Ich bin früher gern mit der Straßenbahn gefahren. Es ging nicht besonders schnell, ich hatte Zeit, aus dem Fenster zu schauen, konnte träumen und gucken und fand es geradezu gemütlich, derart durch die Gegend zu zuckeln. Fast täglich bin ich Mitte der 70er-Jahre auf der Prenzlauer Allee Höhe Marienburger Straße in eine der blassgelben Bahnen eingestiegen, die mich bis zum Hackeschen Markt gebracht haben. Von dort war es dann nicht mehr weit bis zur Humboldt-Universität in Mitte.
Zumindest morgens war ich meist später dran als all die Werktätigen, die mit der Bahn zu ihren Arbeitsstellen fuhren. Völlig überfüllte Wagen, in die man sich mit ganzer Kraft hineindrängen musste, habe ich allenfalls am Nachmittag erlebt, wenn es mal später wurde an der Uni. Die Tram war neben der S-Bahn das wichtigste Verkehrsmittel in Ost-Berlin, entsprechend voll waren morgens und abends die Bahnen.
Zugegeben, komfortabel waren diese Fahrten nicht. Die Bahnen waren alt, die Schienen auch und beides nicht besonders gut gewartet. Ein Freund hat es einmal auf den Punkt gebracht. Er könne das Gequietsche und Geschurre der Straßenbahnen einfach nicht ertragen, sagte er. Mich hat das nicht gestört. Ich mochte die rumpligen Fahrten auf den harten Sitzbänken und das laute Geräusch, das beim Öffnen der Waggontüren zu hören war, die man mit Kraft zur Seite schieben musste. Und ich war traurig, als die Bahnen, die zumeist noch aus der Vorkriegszeit stammten, Ende der 70er-Jahre nach und nach durch moderne Tatra-Züge ersetzt wurden. Altmodisch war auch der Erwerb eines Fahrscheins. In jedem Waggon gab es eine sogenannte Zahlbox, einen viereckigen Kasten, in den man 20 Pfennige einwerfen sollte. Dann musste man an einer Kurbel drehen. Die setzte eine Papierrolle in Gang, von der man sich einen Fahrschein abreißen konnte. Das Ganze funktionierte natürlich auch ohne Geld oder mit Knöpfen, die wie Münzen schepperten.
Selten bin ich mit der Straßenbahn woanders hingefahren als von Prenzlauer Berg bis zur Humboldt-Uni und zurück. Eine Fahrt ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Durch Zufall geriet ich in eine Bahn, die Oberschöneweide durchquerte. Alle Wagen waren vollgestopft mit Menschen, die von der Schicht kamen oder zur Arbeit wollten, an den Fenstern zogen Fabrikgebäude und Baracken vorbei, die Luft war voller Dreck. Es fühlte sich damals für mich an wie in den 20er-Jahren. So etwas konnte man nur in der alten Straßenbahn erleben. Auch deshalb habe ich sie geliebt.