Hausverbot

Wie Berliner Bezirke Flüchtlinge obdachlos machen

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Andreas Abel
„Flüchtlinge bewusst in die Obdachlosigkeit zu entlassen, ist inakzeptabel“, kritisiert der Abgeordnete Philipp Bertram

„Flüchtlinge bewusst in die Obdachlosigkeit zu entlassen, ist inakzeptabel“, kritisiert der Abgeordnete Philipp Bertram

Foto: Reto Klar

Die Senatssozialverwaltung kritisiert den Umgang der Bezirke mit Hausverboten in Heimen. Laut Mitte sind es Einzelfälle.

Flüchtlinge, die in ihrer Unterkunft gegen die Hausordnung verstoßen haben, können dort mit einem Hausverbot belegt werden. Sie werden dann in einem anderen Heim untergebracht. Das Bezirksamt Mitte ist in der Vergangenheit mehrfach von dieser Praxis abgewichen. Den Betroffenen wurde kein Platz in einer anderen Unterkunft zugewiesen, sie waren nach dieser Entscheidung obdachlos. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat sich in mindestens einem Fall ebenso verhalten. Politiker der Linkspartei kritisieren dieses Vorgehen scharf und halten es für grundgesetzwidrig. „Flüchtlinge bewusst in die Obdachlosigkeit zu entlassen, ist völlig inakzeptabel“, sagt der Linken-Abgeordnete und „Berliner des Jahres 2015“ Philipp Bertram der Berliner Morgenpost.

Für Asylsuchende, die nach Abschluss ihres Verfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Flüchtlinge anerkannt sind oder einen Schutzstatus genießen, sind die Bezirke und die Jobcenter zuständig, nicht mehr das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Sie müssen dann in einer Wohnung oder einer Obdachloseneinrichtung des Bezirks untergebracht werden. Da dies oft mangels Masse nicht möglich ist, bleiben viele Flüchtlinge auch nach Änderung ihres rechtlichen Status in einer LAF-Unterkunft. Mehr als 7000 Menschen seien davon betroffen, sagte Landesamt-Sprecher Sascha Langenbach der Morgenpost.

Mitte ist für knapp ein Drittel der Flüchtlinge zuständig

Wie oft Hausverbote ausgesprochen werden, wird nicht statistisch erfasst. In wie vielen Fällen ein Hausverbot zur Obdachlosigkeit führte, ist ebenfalls unklar. Linke-Politiker sprechen von mindestens 50 Fällen in Mitte. Dem widerspricht Ephraim Gothe (SPD), Sozialstadtrat des Bezirks. Die Zahl liege „unter einem Dutzend“, sagte er der Berliner Morgenpost. Unstrittig ist indes, dass es solche Vorgänge gab. Der Bezirk sah sich in jenen Fällen im Recht, in denen er dem Flüchtling attestierte, durch gezieltes Handeln das Hausverbot bewusst herbeigeführt oder zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Damit habe sich der Asylsuchende freiwillig in die Obdachlosigkeit begeben und das Sozialamt könne eine anderweitige Unterbringung verweigern, erklärte Gothe in seiner Antwort auf eine Anfrage der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung.

Der Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Obdachlosigkeit ist rechtlich entscheidend, das gibt sogar das Grundgesetz vor. Wenn ein Mensch tatsächlich freiwillig die Obdachlosigkeit wählt, dürfen die Ordnungsbehörden ihn nicht daran hindern, die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist von der Verfassung geschützt. Umgekehrt ist der Staat bei unfreiwilliger Obdachlosigkeit laut Grundgesetz verpflichtet, das Recht des Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu achten und für eine Unterkunft zu sorgen.

