Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) über fehlende Richter und Staatsanwälte, den Streit um Stellenbesetzungen und die Unisex-Toiletten.
Im Büro hängt ein Pop-Art-Bild mit dem Konterfei von Brad Pitt. Manchmal hängt es schief. Die ersten Monate von Berlins neuem Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) verliefen auch nicht geradlinig.
Herr Behrendt, das erste Mal als Justizsenator auf sich aufmerksam gemacht haben Sie im Januar mit Ihrem Vorschlag der Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden. Für viele war das im Nachhinein politische Folklore.
Dirk Behrendt: Es war nicht mein Vorschlag, sondern ein Zwischenbericht zu einem einstimmigen Abgeordnetenhausbeschluss, übrigens mit Stimmen der CDU. Es war auch nicht beabsichtigt, ihn als erste Initiative zu setzen. Aber zumindest ist nun stadtweit bekannt, dass wir eine Ressortveränderung vorgenommen haben und die Antidiskriminierung jetzt bei der Justiz liegt.
Aber gefühlt hängt Ihnen die Unisex-Toiletten-Debatte noch ein bisschen nach.
Inhaltlich war das ein Beschluss der CDU-SPD-Koalition, den ich in der Sache auch völlig richtig finde. Die Aufregung, die plötzlich an einer Toilettenfrage hing, habe ich nie verstanden. In Zügen und Flugzeugen hat auch keiner ein Problem damit. Die Unisex-Toiletten sind ein weiteres Angebot.
Die Grünen sind in den ersten Monaten in der Wählergunst abgesackt. Wie erklären Sie sich das?
Die Koalition hatte einen holprigen Start. Das lag auch an der einen oder anderen Personalentscheidung.
Sie meinen die Affäre um die Stasi-Vergangenheit des ehemaligen Linke-Staatssekretärs Andrej Holm.
Genau. Und es war auch eine Herausforderung, dass, wenige Tage nachdem wir ins Amt kamen, das Attentat am Breitscheidplatz passierte. Das wäre für jede Regierung eine Herausforderung gewesen. Aber die Koalition hat – jedenfalls bis heute – eine stabile Mehrheit von mehr als 50 Prozent in den Umfragen. Ob das jetzt mal bei den Grünen, den Linken oder der SPD ein paar Prozentpunkte weniger oder mehr sind, ist nicht entscheidend. Als Nächstes steht die Bundestagswahl an, und da sind die Umfragewerte der Grünen auf Bundesebene nicht so, wie ich sie mir wünsche. Ich hoffe, dass es uns in den kommenden Wochen noch stärker gelingt, deutlich zu machen, dass beispielsweise eine Wende in der Verkehrspolitik nötig ist. Die Grünen müssen außerdem bei inneren und gesellschaftlichen Fragen wieder als bürgerrechtliches Korrektiv auftreten. Und das wird dann hoffentlich auch zu entsprechenden Wahlergebnissen führen.
Schwer für Sie persönlich war auch die Nominierung von Vize-Polizeichefin Margarete Koppers. Die andere Bewerberin, Susanne Hoffmann, klagt. Wann ist Ihre Wunschkandidatin im Amt?
Das liegt nicht in meiner Hand, sondern bei Gericht. Und es ist das gute Recht der Konkurrentin, das überprüfen zu lassen. Wie schnell das Verwaltungsgericht entscheidet, ist Kaffeesatzleserei. Ich hoffe aber tatsächlich auf eine Entscheidung in diesem Jahr.
Diese Verzögerung macht die Sache nicht leichter.
Das ist nie gut. Das ist ein Besetzungsverfahren mit einer Ausschreibung vom Herbst und Winter 2015. Es gab ja schon vor meinem Amtsantritt erhebliche Verzögerungen. Als ich es übernommen hatte, musste ich das Verfahren meines Vorgängers zunächst zurück auf rechtssichere Wege führen. Beispielsweise war die Auswahlkommission meines Vorgängers ohne nachvollziehbare Gründe besetzt. Eigentlich sollten solche Auswahlverfahren schneller über die Bühne gehen. Wenn zum Beispiel die Personalvertretungsgremien statt zwei sechs Wochen über der Sache brüten, habe ich das nicht in der Hand. Das sind alles Faktoren, die Zeit kosten, in einem Rechtsstaat aber dazugehören.
Hatten Sie mit Margarete Koppers in der ganzen Sache schon einmal persönlich Kontakt? Hat sie noch Interesse an dem Amt?
Das müssen Sie Frau Koppers schon selbst fragen. Ich habe mit ihr aus guten Gründen nicht gesprochen.
