Berlin. In der Berliner Autowerkstatt von Thomas Lundt arbeiten junge Flüchtlinge. Der Kfz-Meister möchte sie nicht mehr missen.

Die Integration der in Berlin registrierten Flüchtlinge ist eine Mammutaufgabe. Dass sie möglichst schnell die Sprache lernen sollen und Beschäftigung brauchen, steht außer Frage – wie lange das dauert, steht auf einem anderen Blatt. Oft blockieren lange Wartezeiten und bürokratische Hürden den Weg in ein eigenständiges Leben. Thomas Lundt ist kein Freund großer Reden und verzweigter Bürokratien. Der Chef und Obermeister der Kfz-Innung Berlin packt lieber an. „Die Menschen sind hier, und wenn wir nicht aktiv werden, bekommen wir irgendwann gravierendere Probleme“, sagt er. In seiner Zehlendorfer Autowerkstatt beschäftigt er inzwischen drei Flüchtlinge, zwei als Azubis, einen Gesellen. Und ist sehr zufrieden. „Das sind hochmotivierte Jungs, die was machen wollen. Sie sind jung und lernen schnell. So was findet man nicht so leicht“, sagt Lundt. Er möchte andere Handwerksbetriebe ermutigen, es ihm nachzutun.

Die Auszubildenden müssen genug Deutsch sprechen

„Es macht wenig Sinn, viel über Integrationskurse zu diskutieren“, sagt Thomas Lundt. „Hier zu arbeiten, das ist der Integrationskurs.“ Ohne Teilhabe am Leben und an der Arbeit funktioniere das nicht. „Die Handwerksbetriebe können viel tun. Alles, was wir brauchen, ist, dass uns jemand die Behördendinge abnimmt und dass die Auszubildenden genug Deutsch können, sodass man sich verständigen kann“, sagt Lundt. „Der Rest kommt bei der Arbeit.“ In seiner Werkstatt, die auf Sportwagen spezialisiert ist, wird ausschließlich Deutsch gesprochen, darauf achtet der Chef. Die Sprachkenntnisse seiner Schützlinge hätten sich damit rasant verbessert, sagt er. Deutsch brauchten sie auch in der Berufsschule.

Sein Geselle Hasan, ein Jeside aus Syrien, und der Lehrling Shenouda, ein ägyptischer Christ, kamen über die Vermittlung von Arrivo zu Lundt. Das Projekt der Senatsarbeitsverwaltung kooperiert mit der Berliner Handwerkskammer und vermittelt Geflüchteten Praktika in Betrieben, die in eine geförderte Einstiegsqualifizierung mit Berufsschule und bei Eignung zu einem Ausbildungsvertrag mit dem Betrieb führen können. Insgesamt haben in Berlin 723 Flüchtlinge an Arrivo-Programmen teilgenommen, 205 konnten weitervermittelt werden. „Das Handwerk hat bei der Integrationsarbeit eine Vorbildfunktion“, sagt Lundt. In den Dax-Unternehmen kümmere sich keiner wirklich darum, glaubt er.

Der Syrer Hasan (29) kam vor knapp vier Jahren nach Deutschland. Er stamme aus einem kurdischen Dorf nahe der türkischen Grenze, erzählt er, sei in Aleppo aufgewachsen und habe schon früh in Autowerkstätten als Karosseriebauer gearbeitet. Seinem Asylantrag wurde stattgegeben, die Aufenthaltsgenehmigung gerade um weitere drei Jahre verlängert. Hasan spricht inzwischen gut Deutsch, hat eine eigene Wohnung in Lichtenrade und verdient sein eigenes Geld. Zwei Jahre lang habe er Unterstützung vom Jobcenter und Sozialamt bekommen, sagt er, aber seit rund einem Jahr könne er für sich selbst sorgen. „Ich bin jung, ich kann arbeiten, ich brauche keine Hilfe vom Staat.“

