„Willkommen“ steht auf einem Schild am Seiteneingang der Volksbühne. „Herzlich willkommen“, sagt eine junge Frau am improvisierten Empfangstisch zu der Besucherin, die fragt, ob sie mal hereinschauen dürfe. Jeder, der ein Angebot mache, sei willkommen in der Programmgruppe, die die Bespielung des Hauses organisiere, sagt Sarah Waterfeld, Sprecherin der Aktivisten, die das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz seit Freitag besetzt halten.
Kommentar: Der Kultursenator muss jetzt handeln
Ein offenes Haus: In diesem Punkt halten die Politaktivisten des inzwischen aufgelösten Kollektivs „Staub zu Glitzer“ ihr Versprechen. Jeder ist willkommen in diesen Tagen, seit die Volksbühne zur ganz großen Bühne „für die politische Neuverhandlung der Stadtentwicklung, für künstlerische Schöpfung und gestaltende Intervention“ erklärt wurde – ob nun mit dem Farbenkoffer fürs Kinderschminken oder einer Tanzperformance, mit einem Antikriegsfilm oder einem Diskurs zur marxistischen Kapitalismuskritik. Auch dem Team von Regisseurin Susanne Kennedy, das seine Proben für das geplante neue Stück an der Volksbühne vorerst abgesagt hatte, stünden die Türen offen, sagt Lale Willan. „Die haben von sich aus gesagt, sie würden so nicht proben“, sagt die 34-Jährige.
So offen sind die Strukturen an dieser besetzten Volksbühne, dass selbst das Plenum – offiziell das Beschlussgremium der Aktivisten – jedem offen steht, der gerade im Haus ist. Dass Sprecherin Sarah Waterfeld unter diesen Umständen am Mittwochmittag keine Voraussagen machen will, wie sich das Plenum am Abend zum Vorschlag von Intendant Chris Dercon und der Kulturverwaltung unter Senator Klaus Lederer (Linke) stellen werde, überrascht da wenig. Die Aktivisten, so das Angebot, dürften den Grünen Salon und den Pavillon für ihre Zwecke nutzen, wenn dafür der Rest des Hauses geräumt und der Proben- und Spielbetrieb des Theaters gewährleistet werde. Ein „großzügiger Vorschlag“, findet Waterfeld, mit dem anerkannt werde, dass „unsere Ängste und Nöte Berechtigung haben“.
Regierung will keinen rechtsfreien Raum dulden
Einstimmig begrüßt aber wird das Angebot nicht unter den 50 bis 60 Menschen, die sich zum Kern der Aktivisten zählen. Es gebe die Idee einer Sammlung, um Chris Dercon auszuzahlen und den Betrieb der Volksbühne unter einem Kollektiv zu organisieren, erzählt einer der Helfer, die durchs Haus laufen, Essen organisieren, Absperrungen aufstellen oder wegräumen. Und Hendrik Sodenkamp aus dem Initiativkreis der Besetzer macht sich Sorgen um jene Künstler, die mit Dercons Lösung aus dem Grünen Salon oder dem Pavillon verdrängt würden.
Für Kultursenator Klaus Lederer wäre eine weitere Hinhaltetaktik äußerst problematisch. Schon jetzt gibt es im Senat, insbesondere vonseiten des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), Unmut darüber, dass sich am Rosa-Luxemburg-Platz die nächste national und international beachtete Berliner Blamage anbahnen könnte. „Der Senat duldet keine rechtsfreien Räume in der Stadt“, stellt Senatssprecherin Claudia Sünder gegenüber der Morgenpost klar. Eine langfristige Duldung der Besetzer wie ehemals der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer an der Kreuzberger Gerhard-Hauptmann-Schule werde es an der Volksbühne nicht geben. „Wenn die Hausherren, also Intendanz und Kulturverwaltung, die Volksbühne räumen wollten, würde die Innenverwaltung dem nachkommen“, signalisiert Sünder die Bereitschaft, zur Not auch diesen Weg zu gehen. „Natürlich aber ist eine deeskalierende Lösung die beste“, fügt sie hinzu. Als „inakzeptabel“ bezeichnet die Grünenpolitikerin und Vorsitzende des Kulturausschusses im Abgeordnetenhaus, Sabine Bangert, die Situation. „An die Besetzer geht die Aufforderung, die Volksbühne unverzüglich zu verlassen“, so Bangert. Die AfD setzte das Thema für die Sitzung im Abgeordnetenhauses am Donnerstag auf die Tagesordnung.
Aus Lederers Verwaltung heißt es, man suche mit Nachdruck nach einer Lösung. Der Forderung nach einer kollektiven Intendanz erteilte man bereits eine Absage, wollte aber die Beratung der Besetzer am Mittwoch abwarten. Einen schlechten Dienst dürfte dem Senator der Sprecher der Linksfraktion, Thomas Barthel, erwiesen haben. Bei Facebook kritisierte er die Besetzer, so werde Chris Dercon „der Märtyrermantel des Unterdrückten umgehängt“. Lederer hatte das Engagement Dercons abgelehnt, muss aber jetzt dessen Rückkehr an die Volksbühne sicherstellen.
Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins und Intendant des Deutschen Theaters Berlin, fordert am Mittwoch die Aktivisten auf, das Angebot der Intendanz zu akzeptieren. Auch der Verein „Freie Volksbühne Berlin“ argumentiert, das Anliegen, Menschen den Weg ins Theater zu ebnen, werde durch die Besetzung konterkariert. Die Belegschaft des Theaters twittert am Mittwoch ein Stimmungsbild: „Beendet die Besetzung. Wir wollen arbeiten!“
In einem Gespräch mit Dercon und den Besetzern am Mittwochmorgen hatten die Mitarbeiter den Aktivisten nahegelegt, das vorliegende Angebot anzunehmen. Klar ist für die Besetzer aber in jedem Fall, dass sie bleiben wollen. „Wenn geräumt wird, wird das die blutigste Räumung, die Berlin je gesehen hat“, sagt Hendrik Sodenkamp. „Wir haben literweise Theaterblut. Und das werden wir dann auch einsetzen.“
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