untersuchungsausschuss auch auf Bundesebene gefordert habe. „Wenn man bei der Aufklärung den gleichen Ehrgeiz gezeigt hätte wie bei symbolpolitischen Maßnahmen wie einer elektronischen Fußfessel für Gefährder, wären wir ein gutes Stück weiter“, sagte von Notz.

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      Mehrere Strafverteidiger erhoben Vorwürfe

      Der Vorwurf, VP-01 habe Islamisten nicht nur ausgekundschaftet, sondern auch zu Anschlägen angestachelt, wurde von mehreren Strafverteidigern erhoben. Die Mandanten, über deren Erfahrungen mit VP-01 die Rechtsanwälte berichteten, wurden in unterschiedlichen Verfahren angeklagt. Zwei von ihnen wurden bereits verurteilt, so dass sie sich von negativen Aussagen über VP-01 keine Vorteile erhoffen können.

      Eine weitere Aussage über die Anstachelungsversuche stammt von einem Zeugen, der die Islamisten-Szene verlassen hat. Er hatte die Polizei bereits im Dezember 2016 informiert, dass der als „Murat“ auftretende V-Mann gesagt habe, man brauche „gute Männer, die in der Lage sind, Anschläge zu verüben“. Gegenüber Reportern des Rechercheteams des RBB und der Berliner Morgenpost bekräftigte er seine Aussage.

      Linke-Politikerin: „Sumpf aus Verheimlichung und Verschleierung“

      Amri Akte
      Amri Akte © BM | BM

      Ein interner Bericht des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes nährt zudem den Verdacht, VP-01 könnte auch die Planungen des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri forciert haben. Dem Vermerk zufolge berichtete ein früherer Islamist, VP-01 habe „nach einem zuverlässigen Mann für einen Anschlag mit einem Lkw“ gesucht. VP-01 und Amri hatten zeitweilig engen Kontakt. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) sagte vor diesem Hintergrund, es sei „eine furchtbare, aber leider nicht abwegige Vorstellung, dass das Massaker am Breitscheidplatz von einem Agent Provocateur angestachelt wurde“. Sie sprach von einem „Sumpf aus Verheimlichung und Verschleierung“.

      Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeigers“ musste das NRW-Landeskriminalamt den V-Mann frühzeitig abschalten, um ihn nicht in Gefahr zu bringen. Der Informant sei demnach Ende August 2016 durch das mutmaßliche Terrornetzwerk um den Hass-Prediger Abu Walaa enttarnt worden, also vier Monate vor dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt. Nach der Enttarnung soll Abu Walaa laut Bundesanwaltschaft dazu aufgerufen haben, ihn ermorden zu lassen. Die Annahme, dass der V-Mann Anis Amri zur Tat anstachelte, ist durch die Information allerdings nicht widerlegt.

      Karneval der Kulturen wurde als stark gefährdet eingestuft

      Die Aussagen des mittlerweile enttarnten V-Mannes wurden in mehreren Gerichtsverfahren genutzt, zurzeit in einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle gegen Anhänger der Zelle um Abu Walaa. Das Verfahren wird vom Generalbundesanwalt geführt. Zu den Vorwürfen gegen VP-01 wollte sich die Behörde allerdings nicht äußern. Auch das LKA NRW, das für die Führung von VP-01 verantwortlich war, lehnte eine Stellungnahme ab.

      Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sicherte der Justiz bei der Aufklärung Unterstützung zu. „Wenn im Zuge des Verfahrens herauskommt, dass es in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit zu Fehlern gekommen ist, dann werden diese Fehler klar benannt“, sagte Reul.

      „Karneval der Kulturen“ war stark gefährdet

      Das Magazin „Focus“ berichtet unterdessen unter Berufung auf Akten des Bundeskriminalamtes (BKA) über die Folgen eines Fundes auf dem Handy von Anis Amri. Ermittler hätten dort im Zuge der nachträglichen Ermittlungen zum Anschlag vom Breitscheidplatz im März dieses Jahres verschlüsselte Nachrichten eines Absenders aus dem Sudan entdeckt. In einer Nachricht sei von einer „großen Hochzeit“ die Rede gewesen. Die Polizei habe daraufhin den Berliner „Karneval der Kulturen“ als stark gefährdet eingestuft.

      Der Berliner Rechtsanwalt Andreas Schulz, der die Interessen der Angehörigen der Opfer des Breitscheidplatz-Anschlages vertritt, sagte dem „Focus“, dass der Anruf vermuten lasse, dass Amri Verbindung zu einem ausländischen Geheimdienst gehabt habe. Die Bundesanwaltschaft und das BKA wollten den Bericht nicht kommentieren.

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