Humboldt-Uni

HU-Besetzer: "Endlich politisieren wir uns mal wieder"

| Lesedauer: 5 Minuten
Paulina Czienskowski
Protest will Aufmerksamkeit: Zum Schlafen hat sich dieser Student auf ein Sofa gelegt

Protest will Aufmerksamkeit: Zum Schlafen hat sich dieser Student auf ein Sofa gelegt

Foto: Paulina Czienkowski

Seit rund zwei Wochen ist ein Institut der Humboldt-Universität wegen der Entlassung von Andrej Holm besetzt. Ein Besuch.

Unten im Keller riecht es nach schlafenden Menschen. Etwas muffig. Klar, hier übernachten auch seit gut zwei Wochen täglich bis zu 30 Studenten. Protest im besten Sinne. Mittwochabend haben sie gemeinsam ihr Durchhalten gefeiert. Auch deshalb hört man noch um zehn Uhr am nächsten Morgen seichtes Schnarchen aus einigen Ecken des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität (HU), während sich andere mit selbst geschmierten Brötchen am Infostand treffen, um das heutige Programm durchzusprechen.

Geschlafen wird auch in Räumen oben – je nachdem, wie viele der in großen Teilen gespendeten Matratzen und Isomatten am Abend schon belegt sind. Seinen Platz muss sich jeder, der über Nacht bleibt, selbst organisieren. Manch einer sucht sich dann eben eine Couch im Erdgeschoss und die kann auch mal direkt im Schaufenster stehen. Plakativer Aktionismus in einem Bild. Als minimaler Sichtschutz vor Passanten hängen Protestschilder an den Scheiben. So weiß auch jeder draußen, was da hinter den Mauern passiert. Widerstand will Aufmerksamkeit.

„Besetzt!“, „Ganz Berlin hasst die SPD“ oder „HU nur mit Holm“ steht da in radikalen Großbuchstaben geschrieben. Andrej Holm, der Stadtsoziologe und umstrittene Ex-Baustaatssekretär, ist die zentrale Figur des Spektakels. Zumindest war es die Diskussion um seine Personalie als Dozent, die diesen Aufstand im Januar ausgelöst hatte, weil er seine Stasi-Vergangenheit bei Einstellung nicht angegeben hatte und ihm nun gekündigt wurde wegen „arglistiger Täuschung“. Holm hingegen erklärte, keine bewusste Falschaussage zu seinem Status bei der Stasi getroffen zu haben.

Holm mache keinen „angsteinflößenden Leistungsdruck der Lehrenden“

Der 46-Jährige ist bekannt für seine kritische Lehre, was er und auch ein Teil der Studierenden als einen Grund für seine Entlassung als Berliner Baustaatssekretär ansehen: Die Polemik seiner Gegner zeige, sagte er, dass es vor allem um die Angst vor einer scharfen Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik gehe. Er stehe Hausbesetzern und Mietern der Stadt deutlich näher als vielen privaten Investoren, so Holm. Auch deshalb wundert nun die Unterstützung von diversen Mieter-Initiativen kaum. Viele seiner Studenten hängen gerade wegen dieser kritischen Ansichten an dem Mann.

So wie eine junge Frau, die mit Filterkaffee aus der Protestlager-Küche kommt. Sie will lieber anonym bleiben. Holm sei herausgestochen, sagt sie. „Er diskutiert auf Augenhöhe, macht nicht mit beim angsteinflößenden Leistungsdruck der Lehrenden, sondern sieht ein Studium als das an, was es ist: freiwillig“, sagt die 28-Jährige. #holmbleibt heißt es nach wie vor bei seinen Fans. Damit fordern sie einhergehend auch mehr Mitbestimmungsrecht im allgemeinen Hochschulbetrieb. Über die Stasi-Vergangenheit und seine falschen Angaben reden sie dagegen nicht.

Selbst in den Semesterferien soll die Besetzung weitergehen

Vermutlich hätten die wenigsten gedacht, dass sich die Protestler so lange formieren würden. Hat man doch zuletzt 2011 eher zurückhaltend und nur sehr kurz an der Freien Universität in Berlin protestiert. Dass sie sich den Spielball mit der Hochschulpräsidentin Sabine Kunst mehrmals hin- und herschießen und bis jetzt nicht klein beigegeben haben, war nicht vorherzusehen. Auch in den bevorstehenden Semesterferien soll sich an der Besetzung nichts ändern, sagt das Presseteam.

Die Studierenden arbeiten nun nochmal ihre Forderungen heraus. Kunst hatte ihnen am Mittwoch in einem offenen Brief geschrieben, an der Kündigung Holms festzuhalten, und lud die Studenten zum Dialog ein, wenn sie die Besetzung beenden. Das sei nötig, da der Lehrbetrieb eingeschränkt sei. Doch das Angebot lehnten die Studenten klar ab. Nach ihren Recherchen sei der gestörte Unterricht übrigens gar kein Argument. Es müsste doch genug Kapazität gegeben sein, um Seminare und Vorlesungen in andere Räume oder Gebäude verlegen zu können. Es sei vielmehr ein strukturelles Problem, weil sich niemand verantwortlich fühle, heißt es. Die zuständige Sekretärin sei krank und habe zudem Überstunden angehäuft, wie sich wissenschaftliche Mitarbeiter erzählen würden.

Hans geht alle drei Tage nach Hause, um zu duschen

„Wir sollen gehen und erst dann soll verhandelt werden – das ist kein Kompromiss“, sagt Hans. Der 22-Jährige schläft auch im Institut. Alle drei Tage ist er zu Hause, um zu duschen. „Auf Dauer ist das hier schon anstrengend mit so vielen Menschen“, sagt er. Genug davon haben sie noch nicht. Ist das zähe Verteidigen Holms und das ihrer eigenen Rechte auch so etwas wie ein Plädoyer an den Aktionismus junger Menschen, den man derzeit verstärkt auch außerhalb des HU-Kosmos’ beobachten kann? So sieht es Hans: „Das Schönste daran ist, dass wir uns endlich mal wieder politisieren.“ Täglich werde man in der Universität mit Theorien zugeschüttet, „da gibt es auch das Bedürfnis, gewisse Dinge auszutesten“.

Für viele von Holms Unterstützern spielt seine Vergangenheit gar keine Rolle. „Das Thema ist für junge Generationen zu weit weg“, sagt Hans. Immer wieder merke er in Gesprächen mit älteren, wieviel mehr entzündliches Potenzial sie darin sähen. Wie das Machtspiel zwischen der Hochschule und den Studneten ausgehen wird, das ist unklar. Bald beginnen die Semesterferien.