Hebammenkunde

In Berlin gibt es jetzt Hebammen mit Hochschulabschluss

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Anette Nayhauss
Hebamme Lea Schlicht

Hebamme Lea Schlicht

Foto: David Heerde

Die ersten 13 Absolventinnen eines neuen Studiengangs an der Evangelischen Hochschule Berlin erhalten jetzt ihr Bachelor-Zeugnis.

Lea Schlicht wusste schon in der neunten Klasse, dass sie Hebamme werden will. Daran änderte sich bis zum Ende der Schulzeit nichts, auch dann nicht, als sie ihr Abiturzeugnis in Empfang nahm und die Freunde fragten, ob sie mit ihrem Einser-Abi nicht studieren wolle. Sie wollte. Und zwar Hebammenkunde. Vor vier Jahren stellte die Berliner Morgenpost Lea Schlicht vor, weil sie zum ersten Jahrgang gehörte, der an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) ein Studium der Hebammenkunde aufnahm. Jetzt ist sie eine der 13 ersten Absolventinnen in Berlin, die im Oktober den Bachelor of Science of Midwifery verliehen bekommen.

Seit 2013 gibt es den Studiengang für Hebammenkunde in Berlin. Damit war die EHB einerseits früh dran: Das Studienfach boten damals nur wenige andere Hochschulen in Deutschland an. Andererseits hing die Bundesrepu­blik zurück: In Österreich und der Schweiz gibt es solche Studiengänge bereits deutlich länger, in Großbritannien, Australien, Kanada können angehende Hebammen zwischen zahlreichen Hochschulen wählen.

Für Eins-zu-eins-Betreuung bleibt häufig keine Zeit

In Deutschland werden jährlich 500 bis 600 Hebammen ausgebildet, die meisten von ihnen an einer der etwa 60 Hebammenschulen. Die 13 Frauen aus dem Studiengang in Berlin haben den praktischen Teil ihrer Ausbildung an der Schule für Gesundheitsberufe am St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof absolviert. Die EHB kooperiert mit der katholischen Einrichtung, in der 2016 4535 Babys zur Welt kamen und die damit die geburtenstärkste Klinik Deutschlands ist. Die Hochschule ist für den theoretischen Unter- und Überbau zuständig.

„Hebammen arbeiten eigenverantwortlich für die Gesundheit von Mutter und Kind, das heißt, sie müssen Probleme eigenständig erkennen und Lösungsstrategien entwickeln. Dafür müssen sie wissenschaftliche Erkenntnisse kennen, verstehen und umsetzen können“, sagt Melita Grieshop, Professorin für Hebammenkunde und Leiterin des Studiengangs an der EHB. Deshalb sei es „unstrittig, dass die Hebammenbildung auf akademisches Niveau angehoben werden muss“.

"Die Frauen bringen ihre ersten beruflichen Erfahrungen mit in die Hochschule"

Der theoretische Hintergrund sei wichtig, findet auch Lea Schlicht, die ihr Studium jetzt beendet. Hebammen müssten schließlich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten. Als Beispiel nennt sie ihre Bachelorarbeit, in der sie sich mit dem Angst-Anspannung-Schmerz-Kreislauf während der Geburt beschäftigt habe: Angst führe zu stärkerer Anspannung, diese zu stärkerem Schmerz, der dann wiederum die Angst verstärke.

„Diesen Kreislauf zu durchbrechen, versuche ich ganz gezielt in meiner Arbeit im Kreißsaal“, erklärt die 22-Jährige. Andererseits kommt ihr dabei der Alltag immer wieder in die Quere: „Eigentlich funktioniert das nur bei einer Eins-zu-eins-Betreuung.“ Dafür aber bleibe keine Zeit, wenn im Kreißsaal viel los sei. Wenn Theorie und Praxis so aufeinanderprallten, sei das manchmal schon sehr frustrierend, räumt sie ein.