Der Abgeordnete Philipp Bertram wie auch andere Politiker der Linken halten es für eine abwegige Schlussfolgerung, dass Flüchtlinge, die sich ein Hausverbot einhandeln, freiwillig die Obdachlosigkeit anstrebten. Bertram kümmert sich insbesondere um einen jungen Syrer, der nun ohne Bleibe ist. Die Fachstelle für Obdachlosenhilfe des Sozialamtes Mitte hatte Ende Januar seinen Anspruch auf erneute Unterbringung abgelehnt, weil er trotz zweier Abmahnungen „stark alkoholisiert“ mehrfach die Nachtruhe in seiner Unterkunft gestört und Mitarbeiter des Wachdienstes beleidigt habe.

Dies geht aus einem Schreiben des Sozialamtes hervor, dass der Berliner Morgenpost vorliegt. Dort heißt es auch: „Angesichts der immer noch prekären Unterbringungssituation in Berlin und der Tatsache, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, bitte ich um Verständnis dafür, dass vom Bezirksamt Mitte keine andere Entscheidung getroffen werden kann.“

Bertram sieht das völlig anders. Die Abmahnungen seien nach Streitigkeiten erfolgt, es habe keine tätlichen Auseinandersetzungen gegeben und es sei auch niemand gefährdet worden. Die Vorfälle rechtfertigten keinesfalls eine so strenge Maßnahme. Dem Syrer werde pauschal eine Mutwilligkeit unterstellt und ein klärendes Gespräch verweigert. Sozialstadtrat Gothe betont, dass immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Allerdings erfolgt diese offenbar „nach Aktenlage“, wie aus einer anderen Information des Bezirksamtes Mitte hervorgeht.

Mit dem bewussten Provozieren eines Hausverbots solle meist „die Verwaltung unter Zugzwang gesetzt werden“, für den Wechsel in eine bessere Unterkunft zu sorgen, erläutert Gothe in seiner Antwort auf die BVV-Anfrage. Der Stadtrat verweist auch darauf, dass Mitte für rund 30 Prozent aller Flüchtlinge, die in der Obhut der Bezirke sind, zuständig ist – für alle Asylsuchenden, die im Januar geboren sind. Und wenn das Geburtsdatum des Flüchtlings nicht zu ermitteln ist, wird in der Regel der 1. Januar eingetragen. Angesichts von 5500 problemlos untergebrachten Flüchtlingen sehe er bei den angesprochenen Einzelfällen „keinen Handlungsbedarf“.

Ein Flüchtling hatte im Zimmer geraucht

Das hat sich allerdings jetzt geändert. Grund ist ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. März. Demnach muss der Bezirk Tempelhof-Schöneberg einem Flüchtling, der geklagt hatte, eine Unterkunft zur Verfügung stellen. Gegen ihn war bereits zweimal ein Hausverbot ausgesprochen worden, weil er in seinem Zimmer geraucht hatte. Angesichts des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit könne die Unterbringung höchstens in Ausnahmefällen verwehrt werden, ein solcher liege hier aber nicht vor, so das Gericht.

Nun will auch Mitte bis auf weiteres Flüchtlingen nach einem Hausverbot eine andere Unterkunft zuweisen. Das gelte auch für bereits Abgewiesene, wenn sie erneut vorsprechen, sagte Sozialstadtrat Gothe der Morgenpost. In Tempelhof-Schöneberg heißt es, man werde „im Lichte des Urteils“ weiterhin jeden Einzelfall prüfen. Andere Bezirke erklärten auf Nachfrage, sie würden Flüchtlinge immer in eine andere Unterkunft vermitteln, auch wenn der Verdacht bestehe, dass das Hausverbot provoziert war.

Die Senatssozialverwaltung vertritt ebenfalls die Auffassung, dass auch beim bewussten Herbeiführen eines Hausverbots nur in Ausnahmefällen von einer freiwilligen Obdachlosigkeit ausgegangen werden könne. Staatssekretär Alexander Fischer räumte allerdings ein, die Fragestellung sei nicht abschließend rechtlich geklärt. Nach Angaben von Stadträten will sich der Rat der Bürgermeister noch in diesem Monat mit der Frage der Hausverbote befassen.

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