Berlin

Wo die meisten Babys wohnen

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ISABEL METZGER

Prenzlauer Berg weiter geburtenstark, aber Friedrichshain holt massiv auf. Überall fehlen Kitaplätze

„Hallo, hallo, kleiner Karl.“ Sechs Mütter und Väter sitzen im Kreis, singen, winken und grüßen Karl. Der Kleine ist acht Monate alt. Er liegt neben fünf anderen Babys auf einer Schaumstoffmatte, die Beine angewinkelt, seine Finger tasten an einer Kette mit Perlen. Heute ist Karls erster Tag. Die nächsten drei Monate wird er mit seiner Mutter zu einem Babykurs ins Familienzentrum Friedrichshain kommen. Einen Monat musste die 28-Jährige warten, um einen Platz zu bekommen. Ein Glücksfall. Die Wartelisten im Familienzen­trum Friedrichshain sind lang. Kurse mit Babys im ersten Lebensjahr sind stark gefragt. Etwa 50 Eltern warten auf einen freien Platz in einem der Babykurse. Für das Eltern-Kind-Turnen ab zweieinhalb Jahren sind es 150.

„Eltern mit Kleinkindern muss ich oft vertrösten“, sagt Leiterin Brigitte Rappert. „Heute könnten wir auch zwei Familienzentren füllen.“ Die Anfragen kommen nicht nur aus Friedrichshain. Selbst aus Charlottenburg haben sich bei ihr schon Eltern gemeldet.

Neues Onlineprojekt der Berliner Morgenpost

Berlin erlebt einen Babyboom. Seit 2007 werden jährlich immer mehr Kinder geboren. Das ergaben Auswertungen eines neuen Onlineprojekts der Berliner Morgenpost. In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der Babys unter einem Jahr von knapp 28.000 auf etwa 35.000. Prenzlauer Berg, einst Inbegriff für Kinderreichtum, steht zwar noch an der Spitze der geburtenstarken Bezirke. Doch inzwischen hat Friedrichshain stark aufgeholt: Auf 1000 Einwohner kommen hier 2016 im Schnitt gut 12,5 Babys. In Prenzlauer Berg sind es knapp 12,7. Deutlich niedriger fallen die Geburtenzahlen in den alten West-Bezirken aus. Die wenigsten Babys pro Einwohner leben in Zehlendorf. Dort kommen in diesem Jahr auf 1000 Menschen 7,1.

Der Anstieg von Geburten hat aus Sicht der Forscher demografische Ursachen. „Viele junge Menschen ziehen nach Berlin und gründen ihre Familien in der Stadt“, sagt Theresa Damm, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin Institut. „Im Schnitt bekommt eine Frau in Berlin aber heute nicht mehr Kinder als anderswo“, sagt Damm. Ein Großteil junger Eltern lebt in Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Pankow.

Das hat Folgen für die Betreuung von Kleinkindern. Schon jetzt kämpfen Eltern um Kitaplätze. Zwar sind in ganz Berlin derzeit gut 8000 Plätze frei. Doch die Auswertung der Morgenpost zeigt, dass es in manchen Bezirken eng werden könnte: Die Mutter des kleinen Karl steht auf den Wartelisten mehrerer Kitas in Friedrichshain. „Im Schnitt bin ich Nummer 250“, sagt sie. „Mal sehen, ob wir Glück haben.“ Eine andere Mutter hatte Glück. Sie sitzt mit Sohn Tristan (1) nebenan im offenen Spieletreff des Familienzentrums. Drei Monate vor der Geburt hat sie nach Kitaplätzen angefragt. „Herbst 2015. Da sagten mir manche schon, dass der Zug für 2016 abgefahren sei.“ Erst nach einem Jahr wurde ein Platz bei einer Tagesmutter frei.

Im Westen, in Spandau, Zehlendorf oder Reinickendorf, kamen in den vergangenen Jahren im Vergleich weniger Babys zur Welt. Eine Garantie für einen Kita-Platz ist das aber nicht. Beispiel: Rund um die Feuerbachstraße in Steglitz wurden in diesem Jahr 82 Babys geboren. Kitaplätze gibt es aber nur 14. An der Staakener Straße in Spandau waren es 27 Geburten. Zur Verfügung stehen derzeit aber nur fünf Plätze.

Mutter Viola Illing wohnt in Staaken. Mit ihrer Tochter Hannah (6) sitzt sie an diesem Nachmittag im Familiencafé „Mi Mundo“. Claudia Blank hat es vor einem Jahr geöffnet. „Für Kinder habe ich hier kaum Angebote gefunden“, sagt die Mutter einer Dreijährigen. Illing rührt in einer Tasse Kaffee, tippt ins Smartphone und freut sich, andere Eltern zu treffen. Hannah hockt auf dem Boden und spielt mit Plastikbällen. Illing ist alleinerziehend. „Da muss man viel ohne Hilfe bewältigen“, sagt sie. Die Suche nach einem Kitaplatz fiel der Mutter vor fünf Jahren schwer. Durch Zufall wurde nach Monaten ein Platz in Spandau frei.

Ein Café für Eltern und Kinder in Staaken

Rot-Rot-Grün will im kommenden Jahr 20 Millionen Euro zusätzlich in Baumaßnahmen im Kitabereich investieren. Inklusive Personal seien fürs kommende Jahr zusätzliche Investitionen im „dreistelligen Millionenbetrag“ eingeplant, so Thorsten Metten, Sprecher der Jugendverwaltung. Bis 2020 sollen 30.000 neue Kitaplätze entstehen – ein Plus von 18 Prozent.

Für einen Bezirk wie Friedrichshain-Kreuzberg dringend nötig. „Manche Kita-Träger haben schon ihren dritten Kredit laufen“, sagte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Vor allem mangele es an ausgebildeten Erziehern. „Noch haben wir mehr Kitaplätze als Kinder geboren werden“, sagt Herrmann. „Aber es wird langsam eng.“

Die interaktive Anwendung und alle Informationen zum Babyboom in Berlin finden Sie unter www.morgenpost.de