„English Theatre Berlin“ bringt junge Menschen und Schauspieler aus aller Welt zusammen.

Auf der Stettiner Straße in Wedding sind abends nur noch wenige Menschen unterwegs. Es ist dunkel und regnet, Pfützen spiegeln sich im spärlichen Licht der Straßenlaternen. Merkwürdige Geräusche dringen aus dem Haus Nummer 19: Schreie, Grunzen, Trampeln – erst leise, dann immer lauter. Drinnen verwandeln sich Schauspieler in unheimliche Geschöpfe: Eine Frau bekommt Flügel, eine andere kann ihr Bein nicht mehr kontrollieren, ein Mann zieht Fratzen mit seinem Gesicht. Nach der Verwandlung ist die Gruppe angekommen: Dort, wo die wilden Kerle wohnen.

Der Workshop „First Steps in Acting“ des Theaterprojekts „Instant Theatre Berlin“ von Alessandro Casadio ist vorbei – in sieben Wochen hat er mit sechs Schauspielanfängern eine Interpretation des Kinderbuchklassikers „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak auf die Beine gestellt. Vier Tage vor der Aufführung wird noch geprobt, verändert, verbessert – alles auf Englisch.

Englisch ist in Berlin eine Arbeitssprache

Englisch sei in Berlin mittlerweile nicht mehr nur Fremdsprache, sondern Arbeitssprache, sagt Daniel Brunet, einer der künstlerischen Leiter des English Theatre Berlin (ETB). Deswegen werde auch englischsprachiges Theater heutzutage immer bedeutungsvoller. „Vor 25 Jahren war das noch nicht so. Der Aufschwung des englischsprachigen Theaters ist ein Phänomen der 2000er-Jahre“, so sein Kollege Günther Grosser. Das bestätigt auch der Pressesprecher der Senatskulturverwaltung, Daniel Bartsch. Neben dem ETB sei in Berlin noch das Kinder- und Jugendtheater Platypus rein englischsprachig. Oft werden Stücke von Berliner Bühnen aber auf Englisch „übertitelt“ – vor allem vom Gorki-Theater, so Bartsch. Das Angebot an englischsprachigen Theaterproduktionen und die Möglichkeiten für internationale Schauspieler seien in Berlin massiv besser und vielfältiger als anderswo im deutschsprachigen Raum, so sind sich die künstlerischen Leiter des ETB sicher.

Deswegen ist auch Alessandro Casadio 2011 von Bologna nach Berlin gezogen: „Ich sah hier einfach bessere Möglichkeiten.“ Casadio erforschte die Stadt und machte sich auf die Suche nach englischsprachigen Theaterangeboten: „Es gab einige, aber die Konkurrenz war groß und die unabhängigen, kleinen Theatergruppen nicht sehr beständig.“ Deswegen gründete er 2013 sein eigenes englischsprachiges Theaterprojekt „Instant Theatre Berlin“. Bis jetzt habe es sich gut gehalten.

Zu Anfang gab es nur kurze Schnupperkurse, dann habe er sich mit Kollegen aus verschiedenen Hintergründen zusammengetan und die Workshops wurden länger und vielfältiger. Seit Dezember hat Casadio seine eigenen Räumlichkeiten für die Proben und Aufführungen: das 800A in Wedding – eine Bar mit Bühnenfläche. Mitte März wurde geöffnet: „Wir wollen auch andere Künstler einladen und einen kulturellen Treffpunkt schaffen“, sagt er. Das English Theatre Berlin im Bergmannkiez in Kreuzberg gibt es schon seit 1990. Zu Beginn war die Bühne noch deutschsprachig, aber 1993 wurde die Arbeitssprache in Englisch geändert. Günther Grosser hat das Theater von Anfang an begleitet: „2013 ist Daniel Brunet in unser Team gekommen und wir haben das Konzept geändert. Seitdem sind wir richtig erfolgreich.“ Die großen Produktionen seien im Durchschnitt über 1000 Mal besucht worden – ein großer Erfolg, denn die Zuschauer seien stark umkämpft.

„Das Publikum heute ist weniger treu, sondern themenorientiert und dadurch unberechenbar“, sagt Grosser. Deswegen biete das ETB eine breite Themenvielfalt an, so Brunet. Der entscheidende Vorteil sei aber die englische Sprache, so sind sich die beiden einig, denn Englisch verbinde eine große Zahl von Menschen in Berlin. „Wir wollen die neue deutsche Diversität auf die Bühne bringen“, sagt Brunet, denn Vielfalt sei wichtig.

Teilnehmer kommenvor allem aus Europa

Vielfältig sind auch die Teilnehmer in Casadio’s Workshops: „Sie kommen aus aller Welt, meistens aber aus Europa“, sagt er. Was sie verbinde, sei oft der Wunsch, sich in Berlin zu sozialisieren: „Viele sind neu hier, sprechen kein Deutsch und sind kaum vernetzt.“ Justyna Krzych ist seit Mitte November in Berlin. Die 29-Jährige Polin arbeitet als Psychologin: „Das Schauspielern macht mir viel Spaß, vor allem in der netten Gruppe“, sagt sie. Auch Omar Rabhi fühlt sich wohl. Der 24-Jährige wurde in Italien geboren, seine Eltern sind Marokkaner. „Ich habe hier gelernt, wie man sich besser sozialisiert“, erzählt er. Auch wenn der Kurs vorbei ist, wollen beide mit dem Schauspielern weitermachen. So schafft Casadio mit seinen Workshops einen wachsenden Pool an theaterbegeisterten Migranten, die Berlin als ihre neue Heimat gewählt haben. Genau solche Wahlberliner feiert das Theater seit 2013 mit dem Festival „Expat Expo: Immigrant Invasion Festival – A Showcase of Wahlberliner“. Das Festival soll die Vielfältigkeit der Migranten deutlich machen.

Dass die englischsprachige Theaterszene in Berlin weiter wachsen wird, ist sicher. Für die Zukunft wünscht sich Daniel Brunet allerdings noch mehr: „Gretchen aus Faust soll von Jedermann gespielt werden können – unabhängig von Aussehen und Sprache. Es soll keine Einschränkungen mehr geben und so jedem der Zugang zu Theater ermöglicht werden.“