Alles muss raus: Rennräder, Brillen im 30er Pack, der Rollator mit Einkaufsbeutel, Bücher. Die Trompete im schwarzen Etui - zum ersten, zum zweiten, 40 Euro zum dritten. Die erstaunliche Palette der Vergesslichkeiten kommt in einer Halle in Berlin-Tempelhof unter den Hammer. Es sind allesamt Sachen, die in U-Bahnen, Bussen oder Trams der Hauptstadt vergessen wurden. Im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe versteigert Auktionator Ulrich Beier viermal im Jahr die teils seltsamen Funde.
Wie kann man einen Rollator vergessen? „Vielleicht Wunderheilung“, grinst der 68-Jährige. „Ich wundere mich über gar nichts mehr.“ Es sei auch schon mal ein verpackter, nagelneuer Fernseher in der Bahn stehengeblieben, der dann bei der Versteigerung landete. In der Halle sind auch dutzende Fahrräder aufgereiht - eine Studentin strahlt über ihren Neuerwerb für 20 Euro. Und sie kann sicher sein, dass ihr Rad nicht aus einem Diebstahl stammt. Die Rahmennummern werden vorher überprüft, wie der Auktionator betont.
„Wir sind schusselig, wir sind eilig, wir sind unkonzentriert“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz zu den möglichen Gründen für die steigende Vergesslichkeit. Von Jahr zu Jahr nehme die Zahl der Stücke zu - mittlerweile sind es um die 64 000. Vor zehn Jahren seien es noch 20 000 weniger gewesen. Jetzt seien bis zu 4000 Handys, mehr als 1500 Brillen und 200 Fahrräder dabei - ebenso Bohrmaschinen, Jacken und Hausschlüssel. Diese werden aber nicht versteigert.
Viele Menschen würden gar nicht erst nach abhandengekommenen Habseligkeiten suchen und sie gleich abschreiben. „Dabei sind die Berliner ehrlich und geben viel ab - auch das Portemonnaie mit Geld“, weiß Reetz aus Erfahrung. Ihre Kollegen hätten auch schon einen lebenden Fisch im Wasserglas gerettet. Laut BVG-Sprecherin werden nur bis zu 35 Prozent des Liegengebliebenen oder Stehengelassenen abgeholt. Dann sind aber auch Entgelte fällig. Ein Euro muss beispielsweise berappt werden, wenn man seine Gehhilfe oder den Regenschirm wiederhaben will.
Allein bei den Berliner Verkehrsbetrieben kümmern sich acht Mitarbeiter um die Funde. Kommen Personalpapiere zum Vorschein, werden auch Polizei und ausländische Botschaften kontaktiert. „Wir versuchen zu helfen - das ist Kundenservice“, so die Sprecherin. Aber es sei ein Zuschussgeschäft - was bei den Versteigerungen eingenommen wird, decke die Kosten keinesfalls. Das BVG-Fundbüro ist laut Reetz seit 1929 in Betrieb. Es ist nicht die einzige Anlaufstelle für Vergessliche: Auch in den Flughäfen Tegel und Schönefeld gibt es Sammelstellen.
Das zentrale Fundbüro Berlins ist im früheren Flughafen Tempelhof untergebracht. Taschen, Rucksäcke, Handschuhe, Schlüssel - hier landen jährlich 35 000 herren- und damenlos gewordene Stücke. „Wir merken die hohe und steigende Zahl an Touristen“, sagt Bereichsleiter Manfred Schneider. Kamen bis 2010 jährlich in etwa 25 000 Funde an, seien es seitdem pro Jahr etwa 10 000 mehr. Die 15 Mitarbeiter des Fundbüros gehören laut Schneider zum Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg.
Auch der 47-Jährige wundert sich, dass wenig abgeholt wird. Es seien nur um die 20 Prozent. „Vielleicht ist es die Wegwerfgesellschaft“, mutmaßt er. Manche könnten eben nicht ein paar Tage warten und kauften neu - das Verlorene müsse doch aber erstmal hier einsortiert werden.
„Viele wissen vielleicht auch gar nicht, dass es uns gibt“, denkt Schneider nicht nur mit Blick auf die Hauptstadt-Besucher. Dabei sei es toll, wenn beispielsweise die vergessene Klarinette gegen eine „kleine Schussligkeitsgebühr“ zum Besitzer zurückkommt. „Wir können Leute glücklich machen“, freut sich der Beamte. Er selbst habe noch nichts verloren - aber er sei mal beklaut worden.
Kommt niemand, fällt nach einem halben Jahr das aufbewahrte Stück an den Finder, erläutert Schneider, der hier seit 15 Jahren zuständig ist. Wenn der neue Eigentümer verzichtet, werde versteigert. Was übrig bleibt, werde auch an gemeinnützige Einrichtungen gegeben. „Die freuen sich über Fahrräder, Rollstühle oder Kinderwagen.“