Aber mit Generalstaatsanwalt Ralf Rother haben Sie gesprochen?
Natürlich spreche ich mit Herrn Rother. Er hat ja schon zweimal verlängert. Und ich bin heilfroh, dass er sich noch mal hat überzeugen lassen, damit diese wichtige Behörde nicht führungslos ist. Hinzu kommt ja noch, dass der Untersuchungsausschuss Amri im September losgeht. Gegenstand sind auch die staatsanwaltschaftlichen Tätigkeiten in diesem Bereich. Und da ist es immer gut, wenn der Lotse nicht von Bord geht.
Die Opposition sagt ja, sie wird nicht ruhen, solange Frau Koppers noch frei herumläuft.
Die Tonalität, die die Opposition in dieser Frage anschlägt, ist hochideologisch und aggressiv. Das zeigt ja schon diese Ansage. Das wird die Motivation von Spitzenjuristen künftig nicht steigern, sich auf Spitzenpositionen in Berlin zu bewerben, und auch nicht von Leuten, sich für Auswahlkommissionen zur Verfügung zu stellen. Das ist schlecht für die Berliner Justiz, aber auch für andere Bereiche, wenn zukünftige Kandidaten Gefahr laufen, dass sie so zerredet werden. Dann werden sich die Guten, die wir für die Berliner Verwaltung brauchen, nicht mehr zur Verfügung stellen. Das bekümmert mich.
Aber können Sie die Opposition verstehen, die sagt, dass der Oppositionelle Behrendt, der immer sehr hohe Maßstäbe in Sachen Transparenz gefordert hat, jetzt kritisiert, das Verfahren sei nicht transparent genug gewesen?
Ich wäre niemals in einem Stellenbesetzungsverfahren, auch nicht bei der Besetzung der Präsidentenstelle des Landessozialgerichts, die viereinhalb Jahre gedauert hat, auf die Idee gekommen, im Abgeordnetenhaus eine Sondersitzung des Rechtsausschusses anzuberaumen. Wenn die Opposition jetzt das Interesse hat, das Verfahren im Abgeordnetenhaus zu thematisieren, stehe ich da jederzeit Rede und Antwort. Ich bin auskunftsfähig und willig. Ich hoffe nur, dass die Opposition an einem sachlichen Austausch interessiert ist und nicht an einer weiteren Schlammschlacht.
Sie haben im Februar gesagt, wir gehen weg von den Schwerpunkten Internet- und Rockerkriminalität und hin zu Islamismus und Terrorismus.
Ja, das ist eine Herausforderung für unsere Strafrechtsorgane. Das ist mit dem Anschlag am Breitscheidplatz ganz offenkundig geworden. Wir haben gerade das Kompetenzzentrum der Generalstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ausgebaut. Und der Untersuchungsausschuss Amri wird sicher die eine oder andere Erkenntnis zutage fördern, die wir in den Sicherheitsbehörden berücksichtigen sollten.
Das Personal in den Gerichten soll ja auch besser gesichert werden.
Wir haben uns die Einlasskontrollen in den verschiedenen Gerichten angeschaut und im Mai begonnen, ein Sicherheitsrahmenkonzept zu erarbeiten. Da geht es nicht vorrangig um Islamisten. Da kommen auch die Reichsbürger ins Spiel. Wir haben generell eine hohe Anzahl von Menschen, die mit Waffen in die Gerichte kommen. Vor allem mit Messern. Bei den Einlasskontrollen kann man feststellen, wie viele Berliner mit einem Messer bewaffnet durch die Stadt laufen. In Zukunft bekommen die Mitarbeiter einheitliche Schutzwesten. Wir werden wahrscheinlich auch noch bauliche Veränderungen in dem einen oder anderen Eingangsbereich vornehmen, damit man da noch effektiver kontrollieren kann. Außerdem sind wir jetzt dabei, in Moabit zwei Sicherheitssäle neu zu bauen, für Verfahren mit Islamisten. Die Bauarbeiten dafür werden im Herbst beginnen.
Wie wollen Sie das Thema Pflegebetrug in Berlin anpacken?
Der Pflegebetrug scheint in Berlin eine große Dimension zu haben. Wir haben jetzt eine Spezialabteilung bei der Staatsanwaltschaft und drei Kollegen, die sich ausschließlich damit beschäftigen. In diesem Bereich soll es einen weiteren personellen Zuwachs von drei Stellen geben – vorausgesetzt das Abgeordnetenhaus billigt den Haushaltsentwurf. Früher wurden die Verfahren an alle möglichen Abteilungen gegeben, und es wurden keine einheitlichen Verfahren geführt. Wir haben jetzt die zuständigen Kollegen, die die Muster kennen und auch wiedererkennen können. Bei diesen Kollegen ist keine weitere Einarbeitung nötig, wenn sie diese Fälle auf den Tisch kriegen. Sondern sie können das ermitteln und auch anklagen.
