Berlin

Lieferverkehr in Berlin – Tausche Lkw gegen Lastenrad

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Lorenz Vossen

Foto: dpa Picture-Alliance / Peljak, Florian / picture alliance / Sueddeutsche

Der Senat will einen Teil des Lieferverkehrs in Berlin mit Fahrrädern organisieren. Geht das?

Wer hat sich nicht schon mal über sie aufgeregt? Lieferanten, die mit ihrem Wagen in zweiter Reihe parken, die Autos dahinter blockieren und gerne auch mal Radfahrer vom Sattel fegen, wenn sie ohne zu schauen die Tür aufreißen. „Wo soll ich parken, hab’ doch keine Zeit, muss ausliefern“, heißt es dann für gewöhnlich, wenn man sich beschwert. Von den Umweltbelastungen, die der zunehmende Lieferverkehr in Berlin verursacht, ist da noch gar nicht die Rede.

Als „Geschäftsmodell, das auf Illegalität beruht“ hat die Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ das Angebot von DHL, Hermes und Co mal bezeichnet. Doch die 15 bis 20 Euro Strafe, die das Parken in zweiter Reihe kostet, werden offenbar in Kauf genommen – meistens wird man sowieso nicht belangt. Martin Seissler will es anders machen. Der 40-Jährige leitet Velogista, das Unternehmen liefert seit 2014 nahezu innerhalb des gesamten S-Bahnrings – mit elektrischen Lastenfahrrädern. „Wir sind schneller und effektiver als Autos“, sagt Seissler. Die Räder dürfen im Gegensatz zur motorisierten Konkurrenz auf Rad- oder Busspuren fahren, sind wendig und kommen näher an ihren Lieferort heran.

Ob man sich von der DHL oder Velogista beliefern lasse, würde preislich keinen Unterschied machen, sagt Seissler. Und nebenbei wird kein Gramm Abgas in die Luft geblasen; in einer Stadt, in der die Grenzwerte für Stickoxide konstant überschritten werden. „Für eine bessere Stadt“, lautet der Velogista-Slogan.

Acht Lastenräder zählt die Flotte, sie haben ein Fassungsvermögen von 1,6 Kubikmetern beziehungsweise einer handelsüblichen Europalette. Das ist natürlich weniger als in einen Lieferwagen oder Lkw passt, dafür sind die Räder bei Anschaffung und Wartung deutlich günstiger. Das Prinzip ist simpel: Von den Sammeldepots in Kreuzberg und Charlottenburg, sogenannten Hubs, wird die Ware von den 15 Mitarbeitern in einem Radius von fünf Kilometern ausgeliefert – die „letzte Meile“ zum Endkunden. Auftraggeber sind unter anderem ein Unternehmen für nachhaltige Büro- und Haushaltsartikel und ein Blumen-Lieferant. Die Kundenakquise sei nicht immer leicht, sagt Seissler, „wir müssen erst erklären, dass wir nicht klassische Fahrradkuriere, sondern Logistiker sind.“

Berliner Senat will Lieferungen per Lastenrad fördern

Obwohl das Konzept zu funktionieren scheint, hat Velogista in Berlin ein Monopol. Auch in anderen Großstädten ist die Zahl von Anbietern überschaubar. Das Bewusstsein, dass sich das klassische Liefergeschäft in Ballungsräumen verändern muss, dringt nur langsam durch. Bei der DHL wurde in Berlin gerade mal ein E-Lastenfahrrad getestet, eine Ausweitung im Frühjahr ist derzeit in Planung. Morgenpost-Anfragen an andere große Unternehmen blieben am Montag unbeantwortet.

Der Senat hat sich vorgenommen, den Lieferverkehr auf Lastenrädern anzukurbeln. Räder für Gewerbetreibende sollen gefördert werden, außerdem wurde im Rahmen eines Bundeswettbewerbs ein Projekt initiiert. Dabei sollen – ähnlich dem Velogista-Prinzip – an sechs Standorten sogenannte Mikro-Depots eingerichtet werden, von denen aus die beteiligten Kurier-, Express- und Paketdienste ihre Lieferungen mit Lastenrädern durchführen. Unter anderem sind DHL, DPD, Hermes und UPS dabei. „Die Vielzahl an Lieferwagen gefährdet Radfahrer und Fußgänger“, begründet Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) das Vorhaben. Man hoffe so auf eine Entlastung des innerstädtischen Verkehrs. Die notwendigen Mittel wurden beim Bund beantragt, eine Entscheidung steht noch aus.

Velogista-Chef Seissler begrüßt, dass auch die großen Spieler auf dem Markt mehr Lastenfahrrad wagen wollen. Dass sie seine Geschäftsidee nicht schon viel früher kopiert haben, sondern ein „Sponsoring“ vom Bund brauchen, findet er jedoch merkwürdig. Auch sei das Projekt nicht optimal angelegt. So sei es nicht effektiv, wenn alle Unternehmen alle Stadtgebiete parallel beliefern würden. Besser wäre eine Aufteilung. Dem Vernehmen nach wollen die Anbieter ihre Mobilitätskette aber nicht aus der Hand geben.

Für manche kommt das Lastenrad gar nicht erst nicht infrage. „Für die Versorgung eines Supermarktes sind Lastenfahrräder allein schon aufgrund der beschränkten Transportkapazitäten eher ungeeignet“, heißt es bei der Rewe Group. Sicher seien manche Mengenvolumina im Einzelhandel eine große Herausforderung, sagt Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. „Deshalb sind Lastenräder zunächst eher für kleinere Händler geeignet.“ Doch das Thema sei spannend, um Nachhaltigkeit komme in Berlin kaum noch ein Unternehmen herum.

Velogista will in der Zukunft auf jeden Fall auch Supermärkte beliefern. In Zusammenarbeit mit einem Großunternehmen ist ein Forschungsprojekt geplant, bei dem getestet werden soll, wie Kühlware ohne Unterbrechung der Kühlkette per Rad transportiert werden kann.

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