Die Schulinspektoren sehen deutlichen Entwicklungsbedarf bei der Unterrichtsqualität an den Berliner Schulen. Vor allem bei den Kriterien selbstständiges und problemorientiertes Lernen schneiden mehr als 90 Prozent der bewerteten Schulen eher schwach ab. Das geht aus dem Bericht zur Schulqualität 2016 der Länder Berlin und Brandenburg hervor, den das Institut für Schulqualität (ISQ) am Dienstag veröffentlicht hat. Der Bericht entstand im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung in Berlin und des Ministeriums für Bildung in Brandenburg. Darin sind viele Studien der vergangenen Jahre zusammengefasst. Neu sind in dem Bericht die Ergebnisse der zweiten Runde der Schulinspektionen an den Berliner Schulen.
Innerhalb von fünf Jahren müssen alle Berliner Schulen mindestens einmal überprüft werden. Vertreter der Schulaufsicht, Pädagogen und Eltern begutachten dabei über mehrere Tage den Unterricht, befragen Lehrer und Schüler zum Schulklima und bewerten die Arbeit der Schulleitung. Bei dringendem Handlungsbedarf wird eine Nachinspektion fällig.
Der zweite Durchgang der Schulinspektionen an 589 Schulen wurde 2016 abgeschlossen. Das Ergebnis: Die Quote der nötigen Nachinspektionen aufgrund gravierender Mängel hat sich mit 5,2 Prozent im Vergleich zum ersten Durchgang verdoppelt. Zu den generellen Stärken gehörten laut Bericht des ISQ unter anderem die Unterstützung der Schüler durch passende Förderangebote sowie die Arbeits- und Kommunikationskultur innerhalb des Kollegiums.
Nachbessern bei Beteiligung von Schülern und Eltern
Den größten Entwicklungsbedarf sehen die Inspektoren in Bezug auf das Schulleben bei der Beteiligung der Schüler und Eltern. Insgesamt 40 Prozent der Einrichtungen müssen in diesem Punkt nachbessern. Auch die gezielte Personalentwicklung, zum Beispiel durch Mitarbeitergespräche, lässt an mehr als 30 Prozent der Schulen zu wünschen übrig. Dabei unterschieden sich die Schularten bei den Bewertungen kaum.
Anders sah es bei den Bewertungen der beobachteten Unterrichtsstunden aus. Hier gab es laut Bericht deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Schultypen. Negativ bewertet wird an den meisten Schulen die sogenannte innere Differenzierung. Dabei geht es darum, im Unterricht die unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler einer Klasse zu berücksichtigen. In diesem Punkt schneiden die sonderpädagogischen Förderschulen nach Angaben der Autoren noch am besten ab.
An den Sekundarschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen dagegen gab es in dem begutachteten Unterricht kaum Angebote für die unterschiedlichen Niveaustufen.
Viele Neuntklässler verfehlen die Standards
Die Schwächen in der Unterrichtsgestaltung haben auch Auswirkungen auf die Leistungen der Schüler. In dem Bericht sind alle Ergebnisse der Vergleichsarbeiten und Prüfungen der verschiedenen Jahrgänge zusammengefasst. Im Fach Deutsch beispielsweise erreichten nur 43 Prozent der Neuntklässler bei den Vergleichstests 2015 die Standards für den Mittleren Schulabschluss, bundesweit gelang das 48 Prozent der Schüler in den neunten Klassen. Beim Zuhören erfüllten nur 53 Prozent der Berliner die Standards, bundesweit waren es 62 Prozent.
Ein Jahr später erreichten immerhin 65 Prozent der Schüler dennoch den Mittleren Schulabschluss, 43 Prozent der Sekundarschüler erhielten sogar die Berechtigung, an einer gymnasialen Oberstufe das Abitur zu machen. An den Gymnasien gelang das mit 95 Prozent fast allen Schülern.
Ungefähr jeder zehnte Schüler verließ ohne Abschluss die Sekundarschule oder Gemeinschaftsschule. An den Gymnasien hingegen schaffen alle Schüler mindestens die Berufsbildungsreife.
Verhalten der Schüler fast durchweg positiv bewertet
An den Berliner Schülern liegt das schlechte Abschneiden im Bundesvergleich nicht. Das offenbart die Auswertung der Schulinspektionen an fast 600 Schulen in den vergangenen fünf Jahren. Das Verhalten der Schüler wurde bei den Überprüfungen fast durchweg positiv bewertet. Auch bei der optimalen Nutzung der Lernzeit und bei der Anstrengungsbereitschaft gab es wenig Probleme.
Deutliche Schwächen zeigten sich dagegen bei den Methoden der Lehrer. Vor allem die modernen Unterrichtsmethoden wie die Differenzierung der Aufgaben nach verschiedenen Niveaustufen oder das kooperative Lernen im Team kommen zu kurz. Auch die Kompetenz, selbstständig Probleme zu lösen, wird zu wenig gefördert. Ähnliche Probleme hatte schon die erste Runde der Schulinspektionen gezeigt. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des Berichtes 2016 des Instituts für Schulqualität (ISQ) am Dienstag veröffentlicht.
