Berlin. Analyse des Berliner Mietervereins: „Aus dem Ruder gelaufen“ – Berliner werden aus ihren Wohnungen vertrieben.

Nach der Modernisierung von Wohnungen und der energetischen Gebäudesanierung steigen die Mieten in Berlin um bis zu 200 Prozent an, in Einzelfällen sogar noch mehr. Zu diesem Schluss kommt der Berliner Mieterverein, nachdem er rund 200 Fälle untersucht hat. „Elf Prozent der Investition auf den Mieter abwälzen zu können, wirkt sich wie ein Brandbeschleuniger aus“, sagte Geschäftsführer Reiner Wild am Dienstag. „20 bis 30 Prozent der Mieter verlassen die Wohnung schon nach der Ankündigung der Maßnahmen.“ Sein Resümee: „Die Modernisierung ist aus dem Ruder gelaufen.“ Es handele sich um eine durch das Mietrecht begünstigte massive Umverteilung von Vermögen zum Nachteil der Mieter, so Wild. Denn der Nutzen, zum Beispiel gesparte Heizkosten, sei oft gering und stehe in keinem Verhältnis zu den Mieterhöhungen.

Anhand von knapp 200 Modernisierungsankündigungen hat der 160.000 Mitglieder starke Interessenverband in den Zeiträumen 2012 bis 2013 und 2015 bis 2016 die aufgewendeten Baukosten nach Art der Maßnahme sowie die Mietentwicklung nach der Modernisierung untersucht.

Die Studie ergab, dass danach die Miete im Durchschnitt um 2,44 Euro pro Quadratmeter oder 186,37 Euro im Monat gestiegen ist. Das bedeute eine 42-prozentige Erhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete des Mietspiegels 2015. Die Nettokaltmiete klettere demnach im Schnitt von 4,73 Euro pro Quadratmeter im Monat auf 7,14 Euro. „Die Vermieter verlangen aber weiterhin die alten Vorauszahlungen für die Heizkosten“, kritisierte Wild, „offenkundig, weil sie der vermuteten Energieeinsparung und damit auch der Heizkostenersparnis nicht trauen.“

Einsparung von 2,80 Euro pro Quadratmeter

In nur sehr wenigen Fällen konnte laut Wild nach der Modernisierung der Energieverbrauch spürbar gesenkt werden. In diesen Fällen sank der Verbrauch an Heizwärme von vorher 138 Kilowattstunden pro Quadratmeter auf 102,94 kWh. Bei einem Energiesparpreis von acht Cent pro kWh ergäbe sich in diesem Fall eine Einsparung von 2,80 Euro pro Quadratmeter im Jahr. „Bei einer 70 Quadratmeter großen Wohnung sind das gerade mal 200 Euro im Jahr“, rechnete Wild vor. Nach den Berechnungen des Mietervereins müssten aber bei unterstellten 65 Prozent der Baukosten für energetische Maßnahmen mehr als 1300 Euro im Jahr an Mieterhöhung gezahlt werden.

Bei einem Viertel der untersuchten Fälle lag die Mietsteigerung bei drei Euro je Quadratmeter und mehr. „Erhöhungen in diesem Ausmaß haben Verdrängung zur Folge“, so Wild. „Das ist sozialpolitisch unvertretbar.“ Auch eine Verdoppelung und sogar Verdreifachung der Miete nach Modernisierungen komme vor. Besonders eklatant: In der Wohnanlage Am Steinberg in Reinickendorf verlangte der Vermieter nach Modernisierung eine Erhöhung von 16,10 Euro je Quadratmeter. Der Fall führt die vom Mieterverein vorgelegte Liste von 23 Beispielen sehr hoher Mietsteigerungen nach der Modernisierung an. Die Mieter der Anlage wehren sich vehement gegen die erzwungene Luxussanierung.

Meiste Modernisierungen in Pankow

Die Modernisierung der Gebäude in Berlin führen in rund 66 Prozent der Fälle Privatunternehmen durch, in neun Prozent Privatpersonen, in knapp 18,7 Prozent städtische Unternehmen. Das entspricht dem Anteil, den sie am gesamten Wohnungsmarkt haben. Die meisten Modernisierungen fanden in den untersuchten Zeiträumen in Pankow statt, gefolgt von Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf.

Die rot-rot-grüne Koalition hat die Modernisierungsumlage der rund 300.000 städtischen Wohnungen inzwischen begrenzt. Bis zu dieser Neuregelung durfte die Nettokaltmiete bei Modernisierungen um neun Prozent steigen. Derzeit dürfen es nur noch sechs Prozent sein. Bei der Modernisierungsumlage handelt es sich um eine Mieterhöhung nach der abgeschlossenen Modernisierung.

Der Mieterverein fordert angesichts der besorgniserregenden Entwicklung, die bundesgesetzliche Regelung abzuschaffen, wonach Vermieter jährlich bis zu elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete aufschlagen dürfen. „In dieser Form ist das Mietrecht nicht mehr akzeptabel“, so Reiner Wild vom Mieterverein.

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