Im Studium sollen die Hebammen sich natürlich auch mit genau diesen Themen auseinandersetzen, sagt Melita Grieshop. „Sie bringen ihre ersten beruflichen Erfahrungen mit in die Hochschule, können diese hier diskutieren und reflektieren.“

Für Hebammen mit Abschluss dauert das Studium nur noch zwei statt vier Jahre

Zu den frustrierenden Erfahrungen gehört auch, dass sich der akademische Abschluss in der Bezahlung nicht niederschlägt. „Das muss sich erst noch entwickeln“, sagt Lea Schlicht. Die Entwicklung gehe aber in die Richtung, hat sie im Alltag festgestellt: Ihre Studienkolleginnen und sie würden im Kreißsaal immer wieder von Hebammen ohne akademische Ausbildung angesprochen, die sich ebenfalls für ein Studium interessierten.

Seit 2016 können auch sie sich an der EHB bewerben. Für Hebammen mit Abschluss dauert das Studium dann nur noch zwei statt vier Jahre. Möglicherweise werden sich sogar noch mehr Hebammen mit fertiger, dreijähriger Ausbildung um einen Studienplatz bewerben, wenn sie künftig im Gespräch mit Kolleginnen immer wieder an diese Möglichkeit erinnert werden: Auf den Namensschildern der akademisch ausgebildeten Hebammen solle künftig neben „Hebamme“ auch der Abschluss „Bachelor of Science of Midwifery“ zu lesen sein, das hätten sie am St. Joseph durchgesetzt, erzählt Lea Schlicht.

Die Akademisierung sei nicht aufzuhalten, ist Melita Grieshop überzeugt. Der Beruf verlange Kompetenzen, die auf akademischem Niveau angesiedelt seien. Die Berufsordnung fordere, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu arbeiten. Voraussetzung sei, dass man diese verstehen und in die Praxis mitnehmen könne. Außerdem sehe die EU-Richtlinie zu Berufsqualifikationen vor, dass vor der Ausbildung mindestens zwölf Jahre Schulbildung stehen müssten – „weil man eben für diesen Beruf ein sehr gutes Bildungsniveau braucht“, betont Melita Grieshop. Die Zukunft der Ausbildung liege deshalb an den Hochschulen, ist sie überzeugt – ohne dass man auf die Expertise und Expertinnen der Hebammenschulen verzichten wolle.

Vorerst allerdings ist die Zukunft der akademischen Hebammenausbildung in der „Warteschleife“, wie Grieshop es nennt: Die Modellstudiengänge seien trotz der „sehr positiven Ergebnisse in der Evaluierung“ noch nicht zu Regelstudiengängen geworden. „Ich würde mir wünschen, dass wir aus dem Modellstudiengang heraus in die Regelfinanzierung des Landes Berlin überführt werden“, formuliert die Professorin vorsichtig.

Der Bedarf ist vorhanden: Auch wegen der hohen Nachfrage für Hebammen im Gesundheitswesen hat die EHB die Zahl der Studienplätze erhöht. Inzwischen werden 23 Bewerberinnen zugelassen, drei mehr als in Lea Schlichts Jahrgang.

Hebammen ziehen sich aus freiberuflicher Arbeit zurück

Gebraucht werden sie – den Hebammenmangel spüren werdende Eltern nicht nur in Berlin, wenn sie keine Geburtshelferinnen mit freien Terminen für die Nachsorge finden. Auch Beleghebammen, die die Schwangere bei der Geburt begleiten, sind auf Monate ausgebucht. In den Kliniken müssen die festangestellten Mitarbeiter oft mehrere Schwangere gleichzeitig betreuen, weit entfernt von der vom Deutschen Hebammenverband geforderten Eins-zu-eins-Betreuung für die Gebärende. Immer mehr Hebammen zögen sich wegen schlechter Rahmenbedingungen aus der freiberuflichen Arbeit zurück, warnt der Interessenverband. Diese Rahmenbedingungen sollen jetzt nach Verbandsangaben noch schlechter werden, weil die Beleghebammen ab 2018 weniger Leistungen abrechnen könnten.

Auch Lea Schlicht erzählt von Schichten, in denen sie das Gefühl hat, keiner der betreuten Frauen wirklich gerecht zu werden, weil sie von einem Raum zum anderen hetzt. An ihrer Berufsentscheidung aber zweifele sie nicht, versichert sie: Hebamme sei immer noch ihr Traumberuf.

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