Die Krise kommt im verflixten siebten Jahr. Nicht mit Wucht, eher schleichend. 18 Jahre alt ist Luisa, als sie mit ihrem Freund zusammenzieht. Ihr 25. Geburtstag ist ein Wendepunkt, an dem sie sich fragt: War es das? Geht da noch was? Da kommt ihr Tanzlehrer ins Spiel, ein lebenslustiger Typ, in den sie sich verliebt, mit dem sie eine Affäre hat. Bis er ihr sagt, dass es keine Zukunft gibt. Er hat Knochenkrebs, zwei Jahre noch. Sie will es nicht glauben, er schickt ihr die Arztdiagnose per E-Mail. Luisa bricht zusammen, trennt sich von beiden Männern und beginnt zu schreiben.
Sie legt sich das Pseudonym Jule zu und versucht unter www.juleblogt.de ihre Gedanken zu ordnen. „Ich weiß bis heute nicht, warum ich das unbedingt öffentlich machen musste“, sagt die gebürtige Potsdamerin. Sie hätte auch alles in ein Büchlein schreiben können. Aber sie habe das Gefühl gehabt, wenn es im Internet steht, sei es weg von ihr, kein Teil mehr von ihr. Heute ist Luisa 28, und ihre Essays über die Liebe, das Leben, die Einsamkeit und die Zweisamkeit sind nicht mehr nur online zu lesen. Ihre Geschichten sind jetzt in dem Buch „beziehungsweise“ erschienen. Es ist eine Sammlung der besten Storys des gleichnamigen Onlinemagazins, für das sie nun ebenfalls schreibt.
Single - eine neue Erfahrung in Zeiten der Dating-Apps
Luisa legt nach der Trennung einen Neustart hin – ein Leben als Single. Eine völlig neue Erfahrung in Zeiten der Dating-Apps. „Oft sind wir abends von einem Treffen gekommen und haben noch in der selben Nacht neue Dates ausgemacht“, erzählt sie von ihren Wochenenden mit Zufallsbekanntschaften und Freundinnen. Zwei Jahre dauert diese Phase, „gefühlt eine Ewigkeit“. „Die Erlebnisse reichen für zehn Jahre“, sagt Luisa. Mindestens.
Schnelllebig, aufregend, verrückt. So beschreibt sie das Suchen und Finden in Berlin. Luisa wohnt in Potsdam-Babelsberg und arbeitet als Projektassistentin in Lichtenberg. Um fünf Uhr beginnt ihr Tag. Doch sie fährt nicht nur zur Arbeit in die Hauptstadt. „Wir Potsdamer sind Dating-Pendler“, sagt die 28-Jährige. Das liege daran, dass zum Beispiel die Dating-App Tinder im Umkreis von zehn Kilometern nach passenden Partnern sucht. Also pendelt sie auch für die Dates nach Berlin. Man trifft sich, wo was los ist: an der Friedrichstraße, an der Warschauer Straße, im Winter auf dem Weihnachtsmarkt, beliebt ist auch der Bahnhof Zoo.
Schnelles Treffen in der Mittagspause
Die junge Frau erlebt seltsame Dinge, befremdliche Dinge. Einmal trifft sie einen jungen Mann in der Mittagspause – die App hatte herausgefunden, dass sie beide ganz in der Nähe arbeiten. Er sei ganz attraktiv gewesen, sehr nett, erzählt Luisa. Für sie lief es optimal. Doch nach dem 30-minütigen Treffen hat sie nie wieder etwas von ihm gehört.
Ähnliches ist ihr nach einem anderen Date am Abend passiert. Zwei Stunden waren sie spazieren, sie haben sich gut unterhalten, zum Abschied gab es einen Kuss und von ihm noch die Nachricht hinterher: „Es war total schön mit dir.“ Dann taucht der Mann ab. Die Erlebnisse verarbeitet sie in der Geschichte über das „Ghosting“ – also wenn jemand wie ein Geist wieder aus dem Leben verschwindet, vielleicht sogar alle Kontakte blockiert.
Luisa schreibt aber auch über die „Nice Guys“, diese netten, die immer da sind, wenn man sie braucht. Die aber so unaufregend sind, dass sie einfach übersehen, gar nicht erst als Partner in Betracht gezogen werden. Dabei könnte man mit diesen Männern eine lange und glückliche Beziehung führen, stellt sie fest. „Suche dir jemanden, der dir Suppe kocht, wenn du krank bist“, sagte ihre Oma immer.
„Nutze jeden Tag, lebe“
Ihren heutigen Freund findet sie nicht über eine Dating-App, nicht einmal irgendwo im Netz, sondern ganz unromantisch auf einer Antipogida-Demonstration in Potsdam. Er gehört zu ihrer Bezugsgruppe, also zu einer Gruppe, die zusammenbleibt, sollte etwas geschehen. Acht Monate kennen sie sich, jetzt wollen sie zusammenziehen. Gibt es da noch genug Themen für den Blog? Doch, erzählt sie. Es sind andere Geschichten. Zum Beispiel, die von dem Schrank, den sie als Single allein aufgebaut hat, krumm und schief, aber der unbedingt in die neue Wohnung mit soll, als Erinnerung an diese Zeit. Sie haben sich geeinigt: Er wird einen Platz in der hintersten Ecke finden, dort, wo ihn nicht jeder sieht. In einem der letzten Einträge in ihrem Blog nimmt Luisa endgültig Abschied von ihrem Tanzlehrer. Er stirbt mit 29 Jahren. Der Krebs hatte die Lunge erreicht und weiter gestreut. Er wird ein Vorbild für sie bleiben. Sie erzählt von seiner Lebensfreude, von seinen Träumen, trotz der Diagnose. „Nutze jeden Tag, lebe“, habe er ihr gesagt. Das hat sie ihm versprochen.
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