Tijen Onaran bringt Frauen aus der digitalen Welt in Berlin zusammen – nicht nur für die Karriere.
Tijen Onaran hat vor einem Jahr den ehrenamtlichen Verein „Women in Digital“, kurz WiDi, gegründet. Damit hat sich die 32-Jährige zur Aufgabe gemacht, Frauen miteinander zu verbinden. Wir treffen uns in ihrem Büro, in das sie vor kurzem gezogen ist, tiefstes Charlottenburg. An der Fensterscheibe der Ladenwohnung klebt groß das Logo. Sie öffnet die Tür.
Tijen Onaran: Neulich kam jemand vorbei und fragte mit stark deutschem Akzent, was das denn wäre „dieses Women in Digital“ – eine Galerie? (lacht)
Und wer sind Sie?
Onaran: Eine Plattform, die Frauen zusammenbringt.
Wo kann man sich anmelden?
Wir sind kein Netzwerk, das in dem Sinne digital existiert. Wir organisieren verschiedene Events, bei denen man auf andere Frauen trifft, die in einem ähnlichen Bereich unterwegs sind wie man selbst. Wir wollen einen realen Rahmen schaffen, in dem wir uns vernetzen.
Analog als Basis.
Der Ausgangspunkt war auch ein monatlicher Stammtisch, zu dem ich Frauen eingeladen hatte, die mich interessieren. Digitales hat da gar keine Rolle gespielt. Ich hatte noch nicht mal einen Twitter Account.
Und nun sichtbar auf allen Kanälen.
Social Media ist ein ideales Instrument, um sich bemerkbar zu machen. Als Selbstständiger und Netzwerker ist das unabdingbar, es ist sozusagen die Vorleistung in die man gehen muss. Die Transparenz der eigenen Person ist natürlich nicht immer einfach, man wird schnell zur Angriffsfläche. Es gibt immer irgendwen, dem meine Meinung oder Nase nicht gefällt.
Wieso dann das „Digital“ im Namen?
Anfang 2016 habe ich beschlossen, etwas Institutionelles aus dem Stammtisch zu machen. Und Digitalisierung war unser aller Schnittmenge. Frauen aus der Start-up-Szene, welche aus der Politik, die sich mit digitaler Agenda auseinandersetzen, oder Redakteurinnen von Onlinemagazinen. Ich zum Beispiel hatte damals bei einem Online-Handelsverband gearbeitet.
Ist es für Frauen einfacher, im digitalen Bereich Karriere zu machen?
Die zunehmende Digitalisierung gibt zumindest vermehrt auch Frauen die Möglichkeit, außerhalb des klassischen Stellenkanons anzudocken, sich manchmal sogar eigene, neue Positionen zu schaffen. Generell stellen viele Unternehmen gerade gewohnte Strukturen infrage. In der Zentrale von Siemens zum Beispiel haben die Mitarbeiter keinen festen Schreibtisch mehr, was sie dazu zwingt, sich innerhalb der Firma täglich neu zu positionieren. Durch so etwas wird viel aufgewirbelt.
War WiDi auch eine eigennützige Idee?
Nach meiner Zeit in der Politik wollte ich manche Kontakte halten, konnte mich aber nicht mit jedem zum Mittagessen treffen, da erschien mir so ein Stammtisch sinnvoll.
Onaran ist mit 19 Jahren in ihrer Heimat Karlsruhe den Jungen Liberalen beigetreten. Mit 20 Jahren wurde sie von der FDP als Kandidatin aufgestellt. Mit 26 Jahren kam sie nach Berlin, war im Bundestag und später im Bundespräsidialamt. Ihre Eltern dachten, sie würde in der Politik bleiben. Onaran aber wollte keine parteipolitische Karriere machen, lieber frei leben und arbeiten.
Was bedeutet Netzwerken?
Es ist eine wichtige Form der Identifikation und kann ein doppelter Boden abseits der Familie sein. Leute, an denen ich mich hätte orientieren können, gab es in meinem Umfeld früher kaum. Neben dem Digitalen, in dem wir uns bewegen, wird das Analoge übrigens immer wichtiger. Manchmal schreibe ich interessante Personen bei Twitter an und frage dann schnell, ob wir uns nicht mal treffen wollen. Ich möchte herausfinden, ob man sich in echt befruchten kann. Das kann ich nur, indem ich den Menschen sehe und auch kurz spüre.
Netzwerken verbinden viele auch mit oberflächlichem Socializen, mit Anbiederung.
Ich glaube, dass sich das Verständnis verändert hat, weil es nicht mehr nur Vetternwirtschaft bedeutet, wo Jobs unter Zigarre rauchenden Männern abends in der Kneipe und unter der Hand vergeben werden. Netzwerken ist transparenter geworden.
Das klingt, als sei es ein Werkzeug, das jeder beherrschen sollte, um sein Leben zu erleichtern.
Ich denke schon. Wir arbeiten momentan daran, dass unsere Veranstaltungen sogar als berufliche Termine wahrgenommen werden, deshalb finden einige vormittags statt. Am Ende sind es ja auch Investments in die Unternehmen. Vernetzte Mitarbeiter sind wichtig.
Wieso suchen eigentlich so viele nach Gemeinschaft?
Es ist einfacher, wenn du dich mit anderen zusammentust. Ich habe mich in der Schulzeit immer nach einer Clique gesehnt. Ein gesundes und nachhaltiges Netzwerk bedeutet auch Sicherheit, weniger Einsamkeit. Deshalb versuche ich auch, WiDi als Community aufzubauen, die standhaft ist.
Sie sind oft zu Gast bei leitenden Frauen. Chefredakteurinnen, Vizepräsidentinnen, Politikerinnen, zuletzt bei der Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Was konnte sie Ihnen erzählen?
Politische Sprachbausteine beeindrucken natürlich nicht. Dass Deutschland mehr Gründerinnen braucht, ist klar. Sobald es dann aber persönlich wird, merkt man, dass Synergien entstehen. Hatte sie Mentoren? Hat sie die aktiv angefragt? Wie reagiert sie, wenn sie blöd angemacht wird?
Und?
Sie würde dann auch mal „zurückkoffern“. Was für den einen selbstverständlich klingt, gibt anderen einen Stoß. Ermutigung. Empowerment!
Sind alle Gesprächspartner so nahbar?
Zumindest will ich mit WiDi, genau die Menschen treffen, denen das gelingt. Wenn auf Veranstaltungen „hochkarätige Experten“, wie es immer heißt, eingeladen sind, bringt es nichts, wenn es nicht über die Hülle hinausgeht. Es schüchtert eher ein, wenn eine Frau spricht, die die perfekte Karriere hinlegt, nebenbei fünf Kinder großzieht, intelligent und charmant ist und noch dazu gut aussieht. In der Fülle ist das zu weit weg von einer blutjungen Start-up-Gründerin zum Beispiel.
Das klingt fast nach Gruppentherapie: Einer spricht über sich, seinen Lebensweg und die Probleme, während die anderen zuhören und danach mutiger zurück in ihr Leben gehen.
So oder so, Ziel erreicht, oder? (lacht und nickt)