“Ghost Restaurants“ sind in New York oder London bereits etabliert. Jetzt gibt es einen ersten Versuch in Berlin.
Max Kochen ist einer von der schnellen Truppe. Er denkt schnell, redet schnell, und er handelt auch schnell. Der 27-Jährige steht in seinem Restaurant "Beets and Roots" in der Großen Hamburger Straße in Mitte, packt mit an, erzählt und versucht, nicht im Weg zu stehen - was in dem engen Raum gar nicht so einfach ist. Er ist immer offen für Neues - und so testet er einen neuen Trend aus den USA - ein "Ghost-Restaurant", einen Ableger in einem anderen Stadtteil, ohne Gastraum, aus dessen Küche er Kunden über einen Lieferservice mit Essen versorgt.
Zentrale ist aber zunächst das Restaurant mit Mitte-typischen Betonwänden und Bänken statt Stühlen, wo sich rote Plastikboxen mit Essen stapeln. Sie stehen auf den Tischen, auf den Bänken, einfach überall. Und das größtenteils Englisch sprechende Personal bringt immer weitere aus der Küche. Salate vor allem, Dressings, aber auch ein paar mit Aluminiumfolie abgedeckte Töpfe. Dazwischen kommen immer wieder ein paar pink gekleidete Kurierfahrer herein, um Bestellungen abzuholen.
"Das Geschäft läuft gut", sagt der schlanke, hochgewachsene Betriebswirt mit den dunklen Haaren und der markanten Brille. Am 5. November 2016 hat das Geschäft in Mitte eröffnet. Es lief schon vom ersten Tag an gut, aber erst nach ein paar Monaten habe man die Steigerung auch gemerkt, so Kochen. Trotzdem: die Küche des "Beets and Roots" könnte mehr Essen produzieren. Deutlich mehr. Und deshalb probiert Kochen zusammen mit dem Lieferdienst "Foodora" in Berlin eben ein "Ghost Restaurant" aus.

Ein "Geister-Restaurant", das klingt spannend. Im Grunde geht es um ein Restaurant ohne Gastraum, wo vorbereitete Speisen nur noch fertig produziert - "gefinished" heißt das in der Fachsprache - und dann über einen Lieferservice zum Kunden gebracht werden. Dadurch können Restaurants ihren Kundenkreis ohne großen Aufwand erweitern. Und Lieferservices profitieren davon, spezielle Gerichte auch in anderen Stadtteilen anbieten zu können.
In den USA ist so etwas natürlich längst ein Trend. Und die Amerikaner denken auch gleich größer. Riesige Küchen mit mehr als 50 Köchen gibt es dort - ohne Gastraum. Ihre Speisen werden ebenfalls exklusiv über Lieferdienste wie Foodora oder Deliveroo vertrieben. Auch in London gebe es das schon, erzählt Kochen. In den Vereinigten Staaten werden mit solchen Konzepten bereits Millionen Dollar umgesetzt.
In Berlin beim "Beets and Roots" ist man da noch bescheidener. Über Zahlen spricht Kochen nicht, aber die Vorteile liegen für ihn klar auf der Hand. Man könne beispielsweise ausprobieren, ob die Gerichte, die in Mitte von den Bürokunden so geschätzt werden, auch in anderen Stadtteilen ankommen. Zudem könne man auch Gerichte ausprobieren und schnell abwandeln, falls sie nicht gut beim Kunden ankommen - ohne gleich eine neue Speisekarte drucken zu müssen. Ein Update der Website reicht aus.

Er hat sein Ghost Restaurant in Kreuzberg aufgemacht, nur mittags. Dort steht er im Souterrain eines anderen Restaurants, das nur abends öffnet und eine sehr kleine Küche direkt im Gastraum besitzt. Hier stehen die vorbereiteten Salate - ohne Dressing, damit sie nicht matschig werden, hier köcheln Hühnchen und Linsen auf dem Herd. Die Bestellungen kommen über ein Tablet, er nimmt sie an, "finisht" das Produkt, der Fahrer holt es ab. Erledigt. Drei Postleitzahlengebiete beliefert Kochen mit seinem "Beets and Roots" in Kreuzberg, drei Gebiete, die er zusätzlich gewonnen hat zu denen in Mitte.
"Eigentlich wollten wir nach Charlottenburg", sagt Kochen. Aber man habe ihm abgeraten und Kreuzberg empfohlen. Offenbar werde in Charlottenburg weniger bestellt - "Da ist das Umfeld noch familiärer", so Kochen - und auch nicht so gesund gegessen. Denn das "Beets and Roots" setzt auf gesunde, frische Nahrung. "80 Prozent unserer Gerichte sind vegan", sagt Kochen, "und 90 Prozent vegetarisch". Das kommt offenbar nicht in jedem Berliner Bezirk gut an. In Mitte und Kreuzberg gebe es dagegen mehr Singles - ergo wird weniger zu Hause gekocht. Und die jüngeren Menschen ernähren sich offenbar auch gesünder.

Foodora freut sich über die Premiere: "Wir freuen uns, mit diesem Konzept Gastronomen ohne große, finanzielle Risiken oder investitionen neue Vertriebswege anbieten zu können, sodass sie ihre kulinarischen Produkte auf einfachem Wege an einen erweiterten Kundenstamm anbieten können", teilt Denise Kratzenberg Berlin-Chefin von Foodora, mit. "Essensliebhaber profitieren dafür von neuen kulinarischen Geschmackserlebnissen, die so vorher noch nicht in ihrem Liefergebiet verfügbar waren."
Andere Lieferdienste in Berlin sind allerdings eher zögerlich. Lieferando beispielsweise arbeite nicht an einem solchen Konzept. Man werde aber gerne Restaurants mit einem solchen Service auf ihrer Plattform listen, falls sie Interesse hätten - unabhängig davon, ob man die Lieferung mit übernehme oder nicht. Auch Lieferheld gibt sich eher zurückhaltend. Immerhin seien auf Lieferessen spezialisierte Küchen und Restaurants ein interessantes Konzept. Man möchte aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Prognose wagen, ob sich sogenannte Ghost Restaurants auf breiter Ebene durchsetzen können.
Das Ganze ist ein Test - für den Lieferdienst, für Max Kochen. "Unglaublich günstig" sei das Konzept für ihn. "Früher hätte man ein Restaurant aufmachen müssen, wenn das daneben geht, dann kommt die ganze GmbH in Schwierigkeiten." Großen Vorlauf braucht es auch nicht. Über einen Vermittler habe man die Räume in Kreuzberg gefunden, zwei Tage, fertig. Noch bis zum 31. März 2017 dauert der Probelauf, insgesamt zwei Wochen - immer von 11.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Danach wird man sehen. Kochen will auf jeden Fall eine zweite Location - auch als richtiges Restaurant. Die Nummer-1-Expansionsstrategie sei das "Ghost Restaurant" nämlich nicht. Aber Kochen hat noch viele Ideen.