Nach dem Ende des Realisierungswettbewerbs für das „Museum des 20. Jahrhunderts“ gehen die Meinungen weit auseinander. Ein Pro und Contra.
Der Sieger-Entwurf für das geplante Museum für Moderne sorgte in der vergangenen Woche für einen Aufschrei: An ein Bierzelt oder einen Baumarkt fühlten sich die einen erinnert, die anderen lobten die Vorstellungen der international renommierten Architekten Herzog & de Meuron als gelungenen Solitär. Was wird es also – ein Magnet auf dem Kulturforum oder eine gigantische Scheune? Die Berliner Morgenpost bat Architekt Stephan Braunfels, prominentester Kritiker des Entwurfs, und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ein Pro und Contra zu verfassen. Während Regula Lüscher den Siegerentwurf als „integrativ“ wie keinen der anderen Entwürfe bezeichnet, bleibt Braunfels bei seiner ablehnenden Haltung und spricht von einem Super-GAU der Berliner Stadtplanung.
Pro: Ein entspanntes Haus

Von Regula Lüscher - Senatsbaudirektorin
Die Gestaltung des Kulturforums war in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Glaubenskrieg zwischen den legitimen Verteidigern der scharounschen Stadtlandschaft und denjenigen, die die „Heilung“ des Kulturforums in einer radikalen Rückbesinnung auf den Städtebau der Vorkriegsjahre sahen, also den Block, die Straße, den Hof. Dieser für Berlin typische, oft geradezu ideologisch geführte städtebauliche Diskurs hat den Blick auf die Ausgangsfrage verstellt, die da heißt: Welches Programm braucht das Kulturforum? Zur Beantwortung ein Blick auf das Gegebene: Wir finden Stülers dreischiffigen, an der Romanik orientierten Kirchenbau St. Matthäus, Scharouns Philharmonie und Staatsbibliothek als Meisterwerke der organischen Moderne sowie Mies van der Rohes Nationalgalerie, ein der Klassischen Moderne verpflichteter Stahlbau in seiner höchsten Form der Abstraktion. Dies sind die vier unmittelbaren architektonischen Bautypen, mit denen umgegangen werden muss.
Ein weiterer Solitär mit klar identifizierbarer Nutzung und dadurch starkem Charakter und nicht eine abstrakte städtebauliche Ergänzung, wie über viele Jahre erprobt, könnte die Stadtlandschaft Scharouns ergänzen. Der Befreiungsschlag kam also mit dem Programm des Bundes für ein Museum des 20. Jahrhunderts.
Ein Solitär, der sich zwischen anderen Solitären behauptet
Mit dem Entwurf von Herzog & de Meuron wurde jetzt ein Solitär gefunden, der sich zwischen den bekannten Solitären behaupten kann. Das alleine ist noch keine Überraschung, aber dass es ein Solitär ist, der gleichzeitig nicht „abstrahlt“ und verdrängt wie die anderen Ikonen der Architektur auf dem Kulturforum, sondern wie ein Magnet wirkt und die Bauten verbindet – das ist eine der zentralen Leistungen des Siegerentwurfes. Die öffentliche Passage durch das Gebäude verbindet auf absolut selbstverständliche Weise die Staatsbibliothek mit dem Matthäikirchplatz. In Kreuzform unter dieser Passage hindurch bindet eine zweite Achse die Neue Nationalgalerie an die Philharmonie an. Aber dies alleine genügt noch nicht. Im Inneren der Halle wird im übertragenen Sinne die „Stadtlandschaft“ weitergeführt. So kann die breite Treppe, die ins Untergeschoss führt, als künstliche Topografie gelesen werden, als Tal, und die Brücke in Ost-West-Richtung als Überquerung.
Befremdlich scheint auf den ersten Blick vielleicht, dass der ganze Bauplatz durch dieses große Volumen besetzt und der fließende Raum kanalisiert wird. Ich glaube aber, dass dies das Kulturforum in seinen Außenräumen stärken wird. Sie werden endlich Aufenthaltsqualität erlangen, sowohl der Matthäikirchplatz als auch der Scharounplatz als gut proportionierter Zugangs-, Begegnungs- und Veranstaltungsort. Herzog & de Meuron schlagen an der Eingangsfront unter dem Vordach eine lange Bank zum Warten und Verweilen vor, und die St.-Matthäus-Kirche erhält eine ruhige, bescheidene Fassung. Der Baukörper des neuen Museums muss sicherlich noch etwas von der Kirche abrücken, aber die Kirche als einziger Überrest der Vorkriegszeit erhält endlich wieder eine feste Verortung in der bis dahin artfremden Konzeption der offenen Stadtlandschaft. Somit gelingt sogar eine Versöhnung zwischen der Konzeption des traditionellen Städtebaus des 19. Jahrhunderts und der Moderne. Auch die zu erhaltende, wunderbare Platane spielt eine Hauptrolle im Hof des Restaurants. Mit dem neuen Museumsbau besteht nun auch die Hoffnung, dass sogar die ungeliebte Piazetta vor der Gemäldegalerie aktiviert werden kann. Durch die baulich bedingte Verringerung der vorhandenen Freiräume steigen die Chancen zur verstärkten Nutzung der Piazetta. Die Zukunft wird zeigen, ob dies gelingt.

