Die CDU-Fraktion will Lesesäle der Berliner Universitäten rund um die Uhr öffnen. Das trifft nicht überall auf Gegenliebe.
Lernen in der Nacht – für viele Studierende ist das normal, wenn sie in einer wichtigen Prüfungsphase sind. Nach Mitternacht findet sich dafür aber kaum ein anderer Platz mehr als die eigenen vier Wände, denn die Bibliotheken sind um diese Zeit geschlossen. Genau das soll sich in Berlin aber bald ändern, wenn es nach dem Willen der CDU geht: Nach dem Clubbesuch noch zum Lernen in die Bibliothek.
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Die Abgeordnetenhaus-Fraktion setzt sich in einem Antrag an die Wissenschaftsverwaltung dafür ein, dass mindestens eine Bibliothek in Berlin rund um die Uhr geöffnet hat. Solche Standards gelten bereits in Leipzig und Karlsruhe, argumentiert die bildungspolitische Sprecherin Hildegard Bentele, – und sollten daher auch den Studierenden in Berlin flexibleres Lernen ermöglichen. Konkrete Zahlen, die eine Nachfrage nach nächtlichen Bibliotheken-Öffnungen nachweisen, gibt es nicht. Jetzt muss der Wissenschaftsausschuss über den Antrag entscheiden. Vertreter der Universitätsbibliotheken und Studenten sehen das Vorhaben skeptisch – jedoch aus unterschiedlichen Gründen.
„Psychologisch wichtig, nicht rausgeschmissen zu werden“
Nathalie Thiede ist lieber tagsüber in der Bibliothek. Sie macht gerade Pause auf einem der schwarzen Lederhocker im Foyer des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums. Die Zentralbibliothek der Humboldt-Universität (HU) in Mitte ist immer gut besucht, denn sie liegt zentral. Die Studentin würde aber nur im Notfall nachts bleiben, denn die Öffnungszeiten reichen ihr aus: Während der Woche ist in „der Grimm“ um Mitternacht Schluss, am Wochenende um 22 Uhr. Die Gewissheit, dass die ganze Nacht ein Platz zum Arbeiten da ist, fände die 22-Jährige aber beruhigend.
Diese Einschätzung teilt Michael Mönnich. Er ist Leiter der Benutzung und stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT): „Für Studierende ist es psychologisch sehr wichtig, nicht rausgeschmissen zu werden.“ Ein Teil der Bibliothek habe deshalb bereits seit elf Jahren täglich 24 Stunden geöffnet. In Leipzig gebe es die 24/7-Bibliothek seit 2009, so Charlotte Bauer, stellvertretende Direktorin der Universitätsbibliothek. Beide Unis berichten, die langen Öffnungszeiten würden gut angenommen. Die 24-Stunden-Bibliothek sei sogar so beliebt, dass manche Säle tagsüber paradoxerweise schon wegen Überfüllung geschlossen werden mussten. Das liege vor allem daran, dass viel mehr Studierende in Bibliotheken lernen als früher, erklärt Mönnich.
Das hält auch Christoph Stemmler so. Der 26-Jährige macht in Berlin gerade seinen Master in „Environmental Policy and Planning“. Die Bibliothek nutzt er erst seit vergangenem Jahr: „Ich weiß gar nicht, wie ich so lange ohne durchgehalten habe“, gibt er schmunzelnd zu. Doch obwohl er tagsüber oft arbeitet, kann er sich nicht vorstellen, nachts in die Bibliothek zu kommen. „Irgendwann muss ich ja auch schlafen“, sagt er. Trotzdem glaubt er, dass andere berufstätige Studenten Interesse an erweiterten Öffnungszeiten hätten. Damit ist er auf einer Linie mit der CDU-Fraktion. „Studierende, die nebenher arbeiten, sollen sich ihre Lernzeiten flexibel einteilen können“, sagt Hildegard Bentele. Sie ist überzeugt, dass das Angebot gut angenommen würde.
Die Freie Universität sieht die CDU-Pläne skeptisch, weil sie zusätzliches Personal erfordern, so die Leiterin der Benutzung, Susanne Rothe. Ferner liege die FU weit weg von den Wohnorten der meisten Studierenden. Sie glaube daher nicht, dass die Universitätsbibliothek mit längeren Öffnungszeiten besser genutzt würde als bisher, so Susanne Rothe weiter. Auch Student Christoph Stemmler meint, dass allein die Zentralbibliothek der HU in Mitte als 24-Stunden-Bibliothek für Berlin funktionieren könne.
Die sieht allerdings keinen Grund zu handeln. Seit die Öffnungszeiten am Wochenende ausgedehnt wurden, habe die Bibliothek keinerlei Anfragen für längere Öffnungszeiten mehr erhalten, sagte Sprecherin Katja Krause. Zusätzlich hätten Berechnungen ergeben, dass längere Öffnungszeiten die Betriebskosten stark erhöhten und die zu erwartende Nutzerzahl dies nicht rechtfertige. Laut Hildegard Bentele geht die CDU-Fraktion nicht von großen Summen aus. Im Antrag wird angeregt, die Finanzierung in die Hochschulrahmenverträge aufzunehmen.
Auf dem Lehrplan steht das Leben
Während der Prüfungszeit sind Bibliotheken immer voll. Die Nächte in Leipzig und Karlsruhe seien zu Ende des Semesters auch stärker frequentiert. 150 Studierende halten sich dann im Durchschnitt auch zwischen zwei und fünf Uhr morgens dort auf. Das würde sich auch in Berlin lohnen, meinen die Studenten Nathalie Thiede und Christoph Stemmler. Während der Vorlesungszeit allerdings sind sie skeptisch. „Da werden sicherlich nicht genug Studierende in der Nacht da sein, dass sich das Angebot lohnt“, schätzt Christoph Stemmler.
Studenten machen sich Sorgen um die Sicherheit
Trotzdem: Bei einer 24-Stunden-Bibliothek wären die Türen das ganze Semester über geöffnet – und die ganze Nacht. Manch einer macht sich da Sorgen um die Sicherheit. „Man weiß ja nicht, wer da so alles reinkommt mitten in der Nacht“, sagt Nathalie Thiede. Die FU habe schon schlechte Erfahrungen gemacht: „Aus den Fachbibliotheken, die bis 22 Uhr geöffnet haben, sind uns Fälle von Vandalismus bekannt“, so Susanne Rothe von der FU. In Karlsruhe und Leipzig gebe es hingegen keine Probleme, die ursächlich mit dem 24-Stunden-Betrieb zusammenhingen.
Vizebibliotheksdirektor Michael Mönnich aus Karlsruhe hat so gute Erfahrungen mit dem Tag- und-Nacht-Betrieb gemacht, dass er sicher ist, Berlin könne davon nur profitieren. „Nur eine 24-Stunden-Bibliothek in Berlin wird innerhalb kürzester Zeit stark überlaufen sein“, gibt er jedoch zu bedenken.
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