Seit Mittwoch halten Aktivisten das Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität besetzt.
An der Humboldt-Universität (HU) halten Aktivisten seit Mittwoch das Institut für Sozialwissenschaften besetzt. Sie fordern eine Rücknahme der Entscheidung des Universitätspräsidiums, den zurückgetretenen Staatssekretär Andrej Holm zu entlassen. Die Besetzung erfolgte direkt nach der Erklärung von HU-Präsidentin Sabine Kunst, den wegen seines Umgangs mit seiner Stasi-Vergangenheit in die Kritik geratenen Soziologen von seiner Tätigkeit zu entbinden.
Bleiben wollen die Studierenden solange, bis ihre Forderung erfüllt ist. Am Mittwoch nahmen den Aktivisten zufolge rund 150 Personen an der Besetzung teil, etwa 50 von ihnen seien über Nacht geblieben. Viele Dozenten zeigten sich laut einem Sprecher pragmatisch und hätten ihre Lehrveranstaltungen in andere Räume verlegt.
„Die Entscheidung des Präsidiums war ein offener Mittelfinger an uns Studierende“, sagte einer der Besetzer bei einer Informationsveranstaltung am Donnerstag. Man wolle in Entscheidungsprozesse der Universität mit einbezogen werden. Dass Andrej Holm, der vor wenigen Tagen von seinem Posten als Staatssekretär zurückgetreten ist, nur wegen falscher Angaben zu seiner Stasi-Vergangenheit in der Kritik steht, bezweifeln viele. Vielmehr hätten Politiker vor allem der SPD mit guten Verbindungen in die Immobilienwirtschaft den Mieten-Aktivisten und ehemaligen Hausbesetzer als Baustaatssekretär verhindern wollen. „Es gibt Menschen denen Holm politisch nicht gepasst hat“, sagt eine Studierende. „Seine Stasi-Vergangenheit war ein gefundenes Fressen.“
Trotz der Studentenproteste bleibt die HU bei ihrem Entschluss, Holm zu entlassen. "Die Entscheidung der Präsidentin steht. Wir erwarten nun die Stellungnahme des Personalrates", teilte ein HU-Sprecher am Donnerstag mit. Die Besetzung respektiere die HU aber als eine Form des Protests. Lehrveranstaltungen in betroffenen Räumen seien verlegt worden.
Am Donnerstagmorgen sorgte eine Nachricht für Verwirrung, derzufolge die Polizei das Institutsgebäude durchsucht habe. Es habe eine „ziemlich intensive Durchsuchung“ gegeben, twitterten die Besetzer, wiesen später aber darauf hin, dass die Maßnahme nichts mit ihnen zu tun gehabt habe.
Die Polizei teilte der Berliner Morgenpost mit, es habe sich um einen Einsatz wegen Sachbeschädigung an der Straße gehandelt. Gegen 1.20 Uhr seien zwei Frauen dabei beobachtet worden, wie sie Graffiti an die Außenfassade eines Uni-Gebäudes in der Universitätsstraße sprühten. Die Polizei habe daraufhin zugegriffen. Während eine der Frauen habe fliehen können, nahmen Polizisten die andere fest.
Sie ist laut Polizei 27 Jahre alt und sei nach Festnahme und Feststellung der Personalien unmittelbar wieder auf freien Fuß gekommen. Ob es sich bei ihr um eine Studentin der HU handelt, sei der Polizei nicht bekannt. Man habe ihr eine Vorladung zukommen lassen. Sie solle sich jetzt zu dem Vorfall erklären.
Auf Nachfrage der Berliner Morgenpost bestätigte ein Sprecher der Polizei, dass Polizisten auch das Uni-Gebäude betreten hätten. Sie seien auf der Suche nach der flüchtenden Person gewesen und hätten lediglich das Foyer betreten.
Die Studierenden richten sich auf einen längeren Aufenthalt ein
Im Institutsgebäude haben sich die Studierenden auf einen längeren Aufenthalt eingestellt. In den Fluren riecht es nach Essen, in verschiedenen Räumen finden selbstorganisierte politische Workshops und Seminare statt, darunter ein Lesekreis zu Karl Marx‘ Klassiker „Das Kapital“. Auf regelmäßigen Versammlungen will man sich über eine gemeinsame politische Linie einig werden.
Viele scheinen gar nicht so genau zu wissen, worum es bei dem Fall Holm genau geht. Während der Informationsveranstaltung am Donnerstag stellte ein Aktivist die Frage, wer von den rund 30 Anwesenden Holms Stasi-Akte überhaupt gelesen habe. Nur zwei Hände gingen hoch. Ein junger Mann, der nach eigenem Bekunden rein zufällig auf die Besetzung aufmerksam geworden sei, musste sich erst erkundigen, wer Andrej Holm eigentlich ist. Überhaupt blieben bei der einstündigen Veranstaltung viele Fragen offen. Diese zu klären sei die Aufgabe der kommenden Tage, sagte eine Studentin.
Die Kündigung Holms beruht laut HU-Präsidentin Kunst nicht auf Holms Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst "sondern einzig darauf, dass Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat". Sie sprach in ihrer Erklärung von "arglistiger Täuschung".
Der von den Linken als Baustaatsekretär berufene Holm hatte sich als 18-Jähriger für eine Offizierslaufbahn in der DDR-Staatssicherheit beworben und wurde 1989 als Offiziersschüler vereidigt. Gegenüber der HU hatte er diesbezüglich falsche Angaben gemacht. Nach massiver Kritik trat er als Baustaatssekretär zurück. Gegen seine Entlassung von der HU will Holm rechtliche Schritte einleiten. (mit dpa)