Man könnte dem Entwurf vorwerfen, dass ein Großteil des öffentlichen Raums nach Innen verlegt wird. Man kann genau dies aber auch als kluge Strategie bewerten – wir befinden uns immerhin an der Potsdamer Straße, einer der am stärksten befahrenen innerstädtischen Achsen. Der Lärm vermindert erheblich die Aufenthaltsqualität am Kulturforum.
Markthalle, Scheune, Werkhalle oder gar Tempel
Natürlich ist die These, dass der Entwurf in seiner Durchlässigkeit die Stadtlandschaft verändert, eine Interpretation. So wie der Bau auf den ersten Blick hermetisch abgeschlossen wirkt und auf den zweiten Blick in das genaue Gegenteil umkippt, ist das ganze Projekt mehrdeutig. Am mehrdeutigsten ist es in seiner architektonischen Erscheinung, da es sich einer eindeutigen Symbolik entzieht und dennoch mindestens so archetypisch ist wie seine prominenten Nachbarn. Genau dieser Aspekt, dass hier ein Haus im Sinne vermeintlich überkommener „Haus-Bilder“ vorgeschlagen wird und nicht die Abstraktion eines Hauses, wie etwa die Nationalgalerie, irritiert zuerst, hat am Ende aber die Jury fasziniert und überzeugt. Denn gerade die Wiedererkennbarkeit tradierter Gebäudetypologien vermag die Sehnsucht breiter Bevölkerungsschichten, aber auch vieler Fachkollegen nach emotionaler Bindung an ein Stück Architektur im besten Sinne bedienen. Ein Gebäude zu entwerfen, das nicht mit abstrakten Kuben, Flächen, Rundungen etc. zu beschreiben ist, sondern ein Gebäude, das Markthalle, Scheune, Bahnhofshalle, Werkhalle oder gar Tempel sein könnte, assoziieren Mann und Frau viel leichter mit eigenen Erfahrungen. Nichts Abgehobenes, sondern ein demokratisches Haus, das sich jedem und jeder erklären will.
Dass der Entwurf polarisieren würde, ist auf den ersten Blick absolut nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick ist der Entwurf aber integrativ wie kaum ein anderer Vorschlag. Ein Aspekt dazu muss an dieser Stelle erwähnt werden. Die Wahl des Backsteins, in seinem offenen Verbund archaisch und diszipliniert verwendet, bezieht sich so explizit auf Stülers Kirchenbau und nimmt den über Jahrzehnte etwas verloren wirkenden zarten Bau wieder mit auf die Reise in die Zukunft. Das neue Museum, das Berlin bekommt, ist ein im besten Sinne schwellenarmes Haus. Laut und leise, zugleich bescheiden und selbstbewusst, ebenso abstrakt als auch voller Symbolik und emotionaler Anknüpfungspunkte. Dieser Bau ist mehrdeutig und daher noch offen für die definitive Aneignung durch die Zeit und die Gesellschaft. Es wird ein entspanntes Haus für die entspannten Berlinerinnen und Berliner.
Contra: Charme einer Messehalle

Von Architekt Stefan Braunfels
Dieser Super-GAU war vorhersehbar. Seit Jahren wird auf dem Berliner Kulturforum alles falsch gemacht. Jetzt dieser Siegerentwurf: Statt einer eleganten Verbindung zwischen zwei der berühmtesten, aber auch gegensätzlichsten Bauten der Moderne – der Nationalgalerie von Mies van der Rohe und der Philharmonie von Scharoun –, welches die Brache des Kulturforums erst zu einem belebten Forum für Kultur macht, soll nun auf Berlins heikelstem Grundstück eine gigantische Scheune hingestellt werden, die aussieht wie ein Designer-Oktoberfestzelt!
Die Scheune mit dem Charme einer flachen „Low-cost“-Messehalle einer Landesgartenschau lässt Scharoun Scharoun sein und Mies van der Rohe Mies van der Rohe. Statt die beiden heiligen Kühe der Moderne in einem wunderbaren Dreiklang zu versammeln, isoliert sie die beiden Architektur-Diven erst richtig – und macht sich als dritte dazwischen breit. Diese „Ur“-Scheune – über 10.000 Quadratmeter groß – würde das Kulturforum völlig überbauen, drumherum gäbe es kaum noch nutzbare Flächen. Ganz in der Art amerikanischer Shoppingmalls würde alles öffentliche Leben ins Innere sich überkreuzender Passagen verbannt.

Dieser cleveren „Urhütte“ der weltberühmten – und wegen unvorstellbarer Kostenüberschreitungen (nicht nur bei der Hamburger Elbphilharmonie) gefürchteten – Schweizer Label-Architekten Herzog & de Meuron ist die Jury aus überwiegend schweizerischen (!) und spanischen Fachpreisrichtern und städtebaulich eher unbedarften Berliner Stadtpolitikern mit erschreckender Begeisterung – oder besser: von allen guten Geistern verlassen – auf den Leim gegangen.