„Typisches Berliner Phänomen“
Hildegard Bentele, bildungspolitische Sprecherin der CDU, hinterfragt angesichts der Ergebnisse, ob die Methode der inneren Differenzierung überhaupt dazu beitragen kann, die Schüler in Berlin zu guten Lernergebnissen zu führen. „Das schlechte Abschneiden in den modernen Unterrichtsmethoden ist ein typisches Berliner Phänomen“, sagte Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses. In den anderen Bundesländern klappe das besser. Heise fordert, die Lehrer zu entlasten, durch kleinere Klassen beispielsweise.
Für die Gymnasien spricht sich die Elternvertretung dafür aus, die Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss abzuschaffen. „Das würde Kapazitäten freisetzen, um leistungsschwache und besonders begabte Schüler besser zu fördern“, sagte Heise. Damit greift er eine Forderung auf, die auch Berlins Gymnasialschulleiter am Dienstag erneut bekräftigt haben. Die Direktoren wollen eine Reform des Mittleren Schulabschlusses (MSA) am Gymnasium. Helmke Schulze vom Vorstand der Vereinigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin (VOB) sagte der Berliner Morgenpost, dass die Gymnasiasten bereits am Ende der neunten Klasse das MSA-Niveau erreicht haben. Das sei im neuen Rahmenlehrplan, der zum kommenden Schuljahr in Kraft tritt, so festgelegt. „Die MSA-Prüfungen am Ende der zehnten Klasse sind deshalb am Gymnasium überflüssig“, sagte Schulze, die Schulleiterin des Friedrichshainer Dathe-Gymnasiums ist.
Nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung
Am Gymnasium seien die MSA-Prüfungen nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung für Schüler und Lehrer, zumal 95 Prozent der Schüler die Prüfungen ohnehin bestehen, sagte Schulze. Würden sie entfallen, gebe es mehr Unterrichts- und Lehrzeit, um die Schüler auf die gymnasiale Oberstufe vorzubereiten. Schließlich sei die zehnte Klasse ja auch das erste Jahr der dreijährigen Abiturphase. „Wir brauchen eine Änderung des Schulgesetzes, damit der MSA am Gymnasium anders geregelt werden kann“, forderte Schulze. Im Gesetz müsste festgehalten werden, dass Gymnasiasten mit dem Abschlusszeugnis der neunten Klasse den MSA hätten.
Die Direktoren der Gymnasien wollen ihre Forderung heute auf der zentralen Schulleitersitzung noch einmal mit Nachdruck vortragen, zu der sie von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eingeladen sind. Für Zündstoff dürfe auch ein offener Brief an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus sorgen, den Ralf Treptow, Vorsitzender der VOB, am Dienstag veröffentlicht hat. Darin betonte er, dass eine Schulgesetzänderung in Berlin objektiv notwendig sei. „Die VOB setzt sich nicht für eine Erleichterung der Situation in der zehnten Klasse für Gymnasialschüler ein. Im Gegenteil: Wir treten stets dafür ein, an Berlins Gymnasien zuallererst anspruchsvolle gymnasiale Bildungsgänge anzubieten und klare Lernziele zu verfolgen“, heißt es in dem Brief. Man sei sich zudem mit dem Landeselternausschuss darin einig, „dass an den Gymnasien nicht wertvolle Lernzeit im ersten Jahr der gymnasialen Oberstufe (und das ist an den Gymnasien die Jahrgangsstufe zehn) damit vergeudet werden darf, dass völlig unnötige Prüfungen absolviert werden müssen.“
Bildungssenatorin will MSA am Gymnasium beibehalten
Bildungssenatorin Sandra Scheeres ist jedoch völlig anderer Auffassung. Sie hatte am Montagabend während einer Feier zum 25. Jubiläum der VOB im Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow erklärt, dass es mit ihr keine Veränderungen der MSA-Prüfungen am Gymnasium geben werde. Sie sagte: „Regelmäßige Leistungsüberprüfungen sind der richtige Weg.“ Zudem habe die Kultusministerkonferenz eindeutig festgelegt, dass der Mittlere Schulabschluss am Ende der zehnten Klasse gemacht werden müsse. Scheeres räumte allerdings ein, dass man sich die zehnte Klasse am Gymnasium noch einmal genau anschauen müsse. „Ich werde eine Arbeitsgruppe einrichten, die untersucht, was verbessert werden kann“, kündigte sie an.
Laut Bildungsverwaltung zeigten die Ergebnisse des Ländervergleiches 2016 für die sprachlichen Kompetenzen, dass Berlin auch bei den Leistungen der neunten Jahrgangsstufen der Gymnasien Entwicklungspotenzial hat. Diese Befunde seien auch durch die Berlin-Studie bestätigt worden, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde. Demnach seien an den Gymnasien die Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften sowie das Leseverständnis in Deutsch zurückgegangen. Im Fach Mathematik durchaus in signifikanter Größenordnung.