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Müller auf Antisemitismus-Liste: Was sagen Berliner Juden?

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Martin Niewendick
Michael Müller (rechts) mit dem israelischen Präsidenten Reuven Rivlin am Brandenburger Tor

Michael Müller (rechts) mit dem israelischen Präsidenten Reuven Rivlin am Brandenburger Tor

Foto: Wolfgang Kumm / dpa

Die Überlegung des Simon Wiesenthal Centers stößt in der Hauptstadt weitestgehend auf Unverständnis. Wir haben nachgefragt.

Jakob Augstein, Thilo Sarrazin, Recep Tayip Erdogan, Mahmoud Ahmadinejad - sie alle standen in der Vergangenheit auf der "Liste der 10 schlimmsten antisemitischen/antiisraelischen Verunglimpfungen" des US-amerikanischen Simon Wiesenthal Centers (SWC). Die Organisation will auf besonders krasse Fälle von Judenfeindschaft weltweit hinweisen und veröffentlicht die Aufstellung seit 2010.

Weil er als Bürgermeister der laut SWC "wichtigsten europäischen Stadt" nicht gegen die Boykott-Kampagne BDS und den jährlichen Al-Kuds-Marsch vorgeht, könnte nun auch Michael Müller dort landen. Wir haben bei einigen jüdischen Berlinern nachgefragt, was sie von der möglichen Listung des SPD-Politikers halten.

Michael Müller könnte auf Antisemiten-Liste landen

Ich kenne Herrn Müller persönlich, er ist kein Antisemit. Das Problem liegt meines Erachtens in der SPD. Die Aufnahme von Herrn Müller in die Liste wäre falsch und verharmloste den aktiven Antisemitismus hochrangiger SPD-Politiker in Deutschland. Der aktuelle Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, honorierte die Verbreitung des klassischen mittelalterlichen Antisemitismus-Klischees von der Brunnenvergiftung durch das Palästinenser-Oberhaupt Mahmud Abbas vor dem EU-Parlament.

Der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel übt ohne jeglichen "Faktencheck" einseitige Kritik an Israel und definierte kürzlich sogar den Holocaust neu. Unser amtierender Bundespräsident, Frank Walter Steinmeier, hielt es für ausgewogen, bei seinem Besuch in Israel am Grab des Chef-Terroristen und Antisemiten Arafat in Ramallah einen Kranz niederzulegen. Die SPD hat definitiv ein Antisemitismus Problem. Und der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf. Diese Politiker gehören in die Top-Ten-Liste. Oder sind sie schon darauf? - Vladislava Zdesenko, 40, Rechtsanwältin

Der Vorwurf, Michael Müller sei ein Antisemit und hinsichtlich der schlimmsten antisemitischen/antiisraelischen Ausfälle auf eine Stufe mit Thilo Sarrazin, Mahmoud Ahmadinejad oder Recep Tayyip Erdogan zu stellen, ist lächerlich. Gleichwohl hätte ich mich gefreut, wenn der Regierende Bürgermeister zu dem BDS-Boykott gegen das Pop-Kultur-Festival öffentich Stellung bezogen hätte - ohne die Zuständigkeit des Kultursenators Klaus Lederer, der dazu das Nötige gesagt hat, zu mindern. Der Boykott-Aufruf war ein klarer Fall von israelbezogenem Antisemitismus. Dennoch rechtfertigt dieser Mangel an ausdrücklicher Stellungnahme gegen antisemitische Vorgänge nicht den Vorwurf, Michael Müller sei ein Antisemit. - Levi Salomon, 58, Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus

Das SWC bemüht sich mit dieser alljährlichen Liste, Aufmerksamkeit gegenüber jenem Antisemititsmus zu erreichen, der weitgehend unbemerkt die Hirne der Menschen langsam vergiftet. Dazu muss er sich just jene aussuchen, die entweder diese "Unbemerktheit" garantieren, zulassen, sanktionieren, oder jene, die (wie Augstein) nebenbei und wie selbstverständlich Lügen über Juden und Israel verbreiten und gestalten. Die Vordenker, die Zulasser, die Ignorierer. Insofern ist es absolut richtig, Michael Müller auszuwählen: Als Regierender Bürgermeister hätte er die Pflicht, Antisemitismus gegenüber aufmerksam zu sein, ihn stets zu benennen und zu unterbinden. - Sandra Kreisler, 55, Sängerin