Autobahnähnliche Schneise als Grundübel des Kulturforums
Nachdem Scharouns unterschätztes, kluges Gesamtkonzept unvollendet blieb: mit Ateliergebäuden, welche – leicht terrassiert – wunderbar zwischen der Nationalgalerie und Philharmonie vermittelten und dabei den Matthäikirchplatz selbstverständlich zu einem großen Forum ausweiteten, dauerte es 20 Jahre, bis Hans Hollein mit einer italienischen „Piazza“ begeisterte, die eine beglückende Brücke zwischen den beiden so unterschiedlichen Architektur-Ikonen des 20. Jahrhunderts schlug. Danach war klar, dass die sensibelste, aber auch schwierigste städtebauliche Aufgabe Berlins, wenn nicht Deutschlands, nur mit einer genialen städtebaulichen Raumerfindung zu lösen ist. Der Vorgänger von Frau Lüscher, Hans Stimmann, wollte gar zur historischen Bebauung vor der Zerstörung durch die Nord-Süd-Achse Hitlers zurückgehen, Volkwin Marg dagegen das Kulturforum zu einer wasserreichen Erweiterung des Tiergartens bis hin zur neuen Staatsbibliothek machen.
Die unsägliche, autobahnartige Schneise der achtspurigen Potsdamer Straße wurde bei fast allen als das Grundübel des Kulturforums erkannt und auf ganz unterschiedliche Weise korrigiert – mal durch Untertunnelung, mal durch die Verschwenkung und Reduzierung der Fahrspuren, mal durch völlige Auflösung des Straßenprofils als „Shared space“. Fast alle waren sich einig, dass die Voraussetzung für jedwedes Gelingen die Veränderung der Potsdamer Straße ist – außer Regula Lüscher aus Zürich, seit neun Jahren in stadtbaukünstlerischen Fragen leider ahnungslose Senatsbaudirektorin. Mit eidgenössischer Chuzpe übersprang sie den bei solchen Jahrhundertaufgaben notwendigen und auf der ganzen Welt selbstverständlichen städtebaulichen Wettbewerb und lobte stattdessen – quasi als Placebo – einen „Ideenwettbewerb“ aus. Dieser völlig sinnlose „Ideen“-Wettbewerb lieferte aber nicht einmal neue Ideen – weil diese von vorneherein gar nicht zugelassen waren: Weder durfte die Führung der Potsdamer Straße verändert werden, noch durfte ein besseres Grundstück für das neue Museum vorgeschlagen werden.
Die Jury prämierte die zehn schwächsten Vorschläge
Zu allem Überdruss berief Lüscher eine Jury, die treffsicher alle etwas spannenderen Entwürfe gleich im ersten Rundgang ausschied, die zehn schwächsten Vorschläge prämierte und zum finalen Realisierungswettbewerb zuließ. Der Auslober dieses merkwürdigen Wettbewerbsverfahrens, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wurde (von wem?) dahingehend (schlecht) beraten, wenige berühmte, erfahrene Museumsarchitekten einzuladen, sondern hauptsächlich jüngere, unerfahrene Büros. Zu allem Überdruss war die Jury dieselbe wie beim finalen Realisierungswettbewerb. Dass nach solch Verfahren ein solch hanebüchener Entwurf den ersten Preis bekommt, überrascht dann nicht mehr. Dass die Sieger Schweizer sind, auch nicht.
Auf dem Kulturforum ist eine allen Seiten (mit seinem riesigen flachen Satteldach sogar dem Himmel über Berlin) den Rücken zukehrende Kunst-Scheune die schlechteste aller Lösungen. Sie wäre das Ende aller europäischer Stadtbaukunst, bei der der Raum zwischen den Gebäuden wichtiger ist als das einzelne Haus. Die europäische Stadt ist – vom antiken Rom, vom Florenz der Renaissance bis hin zum barocken Paris eine der größten Leistungen der Menschheitsgeschichte!
Der Chuzpe mit der – nach ihrer Eroberung außereuropäischer Weltstädte – die Karawane ortloser Stararchitekten wie Gehry (am Alexanderplatz), Libeskind (beim Jüdischen Museum), nun auch Herzog & de Meuron auf dem Kulturforum versuchen, in den europäischen Städten autistische „Zeichen“ zu setzen, die unsere Städte beschädigen, müssen wir uns widersetzen.
Im Gegensatz zum amerikanischen Modell der autogerechten Stadt, in der öffentliches Leben in die kontrollierten, künstlichen Welten der Eventarchitektur übergroßer Shoppingmalls verbannt wurde, lebt die europäische Stadt von offenen, freien Stadträumen, verwirklicht sie sich in Prachtboulevards, lebendigen Straßen und schönen Plätzen.
In der europäischen Stadt ist der städtische Raum erst dann ein wahrhaft öffentlicher, wenn der Außenraum zum Innenraum wird – wie beim Campo in Siena.
Und wie der Markusplatz in Venedig kann und muss das Berliner Kulturforum so ein lebendiger städtischer Innenraum werden – und keine überdachte, außerhalb ihrer begrenzten Öffnungszeiten tote, geschlossene Kunstmall!
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