Um das zu erreichen, hat er neben den offiziellen Kursen auch noch abends mit freiwilligen Helfern Deutsch gelernt und sich um Arbeit bemüht. Nach zwei Praktika, die nicht seiner Vorbildung entsprachen, vermittelte ihm Arrivo ein passendes bei Lundt. Er bekam eine einjährige Einstiegsqualifizierung und verdient heute als Geselle schon fast so viel wie seine Kollegen, zahlt also bereits in die Sozialkasse ein, sagt Lundt. „Hasan ist für uns ein Glücksfall – gerade im Sportwagenbereich brauche ich Leute, die eine Leidenschaft für Autos haben.“

Ob die neuen Mitarbeiter bleiben dürfen, ist oft offen

Shenouda (33) aus Ägypten, der in seiner Heimat eine Berufsschule besucht hat und über keinerlei praktische Erfahrung verfügte, übernahm Lundt Anfang August nach einem Praktikum in eine Lehre als Kfz-Mechatroniker. Bei Shenouda haben ihn dessen Talent, Geschicklichkeit und bemerkenswerte Freundlichkeit überzeugt. Der Ägypter ist seit drei Jahren in Berlin, hat zwei Deutschkurse besucht und vor etwa einem Jahr eine Wohnung in Reinickendorf gefunden. „Ich bin 150 Prozent froh, hier zu sein“, sagt er. „Hier lernt man wirklich was fürs Leben.“ Shenoudas Aufenthaltsstatus ist nicht geklärt. Sein Asylantrag wurde im Oktober abgelehnt, nun seien Anwälte damit beschäftigt – Ausgang ungewiss. Immerhin hatte er bereits einen regulären Ausbildungsvertrag mit Berufsschule. „Mitten in der Ausbildung darf er nach dem Integrationsgesetz nicht abgeschoben werden – danach sehen wir weiter“, sagt Thomas Lundt.

Mit zwei Geflüchteten hatte Lundt eigentlich genug für seinen 20-Mann-Betrieb. Beschäftigt er doch auch noch eine studentische Aushilfskraft aus Israel. Khalil (23), ein arabischer Christ aus Nazareth, studiert regulär Fahrzeugtechnik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und hilft zweimal pro Woche in der Werkstatt aus. Doch dann kam Ahmed, ein schlaksiger Junge, der erst vor knapp einem Jahr aus dem Libanon nach Berlin kam und in einer WG für unbegleitete junge Flüchtlinge lebt. Auch für ihn war Herumsitzen keine Option. Er ist selbst aktiv geworden und lernte in wenigen Monaten genug Deutsch, um sich verständigen zu können.

Im Internet suchte er sich Adressen von Autowerkstätten heraus und bat seinen Träger, ihm ein Praktikum zu vermitteln. Lundt gab ihm die Chance, wollte ihn danach jedoch nicht in die Ausbildung übernehmen, um sein Team nicht zu überfordern. „Aber dann stand plötzlich mein Abteilungsleiter vor mir und fragte, wo Ahmed steckt.“ So einen begabten Jungen hätte er lange nicht mehr erlebt, er wollte ihn unbedingt wieder haben. Seit September wird Ahmed nun zum Automechatroniker in der Fachrichtung Karosserie-Instandsetzung ausgebildet. Der inzwischen 18-Jährige hat in Berlin einen Asylantrag gestellt.

In Lundts Werkstatt schrauben nun neben Deutschen junge Menschen aus Ägypten, Libanon, Syrien und Israel an den Porsches – „Spannungen oder einen Nahostkonflikt gibt es bei uns nicht“, sagt Lundt. „Es ist eine bunte Gruppe junger Männer, die sich bei uns gut verstehen und ihre Zukunft gestalten. Wir hoffen, damit ein Beispiel zu geben, wie man Integration versteht.“ Der 62 Jahre alte Kfz-Meister hat noch ein weiteres Motiv. Er selbst hat sich aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet. Er möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.