Die mögliche Entscheidung des Simon Wiesenthal Centers, Herrn Müller auf die Liste zu setzten, kann ich nicht nachvollziehen. Es ist wahrlich keine kluge Entscheidung den Al-Kuds Tag nicht zu verbieten und traurig, dass Herr Müller sich nicht von der klar antisemitischen Bewegung BDS stark genug distanziert. Ein Antisemit ist er für mich deshalb trotzdem nicht, nur ein Politiker ohne das nötige Feingefühl. - Benjamin Nudelmann, 25, Immobilienmakler

Natürlich haben wir offene Fragen an den Bürgermeister und die Berliner Regierung insgesamt, was ihre Strategie bei der Bekämpfung des Antisemitismus und Extremismus angeht. Aber das rechtfertigt nicht diesen unsinnigen persönlichen Vorwurf. Das Thema ist zu komplex, um es auf Hit-Listen zu reduzieren. Und wir sehen in der Regierung in Berlin eher einen Gesprächspartner bei Themen wie Antisemitismus an Berliner Schulen bis hin zum Umgang mit dem BDS, als einen Antisemiten. Alles andere ist kontraproduktiv und unsolidarisch für alle, die tatsächlich in Berlin gegen den wachsenden Antisemitismus kämpfen. - Sergej Lagodinsky, 41, Rechtsanwalt

Der Begriff "Antisemit" wird viel zu oft und schnell eingesetzt und verliert so seine Wirkung, so auch im Fall Müller. Man muss aber schon fragen dürfen, warum sich deutsche Politiker wie Müller nicht viel stärker und aktiver gegen die BDS-Bewegung aussprechen. Warum es regelmäßig eine Al-Kuds-Demo in Berlin gibt... Das muss er sich vorwerfen lassen. - Katharina Höftmann-Ciobotaru, 33, Autorin

Ich als Berliner Jude finde die Idee schlichtweg absurd! Man kann und muss den zu milden Kurs von Müller im Umgang mit dem konservativen oder politischen Islam kritisieren, ihm jedoch antisemitische Motive hierfür zu unterstellen, ist falsch und unfair. Das auch vor dem Hintergrund, dass sich der Regierende seit einigen Wochen bereits mit dem Umgang mit BDS beschäftigt. Vermeintlichen Antisemitismus in Berlin zu beurteilen, sollte nicht aus Los Angeles, sondern hier vor Ort erfolgen. Den Regierenden in die Liste aufnehmen zu wollen, schwächt die Relevanz dieser Liste sehr. - Elio Adler, 46, Gründer der "WerteInitiative - Positionen jüdischer Deutscher"

Ich halte Herrn Müller für keinen Antisemiten, aber wünsche mir ein aktiveres Vorgehen unseres Bürgermeisters zum Schutz der jüdischen Bürger seiner Stadt. Wenn Berliner Kaufhäuser israelische Waren boykottieren, Schüler aufgrund judenfeinlichen Mobbings ihre Schulen verlassen und alljährlich antisemitische Demonstrationen durch die Straßen Berlins marschieren, dann läuft etwas falsch in der Hauptstadt. Der Bürgermeister von Berlin darf solche Vorfälle nicht geschehen lassen oder schweigend tolerieren. - Mike Samuel Delberg (28), Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Natürlich gehört Michael Müller nicht auf diese Liste, so lange er die antisemitische BDS-Bewegung nicht persönlich unterstützt. Das Simon Wiesenthal Center lehrt uns mal wieder, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn wir die Lage in fernen Ländern beurteilen. - Martin Schubert, 38, Yoga-Lehrer

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