Die Personalsituation in der Staatsanwaltschaft ist generell nicht rosig.
Mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 haben wir Aufwüchse bei der Staatsanwaltschaft, und wir planen da noch weitere. Ich persönlich bin froh, dass es mir gelungen ist, den höchsten Personalaufwuchs in der Justiz seit der Wende durchzusetzen. Wir haben 243 zusätzliche Stellen vorgesehen. Die Strafverfolgungsbehörden sollen beispielsweise 42 zusätzliche Stellen bekommen. Ein weiterer personalpolitischer Schwerpunkt ist das Verwaltungsgericht mit 24 Stellen, darunter 16 weitere Verwaltungsrichter. Auch der Vollzug bekommt 40 neue Stellen. Wir stellen jährlich etwa 100 neue Richter und Staatsanwälte ein. Und sind froh, dass wir die auch noch finden. Andere Bundesländer haben viel größere Schwierigkeiten. Berlin hat noch so eine große Attraktivität, dass wir noch gute Leute bekommen.
Was planen Sie beim Personal der Justizvollzugsanstalten? Die Personalräte beklagen Unterbesetzung?
Offene Stellen versuchen wir nachzubesetzen, und wir bilden jetzt wieder mit Hochdruck aus. Aber die Kapazitäten sind begrenzt. Sonst leidet die Ausbildung.
Auch die Krankheitsquote ist enorm hoch.
Auch da rächt sich die Sparpolitik. Wir befinden uns in einem laufenden Prozess, den wir auch fortsetzen. Die Zuverlässigkeit von Schichtplänen ist beispielsweise ein großes Thema für die Arbeitszufriedenheit. Wenn ich langfristig planen kann, ist das auch für die Gesundheit besser, als wenn ich immer kurzfristig hin- und hergeschoben werde. Die Bezahlung spielt auch eine wichtige Rolle. Und da sind wir nun dabei, die Erschwerniszulagen auf den Bundesdurchschnitt zu heben.
Bemängelt wird auch der immer schlechter werdende Umgang der Gefangenen gerade gegenüber weiblichen JVA-Mitarbeitern.
Ich will das nicht kleinreden. Das ist völlig inakzeptabel. Wir werden jedenfalls nicht anfangen, nur noch Männer einzusetzen.
Wie wollen Sie verhindern, dass sich Gefährder in den Berliner Gefängnissen künftig weiter radikalisieren?
Wir haben eine zunehmende Zahl an Islamisten in den Anstalten. Diese bringen wir getrennt voneinander unter. Eine wichtige Aufgabe ist es außerdem, zu verhindern, dass sie andere Gefangene rekrutieren. Wir kennen das aus Frankreich und aus Großbritannien. Dementsprechend werden unsere Mitarbeiter geschult.
Sie sind auch Senator für Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Aus der Richtung hat man noch gar nichts gehört.
Als ich ins Amt kam, hatten wir gerade die Vogelgrippe in Berlin, und gerade haben wir einen Eier-Skandal. Der Schutz der Berlinerinnen und Berliner hat im Verbraucherschutz für mich höchste Priorität. Die Berliner Landwirtschaft ist ja eher übersichtlich, deshalb bin ich im Austausch mit der Brandenburger Landwirtschaft. Was nicht einfach ist, denn die orientiert sich am Weltmarkt – große Ställe, viel billiges Fleisch – und stellt sich zu wenig auf den Berliner Markt ein. Die gesamte Anbaufläche für Ökogemüse in Brandenburg ist so groß wie das Tempelhofer Feld. Schauen Sie mal in einen Berliner Bio-Supermarkt: Die meisten Produkte kommen nicht aus Brandenburg.
Was kann man konkret in Berlin tun?
Die Nachfrage bestimmt das Angebot. In Berliner Kantinen soll mehr Bio angeboten werden. Das Studentenwerk ist da schon weit, die Schulen auch. Die Krankenhäuser weniger. Die Massen, die gebraucht werden, können aus Brandenburg noch nicht geliefert werden. Vielleicht könnte man hier Verträge mit den Brandenburger Bauern abschließen und sagen: Wir nehmen euch für die nächsten 20 Jahre das und das ab. Als Sicherheit. Das kann man nicht vorschreiben, aber man kann die Leute zusammenbringen.