Ein Gedicht des bolivianisch-schweizerischen Schriftstellers Eugen Gomringer an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule hat einen hitzigen Streit ausgelöst. Studenten des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) der Hochschule kritisieren das Gedicht „avenidas“ in einem Offenen Brief als frauenfeindlich und fordern seine Entfernung, wie die „Berliner Zeitung“ berichtete. Das Parlament der Hochschule habe sich daraufhin mit knapper Mehrheit für einen Ideenwettbewerb zur Gestaltung der Fassade ausgesprochen.
Der 92-jährige Gomringer ist Träger des Poetik-Preis der Hochschule in Berlin-Hellersdorf, an der Sozialarbeiter, Pflegemanager, Physiotherapeuten und Kinderpädagogen ausgebildet werden. Sein in Spanisch geschriebenes Gedicht stellte er der Einrichtung dem Bericht zufolge aus Dankbarkeit zur Verfügung. Seit fünf Jahren ziere es die Südfassade des Hochschulgebäudes, ohne dass sich jemand daran gestört habe. Übersetzt laute der Text „Alleen, Alleen und Blumen – Blumen, Blumen und Frauen – Alleen, Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“.
Die Kritiker im Asta beklagen in dem Offenen Brief die Reproduktion einer patriarchalischen Kunsttradition. Dieses Gedicht anzuschauen, wirke wie „eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potenziell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“. Frauen würden darin nur als schöne Musen dargestellt, die dem männlichen Künstler bloß zur Inspiration dienten. Das PEN-Zentrum in Darmstadt sprach dem Bericht zufolge dagegen von einem „Maulkorb für die Kunst“, von „Zensur“ und „Bilderstürmerei“. PEN-Ehrenpräsident Christoph Hein wandte sich demnach direkt an den Rektor der Hochschule und forderte auf, „den Studierenden etwas von Erziehung und Bildung zu vermitteln und nicht deren unerzogene Unbildung zu respektieren“.